ROLLING STONE hat gewählt: Die besten Filme 2025
Für „One Battle After Another“-Regisseur Paul Thomas Anderson war es ein erstklassiger Kino-Jahrgang. Stimmt das? Arne Willander und Marc Vetter über die besten Filme 2025.
1. „A House Of Dynamite“ (Kathryn Bigelow)
Aus drei Perspektiven schildert Kathryn Bigelow denselben Vorgang: Die USA werden mit einer Atomrakete angegriffen. Es gelingt nicht, den Flugkörper abzuschießen. Es bleiben 19 Minuten bios zum Einschlag in Chicago. Wir sehen den Sicherheitsraum im Weißen Haus, den Verteidigungsminister, den Sicherheitsberater, das Heimatschutzministerium, einen Stützpunkt in Alaska, den General der Atomstreitkraft und schließlich den Präsidenten, der an einer Schule mit Mädchen Basketball spielt, als er die Nachricht erfährt. Sie sind verbunden durch eine Videokonferenz. Die Kamera ist mitten im Geschehen. Und auf den Gesichtern von Rebecca Ferguson und Idris Elba sieht man das Unbegreifliche. (AW)
2. „One Battle After Another“ (Paul Thomas Anderson)
In „Boogie Nights“ ging es eigentlich nicht um Pornos, in „Der seidene Faden“ nicht um Mode – und auch in Paul Thomas Andersons zweiter Pynchon-Adaption ist Politik nur der Aufhänger für eine lustvolle Genre-Melange, in deren Zentrum die linksextremen Terrorgruppe „French 75“ steht. Seine gebrochenen Figuren (wunderbar: DiCaprio, Infiniti, Penn) choreographiert der Regisseur durch ein turbulent-rätselhaftes Szenario, das mit der eindrücklichsten Verfolgungsjagd seit „Bullitt“ schließt. (MV)
3. „Der Brutalist“ (Brady Corbet)
„Der Brutalist“ ist einer dieser Filme, mit denen man nicht so schnell fertig wird. Adrien Brody spielt den Holocaust-Überlebenden László Tóth, der nach dem 2. Weltkrieg als Migrant in den USA als Architekt an einen reichen Gönner gerät, der ihn wie ein Vampir intellektuell und moralisch aussaugt. Ein in VistaVision gedrehtes Monumentaldrama als filmische Scherbenwanderung, das seine ganze Energie aus dem Kampf zwischen harscher Vergangenheitsbewältigung und doppelbödiger Zukunftssehnsucht bezieht. (MV)
4. „A Complete Unknown“ (James Mangold)
Vielleicht ist dieses Porträt des Genies als junger Mann etwas zu malerisch geraten. Bob Dylan, ein ziemlich unsympathischer Parvenü, kommt nach New York, besucht den kranken Woody Guthrie, lernt Joan Baez kennen, macht sich einen Namen, schließt einen Plattenvertrag ab, trägt einen Gitarrenkoffer und raucht immerzu. Später kommt alleweil Johnny Cash vorbei, der Dylan aufmuntert. Der Film endet mit dem Auftritt beim Newport Folk Festival, als Dylan gegen den Widerstand der Veranstalter die elektrische Gitarre einstöpselt. Man schaut ja immer auf physiognomische Ähnlichkeit, und Timothy Chalamet sieht Dylan ziemlioch ähnlich. Und ungefähr so singen kann er auch. (AW)
5. „Memoiren einer Schnecke“ (Adam Elliot)
Nach „Mary & Max“ hat der australische Stop-Motion-Künstler Adam Elliot erneut einen Trauerknetklotz von einem Animationsfilm gedreht. Die herzzerreißende Familiengeschichte der Pudels wäre kaum zu ertragen, wenn hier nicht ein absurder Einfall nach dem nächsten folgen würde (Adoption durch ein Swinger-Paar, ein Fettbewunderer als Ehemann). Zudem gibt es lapidar eingeworfene Lebensweisheiten und poetische Figuren wie die resolute Pinky, die man woanders im Kino vergeblich sucht. (MV)
6. „Frankenstein“ (Guillermo del Toro)
Guillermo del Toro ist berühmt für seine opulenten Ausstattungen und begehbare Dekors. „Frankenstein“ ist eine sentimentale Fabel aus dem Reich der Grusel- und Abenteuerfilme, in der Oscar Isaac und Jacob Elordi, Christoph Waltz und Lars Mikkelsen all ihr Schauspieltalent einsetzen. Die Geschichte des traurigen Geschöpes des Dr. Frankenstein, von Mary Shelley erdacht, wird von del Toro in allen schaurigen Details ausgemalt. Eine große viktorianische Liebe kommt auch vor. Die Kostüme und Kulissen sehen unecht und großartig aus. Und der Filme hat, nun: Humor. (AW)
7. „The Mastermind“ (Kelly Reichardt)
