Bruce Springsteen in Berlin: Der wahre Botschafter Amerikas

Wut, Trotz, Hoffnung: Drei Stunden mit der E Street Band zwischen klaren Ansagen und großen Hymnen

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Diese Tournee heißt „Land Of Hope And Dreams“, und genau dieses mythische Land betritt man, wenn man Bruce Springsteen und die E Street Band besuchen darf. Leider liegt es an diesem Abend im Berliner Olympiastadion, so dass der Sound wieder mal schwammig ist. Und die Hälfte des Publikums muss eine Stunde lang gegen die Sonne anblinzeln, bis sie die Bühne richtig sehen kann. Aber eigentlich ist das völlig egal. Es geht um viel mehr an diesem Abend, nämlich um alles. Um Freiheit, um Demokratie, um unser Leben, wie wir es uns erhofft und erträumt hatten.

Man muss keine Amerikanerin sein, muss die USA nicht wie er für ein „Leuchtfeuer der Hoffnung und der Freiheit“ halten, um Bruce Springsteen zu verstehen. Seine weltweite Wirkung beruht auf einem recht einfachen, zutiefst menschlichen Gefühl: Wir wollen alle umarmt werden (Psychopathen wie Trump und Musk vielleicht ausgenommen), und ein bisschen Glück wäre gut. Doch wie soll das gehen, 2025?

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„Die mächtige E Street Band ist heute Abend hier, um in gefährlichen Zeiten an die rechtschaffene Kraft der Kunst, der Musik, des Rock’n’Roll zu appellieren.“ So geht’s! Dass nach dem sperrigen „Death To My Hometown“ gleich „No Surrender“ kommt, passt. Aufgeben ist keine Option, wenn so viel auf dem Spiel steht. Trump schwebt wie ein Damokles-Schwert über diesem manchmal fast grimmigen Abend, der drei Stunden dauert und von einem leidenschaftlichen Plädoyer zum nächsten starken Moment führt. Die Wucht der E Street Band ist ungebrochen, auch wenn die Hauptmieter inzwischen weit über 70 sind. Musikalisch sind sie eine Bank, sie verstehen sich blind und haben noch genügend Energie, um über reine Routine hinauszuwachsen. Das neuere „Rainmaker“ wird zu einem großen Protestsong, und die Resignation von „The River“ trifft einen besonders hart. „Long Walk Home“ ist jetzt ein Gospel, ein Mantra: Es gibt immer einen Grund für einen Neuanfang!

Springsteen lässt sich niemals auf Trumps Niveau herab

Als Springsteen in „House Of A Thousand Guitars“ von dem „criminal clown“ singt, der den Thron gestohlen hat, lachen alle kurz auf, doch die danach folgende Rede zeigt, dass sich Springsteen niemals auf das billige Niveau des Präsidenten herablässt. Er bleibt nur standhaft. Er habe stets ein guter Botschafter Amerikas sein wollen, erzählt er – und berichtet dann fast fünf Minuten lang von allem, was gerade schiefläuft. Dass die reichsten Männer die ärmsten Kinder im Stich lassen. Dass es ihnen sadistische Freude bereitet, Arbeiter zu quälen und Bürgerrechte auszuhebeln. Amerika wird auch das überleben, weil es ein großartiges Land mit großartigen Menschen ist, sagt er. Und wer würde ihm widersprechen wollen, wenn gerade die E Street Band vor einem steht?

Hoffnung ist das große Thema an diesem Abend. Hoffnung trotz der Zeiten. Er schließt mit einem Zitat von James Baldwin: „In dieser Welt gibt es nicht so viel Menschlichkeit, wie man sich wünschen würde, aber es gibt genug.“ (Hier war es sinnvoll, die deutsche Übersetzung auf den Leinwänden zu zeigen. Bei manchen Stücken lenkte es zu sehr ab – und wer die Texte nicht kennt, kann sie bei Interesse ja später nachlesen. Also diesen Service bitte wieder abschaffen!)

„Badlands“ verwandelt das Olympiastadion in einen Kessel voll trotziger Lebensfreude

Während die E Street Band „My City Of Ruins“ spielt, denkt man vielleicht kurz „Nie brauchten wir Springsteen so sehr wie jetzt“. Aber das ist Quatsch – daran wird man drei Songs später erinnert. Mit „The Rising“ war er nach dem 11. September schon einmal ein Lichtblick in der Finsternis. Und Mitte der 80er-Jahre genauso. Und … Kurzum, wir brauchen Bruce Springsteen einfach immer – oder eben: Menschen wie ihn. Mitgefühl und Solidarität, gepaart mit Tatendrang und Kraft, die nichts mit Kraftmeierei zu tun hat. Wer einmal miterlebt hat, wie „Badlands“ ein ganzes Stadion in einem Kessel voll trotziger Lebensfreude verwandelt, der wird es verstehen. It ain’t no sin to be glad you’re alive – das gilt, sogar jetzt.

Ein bisschen besser wäre es noch gewesen, wenn Springsteen „Thunder Road“ mal wieder allein gespielt hätte statt in der Hände-Abklatsch-und-Mitsing-Version, bei der das Publikum die schönsten Zeilen brüllt, also verdirbt. Die Zugaben entschädigen dafür: „Born In The U.S.A.“, „Born To Run“, „Bobby Jean“, was will man mehr. Bei „Dancing In The Dark“ fliegen wie so oft an diesem Abend die Funken. Niemand zündet ein Stadion besser an als Bruce Springsteen. (Zumindest wenn U2 gerade nicht auf Tournee sind.) Und dann kommt natürlich noch der „Tenth Avenue Freeze-Out“ mit den Erinnerungen an Danny Federici und Clarence „Big Man“ Clemons, die schon mal vorausgegangen sind. Die letzte Springsteen-Tournee war eine Art Geisterbeschwörung. Diese hier macht das nebenbei – während der Fokus auf den sehr irdischen Problemen liegt.

Noch einmal feiern wir die E Street Band und die Freiheit

Es tut gut, auch alle lebenden E-Street-Bewohner noch einmal zu bejubeln: Nils Lofgren, the mighty Max Weinberg, Roy Bittan, Garry Talent und Steven Van Zandt. (Patti Scialfa ist leider wieder nicht dabei.) Und die Assoziierten Jake Clemons, Soozie Tyrrell und Charles Giordano. Bläser und Backgroundsängerinnen gibt es freilich auch noch – so viel wie auf dieser Bühne ist nirgends sonst los. Und weil sie sich alle nicht unterkriegen lassen wollen von dem kriminellen Clown, gönnen sie sich Ausgelassenes wie „Seven Nights To Rock“ und „Twist And Shout“, bevor Bob Dylans „Chimes Of Freedom“ den Abend beendet. Das Hemd ist durchgeschwitzt, der Bogen schließt sich: Rock’n’Roll feiert die Freiheit, und Diktatoren werden immer unser natürlicher Feind sein. Es passt, dass er das Lied den Fans widmet, die bei seinem Konzert 1988 in Ostberlin waren.

Nachdem Springsteen alle mit Handschlag, Schulterklopfen oder Umarmung verabschiedet hat, reckt er mit Jake Clemons gemeinsam die Faust in die Höhe – und zeigt mit dem Finger Richtung Himmel. Bruce Springsteen darf niemals sterben, aber es ist beruhigend zu wissen, dass der Big Man ihn empfangen wird, wenn es irgendwann so weit ist. Bis dahin ist noch viel zu tun.