Das Ende von Ally McBeal wird bei Vox nicht gefeiert werden – auch wenn das skurrile Pulver der Serie längst verschossen war

inen schöneren Termin für den Abgang hätte sich Ally McBeal kaum aussuchen können. Wenn sie am 8. April ab 22.10 Uhr bei Vox zum letzten Mal mit einer neuen Folge über den Bildschirm flimmert, dann hat sie haargenau fünf Jahre voll gemacht – und dem Kölner Kommerzkanal ein gehöriges Kapitel in die Sendergesenichte geschrieben.

Eigentlich müsste man auf den Vox-Fluren dauernd über Menschen stolpern, die sich gerade aus lauter Dankbarkeit vor

Ally-McBeal-Abbildern in den Redaktionsstaub werfen. Ally hat dem Sender nicht nur herausragende Quoten verschafft, sondern ihm vor allem ein Image verpasst, das auf einem hart umkämpften Markt schwer zu ergattern ist. Vox gilt inzwischen als „der Ally-McBeal-Sender“, die Station für Freunde leicht skurriler Komik, ein Heim für die karrierebewusste Frau, der das Privatleben einfach nicht so gelingen will wie der Job, die sich ob etlicher Beziehungskatastrophen schon für nicht minder durchgeknallt hält als die Serien-Protagonistin. Vox wird es schwer haben ohne Ally McBeaL Dabei hatte es Vox schon von Anfang an schwer mit Ally Mc-Beal. Der Start der vom Michelle-Pfeiffer-Gatten David E. Kelley konzipierten Serie geriet zu einem mittelschweren Desaster. Kaum ein Mensch wollte sehen, was da mittwochs abends vor sich ging, und so verschwand „Ally“ nach acht Folgen erst einmal im Archiv. Die Quoten waren nicht viel besser, ab Vox es genau ein Jahr später noch einmal probierte. Die als Pilot ausgestrahlte Doppelfolge schaffte gerade mal einen Marktanteil von 1,4 Prozent, und die erste reguläre Folge an einem Dienstagabend durchbrach nur mit Mühe und der Hilfe von gerade mal 450 000 Zuschauern die Zwei-Prozent-Marke. Aber diesmal hielt man bei Vox durch. Und das war gut so.

Langsam, aber stetig kletterte die Quote, bis im September 2000 die Millionengrenze erreicht war und sich vor allem der Erfolg bei den 14- bis 29-Jährigen auf erstaunlich hohem Niveau stabilisierte. Regelmäßig erreichte die Serie um die 17 Prozent in dieser bei der Werbe Wirtschaft umschwärmten Zielgruppe – und das bei einem Sender, der 2002 gerade mal einen Anteil von 3,3 Prozent an der Gesamtseherschaft für sich gewinnen konnte.

Viele junge Frauen identifizierten sich sofort mit dieser seltsamen Anwältin, die in einer Kanzlei voller durchgeknallter Hochbegabter arbeitet und von sich sagt:“Ich bin normal, mein Leben ist es nicht.“ Die Bostoner Kanzlei ist in Wahrheit nur die Kulisse, vor der sich Calista Flockheart als Ally von einem emotionalen Unglück ins andere stürztEs ist das immer wieder vorhersehbare, trotzdem aber grandiose Scheitern der Ally Mc-Beal, das den Reiz dieser Serie ausmacht. Wo der normale Werktätige vor lauter Arbeit den Blick auf eigene emotionale Defizite verliert, schafft Ally den Spagat. Zielsicher fischt sie sich aus dem Fluss des Lebens alle vorbeitreibenden Fragezeichen heraus und präsentiert sie ihrem Publikum in Übergröße. Es beruhigt, wenn man miterleben darf, dass auch schönen Frauen ohne einen Hauch von Übergewicht nicht alles gelingt.

Ally McBeal trägt überdeutlich die Handschrift von David E. Kelley, der als einer der erfolgreichsten US-TV-Produzenten gilt und sein Talent bei Serien wie „L.A. Law“ oder „Chicago Hope“ unter Beweis gestellt hat, den aber vor allem sein Faible für die Überzeichung auszeichnet. Bei Kelley haben immer alle einen Tick, und wenn sie ausnahmsweise mal keinen haben, dann hat eben die direkte soziale Umwelt einen Tick mehr. Gerne arbeitet Kelley mit optischen Tricks – meterlang aus dem Rachen hechelnde Zungen (Begeisterung), Glupsch-Augen (Schock), Zwergen wuchs (Minderwertigkeitsgefühl) – und der Magie der Musik. Jeden Abend treffen sich die seltsamen Karrieristen in einer Bar, wo wie zufällig Sting oder Barry White auftreten. Etliche Musiker durften gar mitspielen – nicht immer ein Gewinn, wie der eher nutzlose Einsatz von Jon Bon Jovi belegte. Kelley war es auch, der früh erkannte, dass er sein skurriles Pulver verschossen hatte, und so ließ er die Serie mit Allys Ankündigung, nach New York ziehen zu wollen, nach 113 Folgen und fünf Staffeln einfach auslaufen. Verlängerung ausgeschlossen. Bei Vox wird man weinen. Und dann wird man mit vielen Wiederholungen Allys Geist noch ein wenig im Sender behalten.

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