Das Zeitalter der Vampire

Zum Kinostart von „Eclipse: Bis(s) zum Abendrot“ erklärt uns der Literaturwissenschaftler und Vampir-Experte Prof. Dr. Stefan Keppler-Tasaki das mediale Phänomen „Twilight Saga“.

Wer heute „Twilight“ sagt, meint nicht die Reihe von vier Romanen („Twilight“, „New Moon“, „Eclipse“ und „Breaking Dawn“), die die US-amerikanische Autorin Stephenie Meyer seit 2005 im unbeirrbaren Jahresrhythmus vorgelegt hat. Auch nicht die vier Filmversionen, die im selben, von der Willkür der Inspiration unabhängigen Takt seit 2008 folgen. Und auch nicht das Universum, das sich im Internet um die „Saga“ von Bella und Edward gebildet hat. Nicht diese Einzelerscheinungen, sondern alles zusammen. Niemand hat behauptet, dass Meyer eine großartige Autorin wäre. Ihre Romane dienen der Generalmobilisierung der Medien, wie ein Libretto der Oper dient. Librettomäßig sind sie auch. Voller schlechter Sätze und flacher Figuren, die danach verlangen, dass Schauspieler ihnen Fleisch und Blut verleihen. Hier spürt jeder die Aufforderung, es anders und nicht schlechter zu machen. Das Internet ist zum Netz der Verbesserungsvorschläge und Alternativversionen für „Twilight“ geworden.

Die wolkige Bezeichnung „Saga“ meint die große Mythenerzählung, deren Ausmaße über jede fixierbare Gestalt hinausreichen. Daher hat das „Twilight“-Fieber auch nicht Leser oder Zuschauer erfasst, sondern Mediennutzer. Fest steht dabei nur die Nutzung, zur Wahl stehen die Medien. Meyer und ihre Drehbuchautoren reflektieren das durchaus. Wie macht sich Bella Swan aus Phoenix über die Vampire kundig, aus deren Kreis ihr Freund Edward Cullen kommt? Sie kauft ein Buch und entnimmt diesem die Stichwörter, mit denen sie bei Google recherchiert. Als sie am Ende im Brautkleid dasteht, Bräutigam, Bett und Biss erwartet, erklärt ihre Mutter: „Bella, du sieht aus, als wärst du einem Jane-Austen-Film entsprungen.“ Es ist schon egal, ob Jane Austen eine Autorin verfilmter Romane oder eine Filmregisseurin ist.

Durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch behauptete sich das Kino als die Leitinstitution des Vampirmythos. „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau und die Verkörperungen Draculas durch Bela Lugosi, Christopher Lee und Klaus Kinski bestimmten das Bild. Die interessantesten literarischen Vampire, wie bei Alfred Döblin und H.C. Artmann, reagierten auf den Film-Vampirismus. Der Vampir war von seiner eigentlichen Erfindung im frühen 18. Jahrhundert her ein Provokateur der Aufklärung und ihrer Grenzziehungen. Der Untote ist die Paradoxie schlechthin: das unmögliche Dritte zwischen Leben und Tod. Er ist ein Formwandler, der jederzeit aus seinen Körpergrenzen fließt. Er liebt es zu reisen: über die Grenzen der Nationen hinweg, die sich im 19. Jahrhundert festigen wollen. Bram Stokers Dracula, der 1897 auf der Bildfläche der Weltliteratur erscheint, spricht Rumänisch als Volkssprache, Deutsch als Verwaltungssprache und Englisch als der Mann mit Welteroberungsplänen. So jemand musste auch die Grenzen zwischen den Medien sprengen.

Die interpretatorische Zuständigkeit ist entsprechend offen. Theologen hatten in den Anfängen der Vampir-Debatte viel zu sagen: zum guten Tod, zur Kunst des Sterbens und zum misslungenen Übergang zwischen den Welten. Stephenie Meyer als bekennende Mormonin, die ihrem Liebespaar Bella und Edward ein hellhöriges christliches Gewissen in die Brust legt, hat dem theologischen und religionswissenschaftlichen Ansatz neuen Auftrieb verschafft. Die Meyer-Vampire ringen um ihr Seelenheil, wie ihr Oberhaupt Carlisle darlegt: „Wir sind vermutlich ohnehin verdammt. Doch auch, wenn es vielleicht töricht ist, so hoffe ich, dass man uns den Versuch bis zu einem gewissen Grad anrechnen wird.“

Die Mediziner, die sich in früheren Zeiten zur Tatsache unverwester Leichen verhalten mussten, werden heute von den Jugendpsychologen ersetzt. Denn „Twilight“ sei ein Teenager-Phänomen, glaubt man zu wissen. Jugendliche seien durch Todesgedanken und Selbstmordversuche, die im Vampir-Thema verhandelt würden, besonders betroffen, ebenso von den Erfahrungen einer als unheimlich erlebten Sexualität, die der Biss des Vampirs zweifellos versinnbildlicht. Bella ist 17 ¿, als sie Edward kennenlernt, 18, als sie ihn heiratet. Von je her hat die Vampirliteratur von Adoleszenten und Menschen zu berichten, die kurz vor der Heirat stehen, bei Goethe und Lord Byron ebenso wie bei Bram Stoker. Es sind keine Geschichten von einer langjährigen Entwicklung, sondern von einem einzigen gefährlichen Schritt. Um Jugendliteratur handelte es sich gleichwohl niemals, sondern um den Versuch, der menschlichen Triebnatur dort auf die Spur zu kommen, wo sie sich am wenigsten geschützt zeigt.

