Der Wunderknabe

Hip, smart und immer noch im Geschäft: Jac Holzman, der Gründer von Elektra Records, blickt auf sein Werk zurück

Der 75-jährige Tausendsassa steht im Raum wie ein frischgebackener „Admirals Cup“-Gewinner – groß, schlank, gebräunt, die kurz geschnittenen weißen Haare sprießen immer noch beeindruckend zahlreich. So einer joggt vermutlich täglich und ernährt sich nach einem ausgeklügelten ayurvedischen System. Jac Holzman ist ein Macher, ein ausgeschlafenes Alphatier. Und wenn man ihm gegenüber steht, ahnt man, warum der Doors-Keyboarder Ray Manzarek schon 1966 feststellte: Jesus, this guy is not only hip, he’s smart too!“

Schon 16 Jahre bevor er die Doors unter Vertrag nahm, gründete Holzman das vermutlich wichtigste Independent-Label aller Zeiten: Elektra. Tim Buckley, The Incredible String Band, Iggy & The Stooges, Love, The Doors, Phil Ochs – hier waren sie alle und definierten den mit Abstand swingendsten Sound der Sixties. Eigentlich wollte sich der New Yorker Musikmanager und Ex-Produzent schon 1973 nach Hawaii zurückziehen – etwa so wie James Bond, wenn er mal wieder die Welt gerettet hat. Doch das Leben ließ ihm immer wieder neue berufliche Herausforderungen zukommen. Zuletzt war es Edgar Bronfman Jr., der Chef der Warner Music Group, der den alten Innovator 2004 aus dem Quasi-Ruhestand geholt hat, um ihn als Wunderwaffe gegen File-Sharing und iTunes in Stellung zu bringen.

1950, als 19-jähriger Student des St. John’s College in Annapolis, Maryland, hatte Holzman deutlich kleinere Probleme: Damals versuchte der junge Musik- und Technik-Fan, „New Songs By John Gruen“ in den Handel zu bringen, die in drei Stunden aufgenommene erste Veröffentlichung seiner Plattenfirma Elektra: „Kurz vorher hatte die Erfindung der Langspielplatte das Gesicht der Musik grundlegend verändert. Zu Zeiten der 78 rpm Platten gab es keinerlei unabhängige Plattenfirmen, doch nun starteten 500 verschiedene Labels gleichzeitig. Ich begriff das als Chance auch wenn ich von der Kunst des Aufnehmens anfangs keinen blassen Schimmer hatte.“

Geld war praktisch nicht vorhanden, deshalb lag es nahe, sich auf Folk zu beschränken: „Diese Musik ließ sich sehr kostengünstig aufnehmen, es war ja selten mehr als eine Stimme und eine Gitarre“, erinnert sich Holzman mit einem wissenden Grinsen. Doch Folk war für den Jung-Produzenten mehr als nur eine kreative Notlösung. Es war ein Fenster in eine unbekannte proletarische Welt, die sich in Alben wie „Jean Ritchie Singing the Traditional Songs Of Her Kentucky Mountain Family“ offenbarte: „Als Sohn eines erfolgreichen Arztes bin ich mit einem Silberlöffel im Mund aufgewachsen. Folk war für mich etwas Besonderes, diese Songs brachten mir Erfahrungen nahe, die ich aus meinem eigenen Leben nicht kannte. Als mein Vater, der Freunde bei Decca Records hatte, behauptete, aus dem Label würde nie etwas werden, hab ich es erst recht gemacht.“

Holzman erzählt seine Geschichten aus der Gründerzeit stolz, aber ohne jeden sentimentalen Unterton. Er hat nie den Fehler gemacht, die Musik seiner Jugend als unantastbaren Anachronismus zu konservieren: „Als Folk populärer wurde, waren plötzlich Sport-Jacketts und Krawatten gefragt. Deshalb fing ich an, Künstler wie Koerner, Ray And Glover unter Vertrag zu nehmen. Das waren weiße Kids, die sich so ausdrückten, dass es andere weiße Kids verstanden – ohne dass dabei das Feeling verloren ging. Das Problem war, dass uns relativ schnell die Lieder ausgingen. In den 50er Jahren gab’s nicht sehr viele bekannte Folksongs, grob geschätzt war es eine Bibliothek von 500 Songs. Deshalb kamen Leute wie Tom Paxton, Phil Ochs und Bob Dylan daher und schrieben eine Menge neuer Musik, scheinbar im Folk-Stil, doch es war etwas ganz anderes.“

