Der „Grand Prix“ konnte Brainstorm nichts anhaben, und auch die Tatsache, dass sie aus Lettland kommen, ändert nichts daran: Die fünf machen großartigen Pop

Wenn einer weiß, wie wenig viele Europäer über Europa wissen, dann Reynard Cowper. Der Mann ist Sänger der Band Brainstorm. Und Brainstorm kommen aus Lettland. Nicht aus Litauen, nicht aus Estland. Das ist ein Unterschied! Und wie heißt die Hauptstadt von Lettland? Früher machten da viele Bekanntschaften dicke Backen, aber seit dem diesjährigen „Grand Prix d’Eurovision“ muss Cowper nicht mehr gar so oft aushelfen: Riga. Und dort wurden Brainstorm vor mehr als zehn Jahren gegründet, damals noch als Prata Vetra.

Im Jahre 2000 traten sie selbst bei dem berüchtigten Schlagerwettbewerb an – ohne indes so recht zu wissen, worauf sie sich einließen: „Wir kannten den Grand Prix gar nicht, hatten nur Gerüchte gehört, dass das bloß noch Großeltern ansehen. Aber das war uns egaL“ Sie wurden Dritte, vor allem aber beeindruckte Cowper mit seiner exaltierten Performance und einem herrlichen Popsong („My Star“). In diesem Jahr durfte er dann sogar moderieren was die Band zunächst uncool fand. Aber der Charmeur setzte sich durch: „Mir gefällt’s, den Grand Prix zu moderieren und kurz darauf Support der Stones zu sein. Bloß keine Langeweile!“ Die hatten Brainstorm seit Jahren nicht mehn Erst tourten sie endlos durch Skandinavien, dann wurden sie Superstars in Polen – und jetzt wollen sie es Deutschland zeigen, mit dem neuen Album „A Day Before Tomorrow“. Vor ein paar Jahren hatten es Brainstorm schon mal hier versucht: „Als wir damals bei der Popkomm erzählten, dass wir aus Lettland kommen, drehten sich alle weg. Deshalb fingen wir an zu behaupten, dass wir Australier seien. Das lief besser. Andererseits hat man als Lette natürlich den Exoten-Bonus.“ Tatsächlich klingt der schwelgerische Pop von Brainstorm nicht so wie der von Coldplay, Starsailor oder anderen britischen Artverwandten. Ständig integrieren sie kleine Sound-Uberraschungen in ihre Songs, und obendrein singt Cowper mit seiner überkippenden, rührenden Stimme auch weitaus seltsamere Texte. Produzenten wie Steve Lyon wundern sich oft, dürfen aber nur grammatikalische Fehler ausbessern.

Cowper studierte vier Jahre lang Journalismus, brachte es aber bisher nur auf zwei Interviews: Magne Furuholmen von A-ha und Michael Stipe von R.E.M. – nicht schlecht für einen, der früher mit seinen Eltern Bad Boys Blue hören musste und erst Ende der 80er Jahre Depeche Mode entdeckte. „Man gewöhnt sich so schnell an alles. Vor 15 Jahren standen wir noch mit Marken um Zucker an und wuschen Plastiktüten aus, um sie wieder und wieder zu benutzen. Heute ist Riga wie jede andere europäische Stadt. Aber der große Unterschied ist: Uns ist bewusst, wie gut es uns jetzt geht.“ Er lacht und schaut auf das neue Album. „Manchmal fragen wir uns, warum wir, die wir doch so fröhliche Typen sind, im Studio so melancholische Lieder produzieren. Muss ein Virus sein!“

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