Dafür, dagegen, dabei

Neuerdings gibt es so viel zu retten, man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Sobald man den Fernseher einschaltet: Protest. Keine Talkshow, in der es nicht um Afrika oder den Klimawandel geht oder um beides, und schuld ist sowieso immer George W. Bush. Soweit sind wir uns alle einig.

Während sich die G8 in Heiligendamm verschanzten, fand in Rostock die musikalische Gegen-Veranstaltung von „Deine Stimme gegen Armut“ statt. Der ARD war der Titel wohl zu trocken, sie übertrug unter dem Motto „Grönemeyers Rock-Gipfel“. Bob Geldof sang mit den Toten Hosen, Frühstücksmoderator Sven Lorig spürte „Gänsehautfeeling und Festivalatmosphäre“, danach sah er noch einen genervten Campino, der zu Recht nicht verstand, warum man ihn jetzt ausgerechnet nach den Kosten der guten Sache fragte.

Im Hintergrund prangte der Satz „Alle 3 Sekunden stirbt ein Kind an den Folgen extremer Armut“, im Vordergrund wurde „All You Need Is Love“ und „Redemption Song“ gesungen. Es war wieder mal nicht der Moment für diffizile Botschaften, aber ihren Sinn fürs Dramatische brachten Bob und Bono mit: Der eine kam ganz in weiß, der andere ganz in schwarz. Während der Sir sich auf seine Klampfe konzentrierte, wirkte der U2-Sänger wie ein Kampfzwerg, bereit zur Attacke auf Angie und begeistert vom „old school Protest“.

Rührend wirkten sie alle im Kampf gegen die Vergeblichkeit. Die Besprechungen am Vortag hatten schon ergeben, dass die politischen Versprechen wieder einmal Makulatur waren. Trotzdem ließ sich Grönemeyer den großen Auftritt nicht nehmen, es war ja sein Tag, siehe ARD-Slogan. Deutschland müsse seine Versprechen einhalten, forderte er, „Frau Merkel, merk dir das!“ Bei „Mensch“ versuchte Bono mitzusingen, und es klang nicht wie deutsch, und er musste grinsen, und Herbert nickte ihm aufmunternd zu, aufgedreht wie eine Muppet-Figur. Da war klar: Es gibt nichts, was Bono nicht tun würde, um die Welt zu retten, und das unterscheidet ihn und Geldof von allen anderen. Immer wieder schmetterte er „Keep the promise!“, ohne müde zu werden. Bei Grönemeyer klang’s prosaischer: „Frau Merkel, halt’s Wort!“ Später erklärte er noch, er erwarte von Politikern grundsätzlich gar nichts und halte Verhandlungen mit denen für „Zeitverschwendung“.

Nun hat es der harte Kern der Afrika-Hilfs-Allianz – Bob, Bono, Herbert, meinetwegen auch Campino – ohne Zweifel nicht nötig, sich mit Beatles-Medleys und Fingerschnippen in die Öffentlichkeit zu drängen, sie stehen längst mittendrin. Sie wollen wirklich was, und das ist – trotz der Lächerlichkeit, die solchen Veranstaltungen manchmal innewohnt – aller Ehren wert. Aber was treibt die anderen Musiker? Wieso sind Silbermond bei jeder Veranstaltung vor Ort? Weil sie nicht nein sagen können, wahrscheinlich. Oder: Jan Eißfeldt. Mit irre provokativen Titeln wie „Söhne Stammheims“ gelang es dem näselnden Hamburger einst, sich als lässiger Linker zu profilieren. Dann setzte er sich als Jan Delay ein schiefes Hütchen auf und gab überall den Styler, nicht ohne stets gegen prominentere Kollegen zu stänkern. Man müsse aufpassen, ließ er noch vor kurzem verlauten, dass man nicht eines Tages wie Campino und Smudo werde, die überall dabei sein müssen.

Freilich war er nun gleich bei „Move Against G8“ mit von der Partie. Gestern „Bundesvision Song Contest“ und „Rock am Ring“, heute gegen G8 und morgen dann für „Live Earth“. Ist ja sonst nichts los! Der Vorwurf des Benefiz-Tourismus ist natürlich mindestens so alt wie „Live Aid“, aber wer sich nicht zu schade ist, bei Stefan Raab den schlechten Verlierer zu spielen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er bei der nächsten Demo nicht mehr ganz so ernstgenommen wird.

Die Benefiz-Konkurrenz ist aber auch enorm. Bob Geldof findet nun das anstehende „Live Earth“ doof, nicht nur weil der Name an seine alte Kampagne erinnert, sondern weil er glaubt, dass sich alle des Treibhauseffekts längst „verdammt bewusst“ sind. AI Gore mag spät dran sein, aber selbst in Deutschland, wo das Problem tatsächlich seit Jahren bekannt ist, macht erst jetzt die „Bild“-Zeitung mobil: „Rettet unsere Erde – Ich mache mit!“ heißt die Aktion.

„Bild“ – war da nicht was? Genau, neulich durfte Geldof dort für einen Tag Chefredakteur spielen und eine Ausgabe produzieren, in der es nur um Afrika ging. Auch ihm ist im Kampf gegen die Armut jedes Mittel recht. Ein paar Tage später ernannten seine neuen Freunde Angie grundlos zur „Miss World“, vom Gegengipfel keine Rede mehr. „Celebrity is currency“, meint Bono und trifft sich weiter mit Merkel und Bush, auch wenn er danach deprimiert ist. Er sei für solch diplomatische Aufgaben „zu hitzköpfig“, sagt Campino und bleibt, von sporadischen Talkshow-Auftritten abgesehen, lieber bei der Musik. Bester Moment in Rostock: Bob Geldof und Campino, die beiden Meister im zynischen Augenbrauenheben, singen gemeinsam „What’s So Funny About Peace, Love And Understanding?“ Eine gute Frage.

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