Mit diesem Paradigmenwechsel beginnt für Elektra das goldene Zeitalter. Das bodenständige Folk-Label wandelt sich ab 1963 zu einem urbanen Songwriterlabel, mit Künstlern wie der grandiosen Beatnik-Queen Judy Henske und dem neuen Haus-Produzenten Paul Rothchild: „Wir veröffentlichten damals nicht mehr als 20 oder 22 Alben im Jahr. Soviel konnten wir gut und effektiv vermarkten. Aufgenommen haben wir allerdings 25 bis 26 Alben, weil es immer ein paar Produktionen gab, die wir nicht herausbringen wollten, weil sie nicht unseren Standards entsprachen.“

Der soziale Kontext der Sechziger – die Bürgerrechts-Bewegung, Hippies, Studentenunruhen – spielt bei Elektra eine wichtige Rolle: „Wer das soziale Umfeld ignoriert, ist schlicht dumm“, raunzt der Ex-Label-Patriarch. „So etwas beeinflusst selbst ein Liebeslied. Aus diesem Grund mochte ich Phil Ochs, er war ein großartiger Songwriter und sehr gut darin, über aktuelle Themen zu singen. Denn wenn man in der Geschichte etwas zurückgeht, landet man bei den Troubadouren. Sie waren die Nachrichtensprecher ihrer Zeit, sie zogen durch die Lande und erzählten den Menschen in ihren Liedern, was in der Welt geschieht.“ Je weiter die Sechziger fortschreiten, umso psychedelischer und rockiger werden die Veröffentlichungen des Labels: Das von Jac Holzman initiierte Sternzeichen-Projekt The Zodiac Cosmic Sounds ist mit seiner psychedelischen Prä-Elektronik nur ein schillerndes Beispiel für die Fähigkeit von Elektra, sich immer wieder neu zu erfinden.

Auch mit den Signings von Love und den Doors bewies Holzman seinen guten Riecher. Viermal hat er sich Morrisons Truppe 1966 im Whiskey-Go-Go in L.A. angesehen, bis er die Band schließlich unter Vertrag nahm: „You could rock and boogie and think at the same time“, fasst er das Talent der Doors zusammen. „Sie hatten eine Linie in ihrer Musik, die mich an Bauhaus-Architektur erinnerte.“

Weil Folklore bei Elektra immer mehr ins Hintertreffen geriet, hatte Holzman schon 1963 das Label Nonesuch gegründet. Hier erschien, neben preiswert lizenzierter Klassik und früher Elektronik, vor allem die legendäre „Explorer Series“: „Das waren Field-Recordings. Mit Nonesuch orientierte ich mich an Moses Ashs Folkways-Label: Er hat praktisch nichts für die Musik bezahlt, doch er hat sie aufgenommen und veröffentlicht. Es war allerdings ein Fehler, in der Regel nur 200 Stück in Umlauf zu bringen. Ich sagte: Lasst uns 5000 Stück pressen und sehen, was passiert. Dieses Konzept hat so gut funktioniert, dass wir Elektra mit Gewinnen von Nonesuch subventionieren konnten.“

Die Geschichte von Elektra, dem Independent-Label, dass das fehlende „k“ von Jac im Namen trägt, endet 1970 mit dem Verkauf an Warner Communications. Holzman bleibt noch für weitere drei Jahre an Bord, in denen er unter anderen auch Queen unter Vertrag nimmt.

Heute betreibt der Workaholic für Warner das digitale Label-Experiment „Cordless“: „Wir sind zur Zeit der einzige Major, der MP3s produziert“, behauptet Holzman grinsend und mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der schon manchen Karren aus dem Dreck gefahren hat. „Und wissen Sie was? Die erste Dekade dieses Jahrhunderts besitzt eine verdammt große Ähnlichkeit mit der ersten Dekade der Langspielplatte.“

Was soll bloß aus der Plattenbranche werden, wenn Gründervater Jac Holzman dermaleinst wirklich in Rente geht?

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