Die neue Mitte liegt im Grünen

Der Journalist und DJ Christoph Braun ist vor sieben Jahren aus der hektischen Hauptstadt aufs Land gezogen. Als klassischen Aussteiger sieht er sich nicht, eher als Metaphysiker

Christoph Braun ist einer dieser Provinzler, die in den Neunzigern nach Berlin gezogen sind, um mitzumischen beim großen Neue-Mitte-Hype. Wie all die anderen „Content-Lieferanten“ hat er einiges auf sich genommen für dieses hippe Leben als freies Radikal auf dem Medienmarkt. Prekäre Lebensverhältnisse, Konkurrenzdruck, totale Verfügbarkeit gegenüber den Auftraggebern. Eine Zeit lang lässt sich das locker kompensieren – durch den symbolischen Mehrwert, den eine solche Boheme-Existenz bietet. Braun schreibt für „Spex“ und das „Groove“-Magazin, später für das Popkomm-Portal und MTV. Und er legt auf. Aber wie bei so vielen Romanhelden aus den Berliner Kreativzirkeln in letzter Zeit folgt auch in seinem Fall irgendwann die große Desillusionierung, muss er einsehen, dass eine coole Postleitzahl allein als Instanz der Sinnstiftung noch nicht ausreicht.

„Das, was ich ein paar Jahre zuvor bewusst aufgesucht habe, die Ausgehgesellschaft, wie Christiane Rösinger das mal genannt hat, wurde mir irgendwann zu eintönig. Ich wollte wieder mal etwas ändern.“ Er spricht ziemlich durch die Nase. Könnte Heuschnupfen oder eine normale Erkältung sein. Vom vielen Koksen kommt das jedenfalls nicht. Er ist so entspannt, wie man nur sein kann, wenn man an einem warmen Frühlingstag im eigenen Garten sitzt, eine Schale Kaffee vor sich, und sich genau am rechten Fleck wähnt. In seiner weiten, braunen Hose und dem blauen Baumwollhemd erinnert er schon ein wenig an die Aussteiger-Typen von einst, obwohl er mit diesem Lebensentwurf gar nichts anfangen kann. Er versucht ja gerade das Gegenteil: mit dem Ohr weiterhin am Sub-Bass der Zeit zu sein – die tiefergelegte elektronische Tanzmusik wie Grime oder Dubstep gehört zu seiner journalistischen Kernkompetenz. „Telekommunikation und digitale Vernetzung sind so weit vorangeschritten, dass inzwischen mitten auf dem Land ein Leben im Pop möglich ist“, heißt es programmatisch in seinem Blog.

Die endlosen Berliner Clubnächte sind schon eine Weile her. Vor mittlerweile sieben Jahren ist er ins süd-östliche Niedersachsen gezogen, nach Evessen, an den Südhang des Elms. Sein Haus liegt in einem Neubaugebiet am Dorfrand, von der Terrasse aus blickt man in den von einer niedrigen Natursteinmauer und diversen Büschen begrenzten Garten. Dahinter Felder und Wiesen, auf einer grünen Anhöhe tummelt sich eine Schafherde. So langsam beginne ich seine Entspanntheit zu verstehen.

Brauns Buch „Hacken. Leben auf dem Land in der digitalen Gegenwart“ (Tropen, 14,95 Euro) beschreibt diesen allmählichen Beruhigungsprozess, das langsame Ankommen, Durchatmen. Es ist eine Art Gegenentwurf zu Tobias Rapps Clubszene-Porträt „Lost and Sound. Berlin Techno und der Easyjetset“, aber alles andere als eine Abrechnung. Es bleibt etwas im Ungefähren, was ihn konkret gestört hat. Er spricht von einer „Banalisierung“, von einem „Mono-Werden“ sowohl der Stadt, die sich immer selbstreferenzieller geriert als auch seiner Existenz, in dem sich alles nur noch um Pop dreht. Diese Unkonkretheit ist Kalkül. Er hat Freunde in Berlin, Arbeitgeber, die er nicht verprellen will. Vor allem aber soll seine Verherrlichung der Provinz, die vor hippiesk anmutenden metaphysischen Luftsprüngen nicht zurückschreckt, für sich stehen können. Ohne Berlin-Bashing.

Ich mache einen Witz über seine quasi-religiöse Überhöhung des Landlebens, nicht zuletzt der Feld- und Gartenarbeit, eben des „Hackens“, das seinen Transszendentalerfahrungen beim Rave, dem „Flow“, mindestens ebenbürtig zu sein scheint. „Ja, große Worte“, gibt er zu, ohne etwas davon zurückzunehmen. „Ich kann mit dem Begriff Metaphysik durchaus etwas anfangen, auch wenn das nichts zu tun hat mit Religion. Damit meine ich das, was ich an Göttlichem erleben kann, auch wenn ich nicht an Gott glaube. Mein Leben hat sich einfach, seitdem ich angefangen habe mit der Landarbeit, noch einmal entscheidend erweitert.“

Auch durch die geistige Autarkie, die er hier gefunden zu haben scheint, das Gefühl einer neugewonnenen Freiheit. „Ich spreche lieber von der Autarkie als Perspektive, ich lasse mich dann auch gern angreifen von Leuten, die sagen, das ist nicht konsequent oder nicht radikal genug.“ Denn anders als in den kanonischen Schriften dieser sehr alten Tradition, etwa in Henry David Thoreaus „Walden“, in Helmut Salzingers „Der Gärtner im Dschungel“ oder jüngst erst in Tom Hodgkinsons „Schöne alte Welt“, kommt Brauns Landgang-Rapport ohne Bausch-und-Bogen-Kulturkritik aus. Und schon gar nicht ist „Hacken“ ein antikapitalistisches Buch. Das könnten seine Die-Hard-Öko-Freunde tatsächlich als inkonsequent brandmarken. „Ja, und vielleicht haben sie recht.“

Das Magazin „Landlust“ feiert Auflagenrekorde, verkauft mittlerweile mehr Hefte als der „Spiegel“. Das Thema ist offensichtlich im Schwange. Ist Stadtflucht folglich eine echte Alternative für gestresste Kulturarbeiter? „Neulich las ich: Immer mehr Kreative ziehen aufs Land. Ich glaube, das lässt sich empirisch nicht stützen. Vielleicht ist das Berlin-Thema einfach mittlerweile so gesetzt, dass man nach Themen sucht, die mal von dem bekannten Superparty-Rave-Kunstszene-Ding weggehen. Vielleicht wird hier etwas interessant, weil es von der eigenen Erfahrung abweicht und man es gerade deshalb erkunden möchte.“

Und vielleicht existiert dieses Bedürfnis, sich mit dem Paradigma Provinz auseinanderzusetzen, weil man hier die vermisste Ruhe, Einkehr und das, was einmal gut war, zu finden hofft, ganz unabhängig davon, ob man dann wirklich den letzten Schritt wagt und aufs Land zieht. „Als wir weggegangen sind“, so Braun, „haben viele aus unserem Berliner Umfeld gesagt: Das ist ja eine tolle Idee, wir überlegen uns das auch – es sind dann aber fast alle dort geblieben.“

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