Die andere Seite der Grenze

Meine Familie kommt aus Mexiko und lebt heute in den USA. Ich bin das jüngste von sieben Kindern und wurde als Einziger während eines Ausfluges meiner Eltern in den USA geboren, meine Kindheit habe ich aber in Mexiko verbracht. Als ich sieben Jahre alt war, sind wir umgezogen – auf die andere Seite der Grenze. Dort habe ich schnell Englisch gelernt und mich eingelebt, für meine Geschwister war die Umstellung schon um einiges schwieriger. Zuerst ist mein Vater alleine nach Arizona gekommen und hat für unsere Familie ein Haus auf der amerikanischen Seite der Grenzstadt Nogales errichtet. Als er alle Papiere für die Familie beisammenhatte, kamen wir nach. 1988 wurde ein neues Einwanderungsgesetz erlassen und auch die restlichen Verwandten kamen rüber, sodass die ganze Familie wieder vereint war.

Obwohl wir nie Illegale waren, sind wir doch aus den gleichen Beweggründen über die Grenze gekommen wie sie: die Hoffnung auf ein besseres Leben. In unserem Fall war es die richtige Entscheidung. Meine Geschwister haben Unis besucht und arbeiten heute in angesehenen Jobs. Und ich, ich kann hier an meiner Musikkarriere basteln. Vielleicht wäre ich auch in Mexiko Musiker geworden, vermutlich wären die Ausgangsbedingungen dort aber schlechter gewesen und ich hätte einem härteren Job nachgehen müssen.

Persönlich kenne ich niemanden ohne Papiere, aber in Tucson kreuzen sich meine Wege täglich mit denen illegaler Arbeiter. Und ich verstehe, dass sie Geld verdienen müssen, um es ihren Familien nach Mexiko zu schicken. Für viele hier sind Illegale entweder unsichtbar oder sie beschweren sich, dass sie ihnen die Jobs wegnehmen. Aber die Mexikaner schuften in Jobs, für die sich die meisten US-Amerikaner viel zu schade sind. Natürlich ist das Ausbeutung, im Laufe der Jahre hat sie sich als selbstverständlich etabliert. Ein krasses Beispiel sind die Bauarbeiten an der Grenze. Dort wurden Mauern errichtet, um mexikanische Einwanderer abzuhalten und als diese nicht mehr ausreichten, wurden sie erhöht. Von Mexikanern, natürlich. Ironisch, nicht wahr? Diese Schizophrenie ist Alltag im Grenzgebiet der USA und exemplarisch für unsere Gesellschaft.

Deswegen hat sich in den vergangenen Jahren auch eine Gegenbewegung zu Grenzpatrouillen und Minutemen formiert. Gruppen, wie „No More Deaths“ oder „Border Action“ verdienen es, in der Debatte mehr Gehör zu finden. Ihr erklärtes Ziel ist es, dem Sterben von illegalen Einwanderern in der Wüste ein Ende zu setzen. Ähnlich wie die Minutemen patrouillieren sie durch die Grenzgebiete, doch anstatt Illegale festzunehmen, verteilen sie Wasser und Medikamente und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen. Vor einigen Jahren haben „No More Deaths“ für viel Aufsehen gesorgt: Zwei Mitglieder sind verhaftet worden, als sie versuchten, Illegale für deren medizinische Versorgung nach Tucson zu bringen. Der Fall ging vor Gericht und es gab eine große Kampagne mit dem Slogan „Humanitarian Aid is Never a Crime“. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wurde die Klage schließlich fallen gelassen. Zum Glück, denn die sozialen und politischen Bedingungen spitzen sich zu. Wir wohnen in einer rauen Gegend und brauchen solche Zeichen der Menschlichkeit! (Aufgezeichnet von Rebekka Endler)

Sergio Mendoza, Leader der Psychodelic-Mambo-Big-Band Sergio Mendoza Y La Orkesta, Multiinstrumentalist und Mitglied von Calexico und DeVotchKa, hat sein ganzes Leben im Grenzstreifen verbracht. Er fordert ein Umdenken in der US-Politik und die faire Behandlung von illegalen Einwanderern.

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