Der einsame König – Ron Sexsmith im Gespräch

Ron Sexsmith beherrscht das Handwerk des Songwriting wie kein Zweiter seiner Generation - und er hat die wohl prominenteste Fangemeinde des Pop. ROLLING STONE trifft den schüchternen Zweifler auf einen Pfannkuchen in Toronto

Elliott Smith hatte dieses Heroinding, ich war einfach immer uncool

Die, nun ja, Marketingstrategie, die er sich stattdessen ausgedacht hatte, wurde leider abgeschmettert: Ihm war aufgefallen, dass viele erfolgreiche Songs von Künstlern wie Jennifer Lopez oder Enrique Iglesias einen Rap-Part haben, der meist vom kubanischstämmigen Sprechsänger Armando Christian Pérez alias Pitbull bestritten wurde. Daraufhin habe er überlegt, auf dem Cover des neuen Albums mit einem Kampfhund zu posieren und es „Ron Sexsmith Featuring Pitbull“ zu nennen. Die Rechtsabteilung von Warner Canada riet ihm ab. Nun heißt es „Carousel One“ – nach dem Gepäckband, an dem die Koffer ankommen, wenn man von Toronto nach Los Angeles fliegt, wo das Album entstanden ist. Man kann das Licht, die Weite und die Wärme des Aufnahmeortes spüren, es ist eines seiner hellsten und offensten Werke. „Auf dem Cover lächle ich sogar“, sagt er stolz. „Das gab es noch nie.“ Seine Einsätze an Orgel, Klavier und Gitarre geben den ansonsten von Studiocracks eingespielten Tracks eine Frische und Naivität, die an die großen Momente der Kinks Mitte der Sechziger erinnert. „Ja, modern klingt das vermutlich alles nicht“, hadert Sexsmith. „Aber ich bin über 50 und mag konzise Songs – da gibt es wirklich schlechtere Referenzen als die Kinks.“

Es ist wohl in vielen großen Songwritern angelegt, dass sie zugleich Nostalgiker sind und sich fehl am Platz fühlen – das hört man den Liedern von Ray Davies ebenso an wie denen von Brian Wilson, der ja einst sogar sang: „I just wasn’t made for these times.“ Sexsmith stimmt in diesen Chor mit seinem neuen Song „Nothing Feels The Same Anymore“ ein: „I’d love to hear a song from long ago/ Phoebe singing ,Take Your Children Home‘/ For I am one and I have lost my way/ Nothing feels the same anymore/ And it feels as though heaven has closed the door.“

„Die ursprüngliche Idee für dieses Lied hatte ich, weil ich dauernd diese Indie-Mädchen in den Werbespots gehört habe“, erklärt er. „Immer diese Ukulelen, Xylofone und Mädchen, die ,It’s a love-ly day‘ oder so quäken. Wo kriegen sie die alle her? Gibt’s da eine ganze Armee? Und irgendein Marketing-Typ sagt: ,Wir brauchen so eine wie Feist.‘ Denn das geht schon so, seit sie ihr ,1234‘ für eine Mobiltelefonwerbung freigegeben hat.“ In der Zeit, als er bei seinen Spaziergängen diese Idee im Kopf hin und her gewendet habe, sei die amerikanische Songwriterin Phoebe Snow gestorben, die er gerade für sich entdeckt hatte. „Ich war sehr traurig, dass es nie wieder eine Platte von ihr geben wird und von niemandem, der so ist wie sie – allein wie sie Gitarre spielt, die Intelligenz der Texte und wie sie die singt, das ist einfach so unglaublich großartig, und ich dachte, sie hatte einen Hit mit dem Song ,Poetry Man‘, das würde heute kein Hit mehr werden. Jimmy Webb hatte Hits mit komplexen, poetischen, seltsamen Liedern, oder Laura Nyro, oder Joni Mitchell. Waren die Leute damals einfach intelligenter oder warum hat das damals ein Hit werden können und heute nicht mehr?“ Er schüttelt den Kopf und seufzt. „Ich bin halt alt und klinge vermutlich wie Frank Sinatra, als der sich über den Rock’n’Roll aufregte. Ich passe einfach nicht in diese Zeit.“

Spaziergang durch den Trinity Bellwoods Park

Wie aufs Stichwort schaut er auf die Uhr und steht auf. Er habe gleich Yoga-Kurs, sagt er, er sei nicht besonders scharf drauf, aber er müsse abnehmen – „am schönsten daran sind der Weg dorthin und der Weg zurück. Und die vielen schönen Frauen.“ Er wirft sich den Schal um, den er auf dem Cover von „Forever Endeavour“ trug, und setzt die dazu passende Ignatius-Reilly-Kappe auf – „die Jacke dazu habe ich verloren, ich verliere ständig die Klamotten, die ich auf meinen Covern trage“. Wir spazieren durch den Trinity Bellwoods Park, in dem sich ein Schwimmbad befindet, das Sexsmith im Sommer regelmäßig besucht.

„Hier lebt ein weißes Eichhörnchen“, erklärt er. „Es ist eine kleine Berühmtheit. Gegenüber gibt es sogar eine Kneipe, die sich nach ihm benannt hat. Es soll Glück bringen, wenn man es sieht. (Kunstpause) Ich hab es schon lange nicht mehr gesehen.“

Ich lache, Sexsmith schaut mich fragend an. Dann trennen sich unsere Wege.

„Ich denke manchmal, Ron Sexsmith würde gut in einen Film von Tim Burton passen“, sagt am Abend ein Songwriter und jahrelanger Bewunderer, als ich ihm in einer Bar von meinem Interview erzähle. „Er ist wie der Pinguin aus ,Batman‘, der sich die ganze Zeit über die Verdorbenheit der Menschheit aufregt. Dabei hat er es doch eigentlich ganz gut getroffen: Er hat eine große Plattenfirma, er hatte ein paar Radiohits, und jeder weiß, dass er einer der größten Songwriter unseres Landes und unserer Zeit ist.“

Ron Sexsmith hat wirklich allen Grund, auf dem Cover seines neuen Albums zu lächeln.

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