Kelly Reichardt ist die bedeutendste Independent-Regisseurin Amerikas, das beweist auch ihr überraschend lässiges, von herbstlichen Seventies-Bildern und rasantem Jazz getragenes neues Werk. Es ist nur vordergründig ein Heist-Film, scheitert der Raub avantgardistischer Gemälde durch einen arbeitslosen Tischler (bis in die Haarspitzen weltabgewandt verkörpert von Josh O’Connor) doch schon in der ersten halben Stunde. Danach werden wir in leise-ironischer Erzählhaltung mit der ganzen Borniertheit eines Träumers auf aussichtsloser Flucht konfrontiert. (MV)
8. „Weapons“ (Zach Cregger)
Geschichten über das Verschwinden von Menschen gibt es im Horrorfilm häufiger, doch „Barbarian“-Regisseur Zach Cregger entfaltet in seinem lakonisch aus mehreren Perspektiven erzählten Mystery-Schocker über eine über Nacht hinfort gewehte Schulklasse und eine Lehrerin in der Klemme ein subtiles Grauen. Natürlich ist die Darstellung einer Stadt im Ausnahmezustand auch ein politischer Kommentar, wenngleich „Weapons“ vor allem durch seinen makaberen Humor und suggestive Kameraaufnahmen verstört. (MV)
9. „Springsteen – Deliver Me From Nowhere“ (Scott Cooper)
Kein triumphales Bionic über einen amerikanischen Helden, sondern ein Film über ein einziges Album, „Nebraska“ von 1982, und das Wesen der Depression. Das Buch, das Regisseur Scott Cooper zur Grundlage nahm, heißt „Heart Of Darkness“. Bruce Springsteen nahm die finsteren, schleppenden Songs von „Nebraska“ mit einem Vier-Spur-Kassettengerät auf, und der Film handelt davon, wie sein Manager Jon Landau gegenüber der Plattenfirma Columbia darauf bestand, dass diese Demos auf Schallplatte erschienen. Rückblenden in die Kindheit erzählen von Sringsteens jähzornigem und depressivem Vater. Vor allem ist „Deliver Me From Nowhere“ die Liebesgeschichte von Jeremy Allen White als Springsteen und Jeremy Strong als Landau. (AW)
10. „Riefenstahl“ (Andres Veiel)
Andres Veiel, der „Blackbox BRD“ und einen Abschnitt der 24-Stunden-Dokumentation (nämlich den über Kai Diekmann, damals „Bild“-Chefredakteur) gemacht hat, widmet sich in diesem Dokumentarfilm der Filmregisseurin und Fotografin Leni Riefenstahl. Er hat den Film aus Talkshow-Auftritten, den Fotos und ihren Arbeiten – „Triumph des Willens“, „Olympia“ – zusammengeschnitten. Sie wurde halt damit beauftragt. Und aus den Telefonmitschnitten, die Riefenstahl von Gesprächen mit Albert Speer, Journalisten und empörten Bürgern angerfertig hat. Sie war eine Frau in ewiger Verteidigung: „Das ist alles nicht wahr!“ Einmal sagt sie, sie wolle für „Das blaue Licht“, ihren erst Film, in Erinnerung bleiben, den „Schlüssel zu allem“. Einmal sagt sie: „Ich wünschte, ich wäre auf dem Höhepunkt meines Ruhm gestorben.“ Das war 1937. Sie wurde 102 Jahre alt. In den 60er-Jahren reiste sie zu den Nuba im Sudan und wäre am liebsten für immer dort geblieben. „Die Kinder bekamen meinen Namen, und ein Berg wurde nach mir benannt.“ Auf einem Foto sieht man einen großen Karton Persil: „Mit zwei Weißmachern.“ (AW)
Filme/Mini-Serien 2025 – weitere Empfehlungen
Arne Willander
- „Faithless“ (Arte): Fatales Liebesdreieck – nach einem Drehbuch von Ingmar Bergman
- „After The Hunt“ (Prime Video): Julia Roberts als unsichere Kantonistin in einem Vergewaltigungsfall in Yale
- „The New Yorker“ (Netflix): Zum 100. Geburtstag der besten Zeitschrift der Welt
- „Praxis mit Meerblick“ (ARD) Tanja Wedhorn als patente Ärztin im Krähwinkel
- „Dr. Nice“ (ZDF): Patrick Kalupa als unpatenter Chirurg im Krähwinkel
- „The Beast In Me“ (Netflix): Claire Danes als traumatisierte Schriftstellerin, die sich mit einem aasigen Geschäftsmann anlegt
Marc Vetter
- „Heldin“: Leonie Benesch (auch toll in „September 5“) erlebt eine ihr alles abfordernde Spätschicht als Pflegerin in einer Klinik
- „Adolescence“ (Netflix): Erschütternder Kommentar zu toxischen Männlichkeitsbildern, ohne Schnitte inszeniert
- „Ein einfacher Unfall“ (bald MUBI): Jafar Panahi verhandelt in seinem politisch aufgeladenen Rachethriller das Wesen von Trauma und Unterdrückung
- „Sorry, Baby“: Rabenschwarze Komödie über eine Professorin, deren Leben ihr nach einer sexuellen Belästigung entgleitet
- „Stille Beobachter“: Bulgarisch-deutscher Dokumentarfilm, der das tägliche Treiben in einem Bergdorf aus der Sicht von Tieren zeigt
- „Silent Friend“: Drei Leben aus verschiedenen Epochen, verbunden durch denselben Ginkgo-Baum – mit einer grandiosen Luna Wedler