„Der Einfluss ist gigantisch!“

Nicht nur Mick Jagger, Pharrell Williams und Lenny Kravitz sind seine Freunde: US-Designer Tommy Hilfiger über die Macht der Musik Interview von Anne Philippi ·

Tommy Hilfiger hat noch einiges auf dem Zettel für heute. Interviews, kurz schlafen wegen Jetlag und am Abend schon wieder die nächste Party. Kürzlich hat er einen neuen Duft herausgebracht, der „LOUD“ heißt. Der Name ist kein Zufall. Hilfiger ist von Musik geradezu besessen. Ohne den richtigen Sound, so scheint es, kann er nicht mal ein T-Shirt designen. Er braucht Rockstars, Konzerte in Stadiongröße, um Kleider zu entwerfen. Und er kennt die Größen des Business wirklich alle, privat und geschäftlich. Ob HipHopper oder Rockstar, ob etablierter Sänger oder neue Hoffnung, er scheint der Mann zu sein, auf den sich die unterschiedlichsten Künstler einigen können. Kaum eine seiner Anzeigen in den letzten Jahren erschien ohne ein Gesicht aus dem Rock- oder Pop-Reich, selbst Mick Jaggers und Keith Richards‚ Kinder warben schon für Hilfiger.

Als er im September in New York den 25. Geburtstag seiner Firma feierte, sah es nicht aus wie auf einer Mode-Party, sondern wie auf einer Grammy-Verleihung. The Strokes spielten nach langer Abwesenheit, Jennifer Lopez lungerte entspannt auf einem der Sofas, Kelly Osbourne stolzierte im Spitzenkleidchen herum, und Lenny Kravitz und Russell Simmons schauten sich die Models an. Vielleicht ist es gerade die Musik, über die Hilfiger in die Köpfe seiner amerikanischen Landsleute schaut, um sie so besser verstehen zu können.

Herr Hilfiger, leben wir in der Lady-Gaga-Ära?

Was meinen Sie damit?

Gagas Einfluss scheint riesig. Sie wird als „Gift für das Gehirn unserer Kinder“ („Fox News“) verteufelt oder zur „neuen spirituellen Führerin“ (Oprah Winfrey) ausgerufen …

So gesehen ist Gaga natürlich Anführerin unserer Ära! Sie zeigt uns eine neue Welt, die wir so noch nicht kannten. Sie hat eine neue Art von Ruhm erfunden. Eine Mixtur aus dem alten Starbild und einer digitalen Figur.

Warum wird sie verteufelt?

Diese Reaktion ist völlig normal. Als Keith Richards und Mick Jagger einst mal wegen Drogenbesitzes festgenommen wurden, fragten sich viele, warum den beiden die Welt zu Füßen liegt. Ich glaube, dass etwa alle zwei Jahre eine neue Pop-Ära beginnt.

Lady Gaga ist weltweit ein Phänomen, ihre Strahlkraft funktioniert nicht nur in Amerika.

Wir können ja nicht nur über Gaga nachdenken. Ich finde, Amerika ist derzeit generell gut drauf, popmäßig. Wir haben aktuell Justin Bieber, Kings Of Leon und Katy Perry. Dazu kommen weitere große Namen, die global punkten: Jeff Koons, Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol, Hollywood, Apple, Facebook, Microsoft. Unser Einfluss auf die Welt ist gigantisch. Es existiert eine Formel, aus der die USA bestehen und immer bestehen werden: wir haben F(Fashion) A(Art) M(Music) E (Entertainment), also FAME. Das ist unsere Stärke. Das Vielfältige macht uns so stark. Und die Idee, dass jeder alles machen kann, wenn er nur will.

Sie könnten FAME als Partei anmelden!

Ich mache lieber Mode. Und zwar möglichst demokratische.

… Sie haben den Look der herrschenden amerikanischen Klasse, den der Preppies, Ivy League und der Harvard-Absolventen, in den 80ern für die Masse übersetzt …

Das war mein Ziel. Ich fand, jeder sollte an diesem Look teilhaben. Früher erkannte man Harvard-Absolventen nur an strengen Brooks-Brothers-Hemden. Ich wollte diese Ästhetik zugänglicher machen. Ich wollte, dass es eine globale Uniform wird: klassisch, cool und amerikanisch. Jeder Surfer, Punk und Hipster sollte seinen Look mit meinem verbinden Also designte ich alles oversized, washed out und bequem: Das kann jeder anziehen. Ich wollte, dass alle meine Sachen tragen: Weiße, Schwarze, Latinos, Chinesen, Lesben, Schwule …

… also Amerika.

Genau. Mitte der 90er verschwand der Hilfiger-Look für einige Zeit. Prada oder Calvin Klein dominierten mit grau, beige, schwarz und weiß die Laufstege. Das war nicht so mein Fall. Ich kam aus den 60ern. Ich hatte immer Mick Jagger vor Augen, wenn ich mich anzog. Es ging um Energie, um Aussage, nicht um Exklusivität.

War das Verhältnis von Politik und Musik in den 60ern wirklich enger?

Musik bedeutete sehr viel, vielleicht mehr als heute. Ich lebte in den 60er-Jahren in Elmira, das ist ein provinzieller Ort nahe New York. Es war die Zeit, als alle anfingen, Led Zeppelin zu hören, und jeder wollte so aussehen wie der Sänger Robert Plant. Mein erstes Led-Zeppelin-Konzert hat alles für mich verändert. Das war etwas Neues, bisher Unbekanntes, für das alte Amerika ein bedrohlicher Look.

… der von einer Schallplatte, einer Frisur, einer Hose und einem nackten Oberkörper ausging. Wie bei Lady Gaga.

Stimmt. Doch früher glich die Sache mit der Musik einem Ritual, einer Zeremonie. Du hast dir die Platte gekauft, dich in dein Zimmer eingesperrt, die Platte aufgelegt und dir währenddessen die Fotos angeschaut und dich dann in die Musik hineinfantasiert. Ich wollte unbedingt diese langen Haare und die Schlaghosen.

Die es ja nicht einfach nebenan gab. Und das Internet existierte nicht.

Genau. Diesem Umstand verdanke ich meine Karriere. Ich fuhr nach New York, um die Hosen zu kaufen. Auf dem Schulhof sprachen mich Jungs an, die auch so eine Hose wie Jimmy Page und ich haben wollten. So kam ich auf die Idee, einen Laden in Elmira zu eröffnen. Ich nannte ihn „The people’s place“ und verkaufte dort eben Schlaghosen-Jeans. Ich hängte Bilder der amerikanischen Ikonen auf: Monroe, die Kennedys. Paul Newman. Es war ein sehr cooler Ort. Es lief coole Musik, und alle coolen Leute aus Elmira hingen dort ab. Ich wollte das, was ich in New York gesehen habe, bei mir zu Hause nachspielen.

Haben Sie selbst auch in einer Band gespielt?

Ich habe sogar eine Formation gegründet, die hieß „Glasshead“. Ich hatte aber kein Talent, also haben meine Brüder übernommen. Ich habe alles versucht: Sänger, Gitarrist, Schlagzeuger. Sie merken ja schnell, wenn Sie was nicht können. Was ich aber gut konnte, war offenbar, die Idee einer neuen Musik in Kleider zu übersetzen.

Für die HipHop-Gemeinde hat das perfekt funktioniert. Russell Simmons, Mitbegründer von Def Jam, erklärte, Sie würden den „amerikanischen Traum“ repräsentieren und genau hinschauen, was der HipHop-Mann will. Zum Beispiel „genügend Raum für seine Eier in den Hosen“ …

Russell ist ein Chef! Er kommt immer zu meinen Partys. Als HipHop in den 90ern wirklich groß wurde, waren wir die Marke des Augenblicks. Schwarze, die erfolgreiche Musik machten, wollten endlich zum Establishment gehören. Also wollten sie auch eine Marke mit Status tragen, und eine, die eben die Ivy-League- und Preppy-Ästhetik der weißen College-Jungs beinhaltete. Die HipHop-Gemeinde hat uns noch größer gemacht. Und wenn Snoop Dogg ein Shirt trägt, wollen es eben sofort 1000 junge Schwarze danach genauso tragen.

Laut Q-Tip sind sie quasi selbst HipHopper, da heißt es: „Tommy Hil was nigga/ And others couldn figga / How me and hilfigga moved through this vigga.“ Versorgen die Jungs Sie eigentlich ständig mit neuer Musik?

Gestern erst war Pharrell Williams in meinem Office, und wir hingen zwei Stunden ab, um Musik zu hören, davor war Lenny Kravitz da, davor Mick Jagger. Wir hören neue Tracks, streiten darüber, wer hot ist und wer nicht. Außerdem ist mein Team sehr jung und schleppt alles Mögliche an. Nicht nur Neues. Neulich kam einer meiner Assistenten mit Musik von Pink Floyd, die kannte er bis dato noch gar nicht. Danach hörten wir eine ganz Woche lang die frühen Werke. Das ist anregend für mich, wenn ich so was nach extrem langer Zeit wieder mal höre. Ähnlich funktioniert das mit den Songs der Rolling Stones.

Gibt es in der Mode auch eine Ebene, wie die Rolling Stones sie in der Musik darstellen? Anders gefragt: Sind Sie, Karl Lagerfeld und Ralph Lauren eine Art Stones, weil Sie einfach nicht aufhören?

Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich gerne die Rolling Stones!

Warum die?

Sie gehen auf Tour, sie haben ein unfassbares Logo, und sie machen die Hallen voll. Was will man mehr?

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