Die Euro-Elektro-Dandys Heaven17 spielen gegen modernen Digitalmüll an

Alles ist eine Frage der richtigen Filter. Man muß wachsam sein, heutzutage, man kann einfach nicht mehr bedenkenlos konsumieren. „Sie designen dir ein einfaches Leben“, warnt Martin Ware. „Informationen, die dich heute erreichen, sind in der Mehrzahl kontrolliert von amerikanischen Interessen.“ Ian Marsh und Glenn Gregory nicken bekräftigend; drei Männer in gutsitzenden dunklen Anzügen drei Engel mit gebrochenen Flügeln.

Gregory läßt sich in den Sessel sinken und erklärt, wie wohl man sich mit Leuten fühlen muß, um gute Ideen zu haben. Oder um diese Ideen auch auszusprechen, eine Melodie zu finden, dann einen Text Im 17. Himmel leben drei höfliche Sozialisten, die jede Note, jeden Sound und jedes Wort gemeinsam ausfeilen. Sie sprechen große Gedanken gelassen aus, nur unterbrochen von ein paar verträumten Akkorden auf ihrem Klavier.

Musik von Heaven 17 kann vieles bedeuten, penthouse und pavement, ein Aufruf zu mehr Menschlichkeit und zu mehr Vergnügen. Acht Jahre nach dem letzten Projekt „Teddybear Duke & Psycho“, nach Produzentenund Programmiererjobs für Terence Trent DArby oder Erasure haben die Briten sich an ihren Elektro-Groove erinnert, der 1981 subversive Texte mit Popmusik konterkarierte – und sind bereit, sich an eigenen Meisterstücken messen zu lassen. Das ist mutig, dazu muß man gesellschaftlichen Entwicklungen und künstlichen Paradiesen mißtrauen, sich im digitalen Zeitalter auf analoge Techniken beschränken können – funky, rhythmisch und immer mit hymnisch interpretierten Songzeilen auf den Lippen. „Everybody’s talking but I find it hard to hear/ They all explaining something new/ New Inspiration that will change the way of life/ Another big idea and then they disappear“, texten sie.

Die in der Popkultur propagierten Vorstellungen von Spontaneität und Identität seien „zur Zeit einfach nur lächerlich. Alles ist kalkuliert im Markt plaziert und keinesfalls die Idee von just do it oder think and than just do it“, sagt Marsh. „Oder think and than don’t do it. „Die Zeile“ counterculture, a word more dangerousthanagun“ könnte auch eine Punkband singen. Gregory stimmt zu: „Im Punk sind unsere Wurzeln.“

Im Wunsch nach Wahrheit und Bedeutung hatten Heaven 17 Spaß daran, auf dem Cover ihres Debüts mit Yuppiezopf und Nadelstreifen die Schlips- und Kragen-Seriösität des Busbesslook zu karikieren. So distanzierten sie sich von endloser Reproduktion pseudorebellischer Rockmusik und warben für ein pures, desillusioniertes, kritisches, Sound, Stil und Sinn verpflichtetes Konzept Dir ironisierendes „Designing Heaven“-Video etwa war der Hit in einem japanischen Erlebnis-Bad, das – Gipfel des Realitätsverlustes – gerade mal einen Kilometer vom Meer entfernt liegt. Ist es das, was Menschen wollen? „Oder das, was sie wollen sollen?“, fragt Ware.

Der Titel ihres neuen Albums „Bigger Than America“ erinnert nicht mehr an Nationalismen wie „buy british“. „Als überzeugte Europäer haben wir bei den Snap-Produzenten Anzilotti und Münzing unterschrieben, weil die USA den kulturellen Ideen Europas immer hinterherhinken werden. Nur ihr Materialismus gibt ihnen Einfluß auf die Welt“ Deshalb braucht man nicht aufzuhören, Disney-Filme oder CNN zu gucken. Man braucht nur die richtigen Filter.

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