Die Literatur- und Filmhistoriker schließlich finden in „Twilight“ fast nur Bekanntes wieder. Das Vampirgenre ist eine konservative Angelegenheit: traditionsverpflichtet und an den verflossenen Zeitaltern interessiert, die in den untoten Hauptakteuren weiterleben. Die Vampire stammen aus der Alten Welt. Zum Zeichen dafür fahren sie europäische Autos, BMW, Mercedes und Volvo, während Bella einen Chevy benutzt. Musikalisch sind Debussy und Verdi, Pachelbel und Wagner angesagt. Die Figurentypen und Handlungsmuster gehören zum eisernen Bestand der Erzähltradition. Bella, die auszieht, das Fürchten zu lernen, ist mit ihren „zwei linken Füßen“ der Dümmling des Märchens: übermäßig ungeschickt, unbegründet sorglos und gerade deshalb unter den Schutz höherer Mächte gestellt. Auch die intime Vereinigung zwischen einem Menschen und einem Anderswesen ist eine alte Geschichte: die sogenannte Mahrtenehe. Bella und Edward heiraten unter den Klängen des Hochzeitsmarsches aus Wagners „Lohengrin“, wo sich ein solcher Fall zwischen Elsa von Brabant und Lohengrin vom Heiligen Gral abspielt. Bei einer Verbindung zwischen Mensch und Übermensch sind Beziehungsprobleme natürlich vorprogrammiert. Bella wartet gut 2000 Seiten darauf, dass Edward sie zu seinesgleichen macht und das Missverhältnis damit auflöst. Wohl- und Übelmeinende versuchen das zu verhindern, im Falle von „Twilight“ der Indianerjunge und Werwolf Jacob.

Wirklich neu an „Twilight“ ist, dass sich die Vampir-Fantasie hier von der Ästhetik des Horrors entfernt. Man kann das als die Zähmung eines bislang erfinderischen enfant terrible bedauern. Die einzigen Konventionen, die Edward verletzt, betreffen das Vampir-Image selbst. Er ist kein Untoter, sondern ein Unsterblicher, keine Arabeske, in der sich Abstoßendes und Anziehendes ineinander verschlingen, sondern eine Marmorskulptur von klassischer Vollkommenheit. Edward ist nur deshalb Vampir, um ein vollkommener Gatte zu sein: attraktiv, reich, erfahren. Die Vampirbraut will nicht das Andere und Abweichende, sondern die Über-Erfüllung aller konventionellen Werte und Normen. Nach jahrhundertelangen Exzessen schwelgt der Vampir in den Wonnen der Gewöhnlichkeit: in Baseball und Schulball, Zweitwagen und Eigenheim, Flitterwochen und Familienglück. Am Ende ist alles perfekt. Es gibt eben kein twilight in „Twilight“: kein Zwielicht, keine Zwischentöne, nichts Gebrochenes, nichts Changierendes. Das Einzige, was dieser Banalisierung des Vampirtums entgegenwirkt, ist die weibliche Erzählperspektive. Bella erzählt den Vampir, sie weidet sich an ihm, macht ihn zum Objekt ihres Voyeurismus.

Als Teenie-Phänomen ist der Vampir weit unter Wert verkauft und nicht angemessen zu verstehen. „Twilight“ bestreitet die Jugendsparte eines vampirisierten Medienmarktes, der um die Jahrtausendwende herum zu boomen begann und inzwischen erhebliche Ausmaße angenommen hat. Trilogien und Tetralogien sind das Normalformat: bei „Blade“ und „Underworld“, aber auch bei den Roman-Reihen „House of Night“ (von P.C. und Kristin Cast), „Erben der Nacht“ (von Ulrike Schweikert) und „Vampyr“ (von Brigitte Melzer). Die Serien „Moonlight“ (2007/08), „True Blood“ (seit 2008) und „Vampire Diaries“ (seit 2009) infiltrieren inzwischen den Fernsehalltag. Der neue Vampirismus ist kein Saison-Ereignis, sein Ende noch nicht absehbar. Er beherrscht bisher eine volle Dekade: Das Zeitalter der Vampire.

Dr. Stefan Keppler-Tasaki ist Professor an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der Freien Universität Berlin.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates