Brüder, wo geht’s lang?

Viele sagen, eigentlich drehe Wes Anderson mit seinem buinten Ensemble immer wieder den gleichen Film. Komisch, dass der trotzdem immer besser wird

W es Anderson ist ein Mann mit schwer erschütterliehen Vorlieben. So wurde er etwa noch nie außerhalb eines seiner altmodischen Anzüge gesichtet, die stets eine halbe Nummer zu klein maßgeschneidert sind und seine Erscheinung noch pennälerhafter wirken lassen. Drehbücher schreibt er am liebsten in Restaurant-Separees, bevor er für den Schnitt seiner Filme mondäne Hotel-Suiten anmieten lässt, die nahe seines eigentlich mit allem Postproduktions-Schnickschnack ausgestatteten New Yorker Apartments liegen. Und dass er zur Weitpremiere seines jüngsten Filmes „The Darjeeling Limited“ in Venedig per Flugzeug anreiste? Ein rarer Prinzipienbruch für einen Mann, der den amerikanischen Kontinent sonst nur mit dem Schiff verlässt und selbstverständlich mit dem Taxi von Rom nach Paris fährt.

Bemerkenswert sind diese Marotten nicht nur als kleine Charakterstudie — sie sind unerlässlich für das Verständn is von Andersons filmischer Privatwelt. Einmal stand er sogar selbst vor der Kamera, in seinem No-Budget-Debüt „Bottle Rocket“. Doch auch seit er sich die Gagen für Schauspieler leisten kann, findet man ihn in all seinen Filmen wieder, in denen Jungs jeden Alters die Szenerie dominieren, die ihre Ratlosigkeit in wichtigen Lebensfragen in einem Kokon trotziger Eigenarten verstecken. Der hoffnungslos verschossene Jason Schwartzman in“Rushmore“,die eigenbrötlerischen Brüder Wilson in „The Royal Tenenbaums“ oder die Mannschaft von Kapitän Bill Murray in „The Life Aquatic“ („Die Tiefseetaucher“) —ein Blick auf 30 Sekunden im Alltagjeder dieser Figuren genügte, um sie allein anhand ihrer streng kontrollierten Mimik mühelos ihrem idiosynkratischen Schöpfer zuzuordnen.

Wehe nur, man möchte Anderson diese Stiltreue als Kompliment kommunizieren. „Ich höre das nicht zum ersten Mal“, stöhnt er, „und offenbar schlägt sich meine Sicht der Dinge mehr auf meine Filme nieder, als mir lieb ist. Ich konzentriere all meine Energie darauf, mich nicht zu wiederholen. Doch egal, ob ich eine Story auf ein Schiff vor der italienischen Küste oder in eine Zugfahrt durch Indien konzentriere: Am Ende sagen immer alle, dass mein neuer Film arg meiner vorangegangenen Arbeit ähnelt.“

Der Widerspruch, als unverwechselbarer Autorenfilmer wahrgenommen und geliebt zu werden, während er persönlich um künstlerische Weiterentwicklung bemüht ist, macht Anderson zu schaffen. Freimütig gibt er zu, nicht nur empfindlich auf Kritik zu reagieren, sondern sich Einwände auch zu Herzen zu nehmen. In dem schönen Wort „cliqueish“ bündelte zum Beispiel die „New York Times“ die thematischen und personellen Parallelen im Werk von Anderson, der mit einem festen Stamm von Schauspielern und Co-Autoren arbeitet und noch keine Geschichte ersonnen hat, in der es nicht um die Sehnsucht nach verlässlichen Vaterfiguren ginge. „Ich bin nicht der schnellste Regisseur und drehe nur alle drei Jahre einen Film“, erklärt er, „und genieße jeden ersten Drehtag wie eine Familienzusammenführung. Owen Wilson, Jason Schwartzman, Anjelica Huston oder Bill Murray sind für mich keine Schauspieler, sondern in erster Linie langjährige Freunde, denen ich vertraue. Sie verleihen mir Sicherheit und helfen mir als Partner wie auch als Korrektive. Aber das bedeutet nicht, dass wir Filme für und über uns selbst drehen, wie ich es eine Million Mal zu hören bekam. Wir sind keine Sektierer, und ich möchte immer ein großes Publikum erreichen. Ich wüsste nur nicht, wie man es bewusst darauf anlegt.“

