Die Prophetin der Reinigung

Sinead O’Connor sieht verändert aus. Alles Klösterliche ist von ihr abgefallen: Früher war es auf ihrem Kopf absolut leer, heute ist dort dunkelrotes, glattes Haar. Beim Interview hat sie Nagellack dabei nur für den Fall, daß plötzlich kosmetische Nachbesserungen nötig werden. Sinead trägt einen grauen Pullover, einen ebensolchen Rock und geschmackvolle StiefeL Von Askese keine Spur – nein, sie ähnelt jetzt einer aufgeschlossenen, mit sich zufrieden Boutiquenbesitzerin.

Und wer büßt jetzt für die Sünden des Pop? Wurde diese Frau denn bereits vorzeitig von allem Leid erlöst? War Sinead O’Connor nicht die letzte Figur aus dem Showbusiness, die auch hinter einem Altar gut ausgesehen hätte? Bob Dylans Auftritt vor dem Papst war in dieser Hinsicht jedenfalls eher enttäuschend – eine Begegnung von begrenzter spiritueller Leuchtkraft.

Das sieht Sinead ebenso. Sie deutet das Treffen dieser beiden Männer ab geriatrische Verständigung. „Beide gehen auf den Tod zu. Dylan ist ernsthaft krank, und der Papst ist alt. Ein Jude und ein Katholik, beide wollten sich gegenseitig Halt geben.“ Spott mag da herausgelesen werden, aber der ist gewiß nicht intendiert. Sinead O’Connor redet immer noch mit christlichem Ernst Dabei hätte sie selbst es beinahe geschafft, ein Treffen zwischen Zimmerman und Wojtyla für immer unmöglich zu machen. 1992 hatte sie beim „Dylan-Tribute“ im New Yorker Madison Square Garden ein Bildnis des Menschenfischers zerrissen und damit einen Skandal ausgelöst, der noch immer nicht vergessen ist. „Nach dem Auftritt sah Dylan mich hinter der Bühne und lief auf mich zu. Ich glaube nicht, daß er wußte, wer ich bin. Er wirkte verwirrt und fragte mich etwas wie: ,Was hast du getan?'“ Ein Mißverständnis nicht nur deshalb, weil Sinead damit nicht Dylan hatte treffen wollen. Immerhin sei dessen christlich inspiriertes Album „Slam Train Coming“ vor vielen Jahren der Grund gewesen, „warum ich überhaupt angefangen habe, Musik zu machen“. Noch nicht einmal der katholischen Kirche wollte sie mit der Attacke schaden. „Attacke? So würde ich es nicht bezeichnen. Meine Aktion sollte den Anlaß bieten, wieder öffentlich über Gott und Kirche zu sprechen. Dadurch könnte sich die Kirche von Schuld und falscher Moral selbst heilen. Es ist das Problem aller Kirchen, daß sie ein sehr genaues Bild von Gott verbreiten. Darin ist beispielsweise enthalten, daß Gott immer männlich ist. Ich betätige mich als Verteidigerin Gottes, indem ich dieses Bild angreife.“

So spricht Sinead, und wir erkennen: Äußerlich mag sie sich mit Weltlichem umgeben (unter anderem mit zwei reizenden Kindern); spirituell dagegen ist die Sängerin auf höchster Höhe. Nicht weniger transzendent als ihre Statements ist auch die Sechs-Lieder-EP „Gospel Oak“, die gerade bei Columbia/Sony noch einmal herausgekommen ist. Nach der ersten Veröflendichung Anfang dieses Jahres hatte der Teufel seine Hand im Spiel: Er umgab die Menschen mit Ignoranz. Die Platte lag, so sagt man wohl, wie Blei in den Regalen. Und die Musik schwamm ja auch wirklich nicht auf der Welle des Zeitgeistes: „Gospel Oak“ ist eine Sammlung von nun ja, Gospels für eine weibliche Göttin. Wo früher noch die Pop- und New Wave-Einflüsse dominierten, da flötet und summt es nun. „Ich sehe mich nicht mehr nur in einem Rock-Kontext“, erklärt die Sängerin. Was wir schon düster ahnten.

Von der eigenen Mutter-Rolle wird da die Rolle der göttlichen Mutter abgeleitet – nach Sinead ist alles Private theologisch: „Die göttliche Kraft ist nicht außerhalb der Welt, sondern in uns.“ Nun schütteln auch Leute mk routinierter Skepsis die Köpfe, die sonst in jeder mystisch geraunten Zeile von Van Morrison einen Geniestreich sehen. Man muß da schon fair bleiben: Was Van darf, darf Sinead auch.

Übrigens hat sich laut der O’Connor‘ sehen Lehre die weibliche Göttin bereits offenbart: Sie kam in Gestalt von Lady Di auf die Erde. „Diana war die inkarnierte Göttin. Und dies meine ich nicht metaphorisch, sondern buchstäblich. Ihr Tod war das Opfer, damit das Land und seine Royal Family sich selbst reinigen können.“ Hosianna.

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