Cafe Humboldt

Regisseur Helmut Dietl kündigte kürzlich an, zwei bis drei Nachfolgefilme zu seinen Erfolgen „Kir Royal“ und „Rossini“ drehen zu wollen, am Schauplatz Berlin. Zeitgleich antwortete Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auf die Frage, wer ihn in einer Verfilmung seiner Memoiren spielen solle: Götz George. Der auch bei „Rossini“ dabei war. Könnte man das Dietl- und das Schröder-Projekt also nicht einfach verbinden?

SZENE 1: Mittagszeit, das Innere einer Gaststätte, eindeutig Bavaria-Filmgelände, aber durchs Fenster sieht man ein Straßenschild „Unter den Linden“. Dudelige Konstantin-Wecker-Musik erklingt, der Film-Titel wird eingeblendet: „Cafe Humboldt“. Altbundeskanzler Gerd Gröger, gespielt von Götz George, sitzt von Qualm umwölkt an einem Ecktisch vor einem Stapel Papier, mit loser Krawatte.

KELLNERIN LUISA (gespielt von Corinna Harfouch): Noch ein Bierchen, Herr Gröger? Geht’s voran?

GRÖGER (im typischen George-Stammelton}. Ja, ääh, st-st-stellen Sie’s hin, ääh. Mist, der Verlag sitzt mir im Nacken, wegen Weihnachtsgeschäft. Gar nicht so leicht, der zweite Band meiner Lebenserinnerungen, ich hätte nach dem ersten vielleicht doch länger als ein Jahr warten sollen.

LUISA: Aber es ist doch so viel passiert seither! Das kriegen Sie hin.

GRÖGER (im typischen George-Flüsterton}. Aber wenn ich dat alles schreibe, dann dann dann…

LUISA: Stimmt, dann kriegen Sie Ärger.

GRÖGER (springt auf, reißt sich das Hemd vom Leib, entblößt die kurz vor Drehbeginn hintrainierten haarigen Brustmuskeln}. Was, was, Ärger, was?

LUISA: Nun ja, diese bundesweite Wahlkampftour, die sie gemacht haben. Das war ja nicht so geschickt.

GRÖGER (flüstert}. Weil gar keine Wahlen stattgefunden haben? Kokolores! Die einfachen Leute brauchen so was ab und zu.

LUISA: Und diese Massenhinrichtungen, nachdem ein ukrainischer Bauer aus Versehen mit dem Traktor leicht die Pipeline touchiert hat. Da hätten Sie was sagen müssen!

GRÖGER (stammelt}. Also, ich bitte Sie! Wenn ich früher mit dem alten Käfer falsch geparkt habe, habe ich auch ein Knöllchen gekriegt. Demokratie schmeckt nicht immer süß.

EINE FRAU (gespielt von Hannelore Hoger, kommt an den Tisch}. Entschuldigung, wollen Sie mit mir schlafen? (Keiner reagiert, sie geht wieder ab)

LUISA: Aber als Sie dann noch vom Balkon des Hotels Adlon aus angetrunken die Räterepublik ausgerufen haben…

GRÖGER (flüstert): Ja, da haben sich die Roten, äh, die Schwarzen schön geärgert, was? Die feinen Herrschaften. Mögen es nicht, wenn man sie links überholt. Jetzt fehlt bloß noch, dass Sie mir vorwerfen, ich hätte 2002 die Elbe-Flut selbst ausgelöst, um die Wahl zu gewinnen.

HEINER LAUTERBACH (spielt sich selbst, betritt das Cafe, mehrere schwere Plastiktüten tragend}. Alle in Deckung! Kohlmann ist auf dem Weg hierher!

LUISA: Kohlmann?

LAUTERBACH: Daniel Kohlmann, der Schriftsteller. Er sucht wieder jemanden, der sein Buch verfilmen will!

GRÖGER (stammelt): Ach, da arbeitet und tut man, und dann macht einem dieses Pack alles kaputt. Ja, da drüben! Ich rede mit dir!

GABOR SCHIMMELFELD (Reporter des „Spree-Echo“, gespielt von Franz Xaver Kroetz, sitzt rauchend in der Ecke gegenüber, imitiert schlecht den Berliner Akzent und fällt immer wieder ins Bayrische}. Ick hab nischt jehört. Als ob i mi jetz au no für alternde Polit-Uhus int’ressieren tat. Ihr leidet’s doch am meisten, wemma nix mehr über eich schreibt! Luisa! Eine Johannisbeer-Schorle!

DANIEL KOHLMANN (gespielt von Daniel Brühl, betritt eilig das Cafe}. Ah, Herr Gröger! Kennen Sie vielleicht jemanden, der mein Buch verfilmen will? Sie haben doch Aktien im Osten. (Sein Handy klingelt) Ja? Herr Doktor Naumann! 100 Zeilen über den neuen Murakami? Bis morgen früh? Kein Problem. Ist praktisch schon geschrieben, (geht eilig ab)

GRÖGER (großer Monolog}. Tja, das ist der Dorn in der Flanke des Staatsmanns: Nur wer verstanden wird, kann auch missverstanden werden. Und umgekehrt. Ich weiß noch, wie ich oft im achten Stock auf dem Balkon des Kanzleramts stand, nachts um drei, wenn die Zeiger der Uhr das magische Dreieck bildeten und ich nicht schlafen konnte. Wie ich an meine alte Mutter denken musste und den Geruch der Stadt aufsog, das Parfüm der Reichen, das ranzige Fett der Frittenbuden, den Dunst, der aus den roten Teppichen entweicht…

ZEITUNGSVERKÄUFER (gespielt von Kurt Krömer}. Spree-Echo, Extra! Geheimdienstprotokoll beweist: Gröger hat die Elbe-Flut selbst ausgelöst, um die Wahl zu gewinnen!

GRÖGER (stammelt): Äh, Luisa, wo sind hier noch mal die -äh-Toiletten?

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