Brian Wilson : Der Mann, der fast zu lächeln vergaß

1967 scheiterte Brian Wilson bei Aufnahmen zum Beach Boys-Album "Smile" vor allem an sich selbst. Nun hat er das Werk vollendet.

Ein Interview mit Brian Wilson erinnert immer ein bisschen an eine Quizshow. Man stellt Fragen an den weltgrößten Beach Boys-Experten und erhält wie aus der Pistole geschossen knappe Antworten, die klingen, als wären es memorierte Sätze aus einer Bandbiografie. Nur eben, dass die meisten Antworten in der ersten Person Singular gegeben werden: „Mein Vater hat mich geschlagen, und ich habe mich unter dem Tisch versteckt“ „Die Musik war mein einziger Zufluchtsort.“ „Ich liebte die Four Freshmen.“ „Phil Spector war für mich der Größte.“ „‚Rubber Soul‘ von den Beatles hat mich umgehauen. Ich wusste, ich musste ins Studio gehen und etwas aufnehmen, was noch besser war und machte ‚Pet Sounds‘. Und dann machten die Beatles ‚Sgt. Pepper‘ (schüttelt den Koppf).“

An dieser Stelle muss man einsteigen, wenn man die Geschichte von ‚Smile‘ erzählen will, dem ‚Pet Sounds‘-Nachfolgealbum. Auch wenn es nach Brians Erzählung manchmal scheint, als sei er schließlich an der Konkurrenz aus Großbritannien gescheitert, scheiterte er in Wirklichkeit nur an sich selbst – und den Widerständen der anderen Beach Boys. Was für eine Genugtuung muss es da für ihn jetzt sein, dass „Smile“, 37 Jahre nachdem er aufgeben musste, nun doch erscheint – und zwar nicht unter dem Namen der Band, sondern unter seinem eigenen. Es ist allerdings nicht so, dass Wilson darauf gedrängt hätte, die Geister der Vergangenheit wieder heraufzubeschwören und ‚Smile‘, den Ort des Scheiterns, noch einmal zu besuchen. „Das war sehr schmerzvoll. Ich wurde an die Zeit erinnert, in der ich Drogen nahm und in einer tiefen Depression steckte“, erklärt er etwas zerknirscht. „Aber ich verbinde auch positive Erinnerungen mit ‚Smile‘, die Musik ist sehr gut, weißt du? Es ist eine Rockoper in drei Sätzen. Drei separate Sätze. Der dritte ist mein liebster Satz.“ Eine seltsame Wahl, schließlich war es dieser dritte Satz seiner Popsymphonie, der ihn in die Verzweiflung trieb. Den ersten Satz, dessen Songs sich um mythische Orte des amerikanischen Westens drehen, könnte man unter der Überschrift „Americana“ zusammenfassen, im zweiten Satz geht es um kindliche Unschuld und den Verlust derselben, der berühmte dritte Satz ist die „Elements-Suite“, die die vier Elemente Erde („Vege-Tables“), Luft („Wind Chimes“), Wasser („In Blue Hawaii“) und Feuer („Mrs.O’Leary’s Cow“) thematisiert. „Da war diese Lagerhalle ganz in der Nähe des Studios, die abbrannte, als wir gerade den Teil übers Feuer aufnahmen. Und ich dachte, unsere Aufnahmen könnten mit damit zusammenhängen. Wie sich dann herausstellte, war ich verrückt mental pwblems. Ich hatte mich also geirrt.“ Er sagt es nicht so, als wäre er wirklich davon überzeugt.

Auch folgende Aussage macht erst mal stutzig: „Meine Manager haben mir gesagt, es sei Zeit, ‚Smile‘ auf die Bühne zu bringen. Wir haben lange genug gewartet – 37 Jahre lang. Doch nun sind die Leute bereit, ‚Smile‘ als eines der größten Werke der Musikgeschichte, das jemals gemacht wurde, anzunehmen.“ Klingt nicht gerade nach freiem Willen.

Aber wenn man Wilson in der zweiten Hälfte der Live-Shows der letzten Monate, in der „Smile“ erstmals live präsentiert wurde, beobachtet hat, konnte man in Gesicht und Körpersprache Stolz und Genugtuung ablesen. Und Wilsons alter Freund Van Dyke Parks hätte sich wohl auch nicht bereiterklärt, die noch fehlenden Texte zur Vervollständigung von „Smile“ beizusteuern, wenn er Wilson damit geschadet hätte.

Trotzdem dürfte er sich sehr gewundert haben, als er eines Tages einen Anruf von Wilson bekam, der eine Auskunft zu einem Text haben wollte, den Parks 38 Jahre zuvor für Smile geschrieben hatte. „Ich saß mit meinem Freund Darian (Sahanaja, Keyboarder der Tourband) zusammen, der alle ‚Smile‘-Aufnahmen in seinen Computer geladen hatte und wir hörten uns alles nochmal an“, erklärt Wilson. „Als wir bei „Do You Like Worms“ ankamen, fiel mir ein, dass es da ursprünglich noch weiterging, ich sagte (ruft): Mach das aus, Darian! Das geht noch weiter (beginnt zu summen:) Uuuhuuu huuuh. Glücklicherweise fanden wir in einem der Regale auch noch ein Textblatt von Van Dyke, doch ein Wort konnte ich nicht lesen, also hab ich ihn angerufen.“

Sahanaja muss die Kinnlade runtergefallen sein. „Ich glaube, Van Dyke war mindestens genauso überrascht wie ich“, erinnert er sich. „Wir haben ihm dann das Textblatt gefaxt, und ein paar Minuten später hatte er das Wort entziffert, es hieß ‚Indians‘. Als ich das nächste Mal zu Brian kam, sagt er:, Van Dyke wird in einer Viertelstunde hier sein.“‚ „Wir haben dann zusammen den dritten Satz beendet“, erklärt Brian, „Darian hat mir geholfen, alles in die richtige Reihenfolge zu bringen und die Tonarten so zu ändern, das alles ineinander fließt. Ich bin sehr stolz auf ‚Smile‘.“ Ob er Angst habe, dass dieses Werk, das so eng mit seinem Schicksal verbunden ist, nun in der Presse zwiespältig aufgenommen würde, vielleicht sogar schlechte Kritiken bekomme, will ich am Ende noch wissen. „Schlechte Kritiken?“ Wilson scheint verwirrt. „Naja, ich meine, dass es vielleicht Journalisten gibt, die ‚Smile‘ nicht mögen und vielleicht etwas Negatives darüber schreiben.“ – „Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der allen Ernstes etwas Negatives über ‚Smile‘ schreiben kann.“

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