Der Schatz im Baggersee

Wurde Winnetous Gold von Old Shatterhand geklaut und in einem sächsischen Bergwerk versteckt? "Quinn Kuul" von Bernd Imgrund enthüllt Unglaubliches

Wenn ich mal ein Buch schreibe“, meint der titelgebende Held und Ich-Erzähler aus Bernd Imgrunds neuem Roman „Quinn Kuul“ (Haffmans bei 2001,17,90 Euro) allen Ernstes, „dann muss das abgehen wie bei Karl May. Auf Seite 1 die Prärie, auf Seite 2 begrüßen sich Winnetou und Old Shatterhand. Und danach kommt auch schon Santer mit seinen Spießgesellen angejagt und brennt Baumanns Farm nieder.“

Und so ähnlich liest sich dann auch sein „Bericht“ aus den wilden Achtzigern. Wer sich schon Karl May als Vorbild nimmt, von dem darf man auch nichts anderes als einen voluminösen, auf so etwas wie Handlungslogik und Wahrscheinlichkeit schlicht pfeifenden Kolportageschmarrn erwarten, ein auf 600 Seiten angemästetes Bahnhofsheftchen sozusagen. Nur meint Imgrund – Jahrgang 1964, ehemaliger Politikredakteur, unter anderem Autor eines Fußball-Reiseführers und eines Skat-Lesebuchs – hier fast nichts wirklich ernst. Ironische Brüche, überall.

Der abgebrochene Gymnasiast Kuul keult als „Absacker“ in einem Rußwerk seine drei Schichten und hat es sich im warmen Proletenmuff behaglich gemacht. Die Kollegen sind alle‘ samt originelle Charakterköpfe, die Arbeit ist schön stumpf, die beiden von ihm frequentierten Musikkneipen spielen „Radar Love“ und „Karl der Käfer“, und für alles andere sorgt das Kölsch, nur gut im Nullzweier-Reagenzglas – und „Frl. Sylvie“, die aus der Entfernung angeschmachtete Supermarkt-Verkäuferin, der ihr weißer Kittel ziemlich gut steht. Aber dann stümpert er auf einer Anti-Nachrüstungs-Demo etwas Agit-Prop in die laufende Kamera („Venceremos“) und wird vom geheimnisumflorten, sehr einflussreichen Hippie Kruddewich als Spitzel angeworben.

Und jetzt nimmt das imaginative Spinnrad des Autors richtig Fahrt auf. Es ist nicht Seite 2, sondern36, aber immerhin… Es gilt nämlich eine Verschwörung von welthistorischem Ausmaß aufzudecken. Die ostdeutsche Friedensbewegung hat sich mit der Stasi zusammengetan und bietet Bundeskanzler Schmidt die völlige Kapitulation der maroden DDR an. Der wird aber bald durch den berühmten Verrat der FDP und das anschließende Misstrauensvotum abgesetzt, und Kohl will dem geheimen Angebot noch nicht zustimmen, weil er am kurzen Gängelband Reagans zunächst die Nachrüstung durchsetzen muss. Und so wird die Wiedervereinigung, wie wir wissen, erst mal vertagt. Und zwar trotz der ansehnlichen Mitgift, die der Osten in die Ehe mitbringen will: Winnetous Schatz. Jawohl.

Über drei Jahrzehnte nach dem Tod Winnetous, Anfang des 20. Jahrhunderts also, sei Karl May nämlich noch einmal an seine alte nordamerikanische Wirkungsstätte zurückgekehrt. .Weihnachten“, Band 4 der Winnetou-Saga, lege davon ja teilweise Protokoll ab. Was Old Shatterhand dort aber geflissentlich unterschlage: Er birgt den Indianerschatz – modernes Gerät macht das jetzt möglich -, transportiert ihn nach Sachsen, um ihn dort in einem Lausitzer Braunkohle-Baggerloch einzulagern.

Imgrund setzt eine beachtliche Menge an Personal in Bewegung, um diese irrwitzige Konstellation nach und nach in Thriller-Manier aufzudecken: einen masochistischen Sänger mit Mutterkomplex, der als Mittelsmann für die Schatzkarte figuriert, seinen dubiosen Manager, der sich das Gold unter den Nagel reißen will, einen schwulen FDP-Politiker, der die Koalition seiner Partei mit der CDU verhindern will und Details über die Vereinigungspläne auszuplaudern droht. Eine linke Verschwörerbande, die sich als Wikinger verkleidet und die drohende Einheit zu verhindern trachtet. Der Hippie-Idealist Kruddewich dagegen, so schwant es Quinn Kuul irgendwann, will den Schatz selbstredend an die bestohlenen Apachen zurückgeben.

So geht das in „Quinn Kuul“ alles fröhlich durcheinander. Zwischendurch erlebt der Titelheld dann immer mal wieder ein paar Hochs und Tiefs mit seinem Frl. Sylvie, und beim großen Finale- nein, das wird jetzt nicht auch noch verraten. Wer knapp 600 Seiten schafft, braucht eine Belohnung.

Man hat bisweilen allerdings den Eindruck, als rutsche Bernd Imgrund der Handlungsfaden selber gelegentlich aus den Fingern. Hier wimmelt es nur so von Ungereimtheiten und fragwürdigen Handlungsvolten, die umso schwerer ins Gewicht fallen, als der Roman über weite Strecken gar nicht so besonders spannend ist.

Das liegt zum einen an der Geschwätzigkeit des rheinländischen Schelmen Kuul, der jede Gelegenheit zur Abschweifung nutzt und allenthalben seine mitunter durchaus witzigen und geistvollen, mitunter auch schon mal abgeschmackten alltagsphilosophischen Mini-Exkurse einflicht. Zum anderen liegt es an der empathischen, liebevollen Akribie, mit der der Autor die Interieurs beschreibt, die Szenen und Milieus koloriert und die Menschen beim Sprechen belauscht. Wie er etwa die Rußwerker in ihrem Alltagsumfeld literarisch inkarniert, ihren harmlosen Chauvinismus, ihre Rituale und Spleens, das ist ehrlich, schmutzig und sehr schön. Auf das ganze abstruse Power-Plotting hätte man da gut und gern verzichten können.

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