Der androgyne Vogel

Das betörende zweite Album von Anthony And The Johnsons kommt gerade recht in einer Zeit, da Zwitterwesen die Popmusik dominieren.

So geschminkt und aufgetakelt der Mann am Klavier auch sein mag, so direkt und unverblümt ist seine Seelenschau. Er singt wie ein sterbender Engel, die Texte behandeln Verlangen, Verzweiflung und Sex. Der androgyne Grenzgänger Antony fasziniert derzeit viele Menschen, denn die torch songs seines zweiten Albums „I Am A Bird Now“ gehören zum Schönsten und Intensivsten, was in diesem Jahr bislang an Musik erschienen ist Ein Triumph, den sich Antony wohl vor allem durch das konsequente Ausleben seiner inneren Zwänge und Neigungen erarbeitet hat. Bereits in seiner frühen Kindheit spürt er, daß sein Lebensweg ein wenig anders aussehen wird, und sucht sich bald die entsprechenden Vorbilder und Notausgänge. Etwa Boy George, dessen erstes Culture Club-Album „Kissing To Be derer“ Antony aufhorchen läßt und den er als Seelenverwandten betrachtet. Mit 13 bekommt er dann eine Platte von Klaus Nomi geschenkt – und ist vollkommen hin und weg. „Seine Version des ,Cold Song‘ hat mich schlicht überwältigt. Die subversive Schönheit dieses Stücks hat Maßstäbe gesetzt Ich liebe ihn sehr, er hatte einen großen Einfluß auf mich.“ Die Dokumentation „Mondo New York“, die sich mit der Untergrund-Cabaret-Szene New Yorks befaßt, beeindruckt Antony ebenfalls nachhaltig.

Antony ist 19 Jahre alt, als er 1990 den Umzug in die Metropole wagt. „Ich wollte New Yorks schlimmsten und bizarrsten Nachtclub finden, um dort aufzutreten und neue Leute kennenzulernen. Das hat auch bestens geklappt, denn nach kurzer Zeit kannte ich jeden halbwegs interessanten Drogenabhängigen, Transvestiten und SM-Anhänger in der Stadt.“ Antony fühlt sich in der homosexuellen Szene des East Village pudelwohl – und kommt auch ansonsten voran. Mit Freunden laut Antony „Drag-Queens and afterhour-types“ – tritt er im Pyramid Qub auf, nennt seine bunten und anstrengenden Shows „Blacklips“ und singt selbst geschriebene Liebeslieder. Die Abende endeten meistens in einem wilden Fiasko – und damit ganz nach dem Geschmack Antonys, der anfangs ausloten wollte, was er mit einem betrunkenen Nachtclub-Publikum alles anstellen kann.

2000 erscheint die erste Antony & The Johnsons-Platte auf David Tibets Durtro-Label. Die Johnsons sind nun fester Bestandteil von Antonys Musik-Projekt Der Produzent Hai Willner engagiert ihn für Reeds „The Raven“-Projekt. Und tatsächlich stößt Antonys Version von „Perfect Day“ bei dem chronisch coolen Leder-Macho auf Begeisterung. Prompt nimmt Reed den tuntigen Existentialisten in das Tour-Ensemble für „The Raven“ auf und läßt ihn auf der Bühne „Candy Says“ singen. Womit sich der Kreis wieder schließt, denn die Warhol-Muse Candy Darling zählt ebenfalls zu Antonys wesentlichen Vorbildern.

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