Zu Andersons erweitertem Familienkreis zählt eine treue Fanschar, die jeden seiner vor Details berstenden Filme so aufmerksam studiert wie die Jünger eines Lynch oder Tarantino. Anders als die Genannten nur konnte Anderson bislang über Spezialistenkreise hinaus keine Zuschauer erreichen. Gut 100 Millionen Dollar spielte sein Gesamtwerk in Amerika ein. Was nach mehr klingt als von den Finanziers erhofft, weil es ziemlich genau den kombinierten Etats all seiner Produktionen entspricht. Trotzdem hält ihm Hollywood die Treue und reißen sich die großen Studios um seine Dienste. „Wenn Wes von einer Firma wie der 2Oth Century Fox unterstützt wird“, sagt dazu sein „The Darjeeling Limited“-Star Adrien Brody, „dann ist das für sie wie das Sammeln von Kunst. Sie fühlen sich mit ihm, als hätten sie guten Geschmack, und hoffen, dass ab und zu ein Oscar abfällt.“

Andersons jüngste Wundertüte „The Darjeeling Limited“ wird an diesen bestehenden Verhältnissen wenig ändern, ohne dass es freilich jemand bedauern müsste. Nachdem er mit seinen Co-Autoren Roman Coppola und Jason Schwartzman zur Vorbereitung selbst einige Wochen durch Indien reiste, erzählt der Film von einer Zugreise dreier Brüder durch den Kontinent, die nach dem Tod ihres Vaters ihre Entfremdung voneinander zu überwinden versuchen.

Wie ein Puppenspieler begleitet der Regisseur sein Trio bei der Sinnsuche, bricht allmählich ihre anfängliche Resistenz gegenüber den Farben und Verführungen Indiens, die die Sinne explodieren lassen – und emanzipiert sich doch radikal von vertrauten Erzählmustern, indem er die omnipräsente Vaterfieur (Murray in einem Cameo) schon in der ersten Szene symbolisch hinter sich lässt. Diese abenteuerliche Abnabelung von Gewohnheiten ist so subtil wie die private Entwicklung Andersons, der noch vor fünf Jahren vor lauter Schüchternheit kaum über seine Brillenränder zu linsen wagte, aber inzwischen für eine halbe Stunde mit gelaserten Augen Blickkontakt zum Interviewpartner hält. Was immer ihm an Erfolgsdruck zuzusetzen vermag, versteht er durch Neugier und Loyalität gegenüber seinen Obsessionen zu kompensieren.

Natürlich besticht „The Darjeeling Limited“ dementsprechend mit einem eklektischen Soundtrack, fordert mit prächtiger Pop-Art-Ausstattung den zweiten Blick und zitiert gewohnt lausbuben- statt streberhaft filmische Hochkultur (vor allem Jean Renoirs „Der Strom“ und die Filme des indischen Regisseurs Satyajit Ray). Doch bei aller Verliebtheit in Sinnesreize trifft letztlich die Intimität seiner Geschichte ins Herz, die das Kunststück vollbringt, eine schwerelose Komödie über traurige Tabuthemen zu werden.

Denn die Auseinandersetzungen mit Tod. Verlustangst und Identitätskrisen mögen persönlichen Erfahrungen der drei Autoren geschuldet sein (das Ertrinken eines Jungen mutet eingedenk von Roman Coppolas Verlust seines Bruders bei einem Segelunfall geradezu gespenstisch an). Doch mehr denn je sind Andersons Figuren hier universal statt dysfunktional. Weil er keineswegs auf der Stelle steht, sondern nach der Umsetzung neuer Erfahrungen hungert. Aber in kleinen, persönlichen Schritten.

Oder wie er es selbst formuliert: „Ich betrachte es als Ehrenkodex, nur Drehbücher über Lebensbereiche zu schreiben, von denen ich etwas verstehe — darum ist ein klassischer Genrefilm von mir leider niemals zu erwarten.“

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