Die Rockmusik-Dokumentationen von D. A. Pennebaker

Neben Michael Wadleighs Woodstock-Film prägte D.A. Pennebaker mit "Monterey Pop" und dem Bob-Dylan-Porträt "Don't Look Back" die Dokumentation der Rockmusik. Nun hat er mit "Keine Zeit" einen Film über Marius Müller-Westernhagen gedreht und verteidigt seine beobachtende Sicht auf Musiker und Menschen

Von Orten wie Newport, Monterey oder Woodstock wüßte wohl kaum jemand, wenn es keine Rockmusik-Dokumentationen gäbe. In den 60er Jahren fanden dort mittlerweile legendäre Festivals statt, festgehalten in Konzertfilmen, die lange vor der flächendeckenden Verbreitung des Fernsehen und der Pop-Spartenkanälen versuchten, Gegenkultur ernst zu nehmen und Gegenöffentlichkeit herzustellen. Weltweit dankten es die Fans, die aus diesen Filmen immens wichtige Informationen bezogen wie: Was muß ich anziehen, wie muß ich reden, um dazu zu gehören?

Obwohl es über die politische Ausrichtung dieser Filme in den 60ern kaum Unklarheiten gab, wurde immer wieder debattiert, was in einer inhaltlich und ästhetisch korrekten Rockmusik-Dokumentation zu sehen sein sollte. Etwa ausschließlich die Bands, wie es Mathias Weiß 1968 in seinem „Ten Years After“-Konzertfilm zeigte? Kameramann Wim Wenders mußte dabei nicht viel mehr tun, als das Filmmaterial zu wechseln, denn es gab nur eine einzige völlig unbewegte Kameraeinstellung, die das Konzertgeschehen sechzig Minuten lang in der Totalen ablichtete. Oder lag Jean-Luc Godard richtig, als er in „One plus One“ die Rolling Stones im Studio beim entspannten Komponieren von „Sympathy For The Devil“ beobachtet und nebenbei auch die Black-Power-Bewegung zitierte, weil er, wie Jürgen Struck in seinem Buch „Rock Around The Cinema“ berichtet, „dem Sprach-, Denk- und Empfindungssystem der großen Industriestaaten das der Dritten Welt gegenüberstellen wollte“? Rüdiger Nüchtern nahm sich in „Amon Düül plays Phallus Dei“ die Freiheit, einen Amon Düül-Auftritt mit einer Autofahrt zu kontern. Tony Palmer mußte sich für „Cream Last Concert“ sagen lassen, er habe mit seinen Kommentaren und der wirren Bildmontage die Musik in unglaublichem Maße zerstört“.

Die Ideologen des „direct cinema“, einer Dokumentarfilm-Schule, zu der auch Donn Alan Pennebaker zählte, priesen vor dreißig Jahren hingegen ihre Strategie der reinen Beobachtung als angemessene Rockmusik-Berichterstattung an. Das bedeutet, keine Interviews, keine Einflußnahme in das Geschehen vor der Kamera. Dem Einwand, daß auch Schnitte und Kameraschwenks Ereignisse subjektiv kommentieren, verschloß man sich vorerst und löste das Spannungsverhältnis zwischen Musikern und den um sie kreisenden Starkult, in dem man die Hippies idealtypisch als Unity zeigen: Pennebakers „Monterey Pop“ (1967) oder auch Michael Wadleighs Woodstock-Film (1969) sind beseelt vom Geist einer großen friedlichen Gemeinschaft, deren Konsumentenhaltung und Freizeitcharakter sich nur zufällig andeutet, wenn in der Woodstock-Schlußszene die Kamera fassungslos über zurückbleibende Müllberge und die letzten abziehenden Besucher schweift.

Pennebaker behielt seine Sicht auf die Dinge und Ereignisse bei und drehte so Dokumentationen wie „Ziggy Stardust“ (1973) und das mehrfach prämierte „Dance Black America“ (1984) über ein viertägiges New Yorker Tanzfestival. Daß er als Pop-Dokumentarist auch ein politisches Interesse hat, zeigen sein fünfstündiges TV- Special „The Energy War“ (1977) über einen Kongreßstreit um ein von Präsident Jimmy Carter angeregtes Gesetzverfahren, vor allem aber sein Film „The War Room“ (1993), der den Wahlkampf Bill Clintons und seines jungen Teams dokumentierte und für den Oscar in der Kategorie „Best Documentary Feature“ nominiert wurde sowie den D.W. Griffith-Award erhielt.

Erst später wurde akzeptiert, daß sich keine noch so beobachtend gemeinte Arbeitsweise einer Interpretation ihres Sujets entziehen kann. Auch Altvater Pennebaker teilt diese Ansicht. Trotzdem hat er filmisch kaum nachvollzogen, daß die Bedeutung der Medien und des Marktes und der Erfolg des sogenannten Enthüllungs-Journalismus einen Popstar-Typus geschaffen hat, der nicht authentisch ist, sondern sich um Authentizität bemüht. Dylan ist in Pennebakers „Don’t Look Back“ (1965) zeitweise von einer entwaffnenden Unfreundlichkeit, die sich jemand wie Marius Müller-Westernhagen heute vor der Kamera aus gutem Grund nicht mehr erlaubt. Mit größtem Selbstverständnis belassen Pennebaker und seine Frau Chris Hegedus es dabei und hoffen, in „Keine Zeit“, einer gigantischen Inszenierung wie Westernhagens „Affentour“, mit denselben Methoden ein paar wahre Momente abzuringen wie der Dylan-Tournee durch England in den 60er Jahren. Das Ergebnis ist eine Art Greatest-Hits-Film, Titelrolle: Westernhagen. Und der Eindruck, daß Pennebakers und Hegedus‘ Traum, endlich einen Spielfilm zu drehen, längst wahr geworden ist – sie es aber nicht bemerkt haben.

Sie haben mit „Keine Zeit“ einen „Greatest Hits“-Film geschaffen, der Westernhagen fast mit den Augen eines Fans sieht – ich muß zugeben, es hat mich überrascht. Glauben Sie, die ganze Wahrheit über Westernhagen herausgefunden zu haben?

PENNEBAKER: Wenn Sie von Wahrheit sprechen: Ich habe eine mehr hemmingwayeske Vorstellung von Wahrheit, die darin besteht, den bullshit wegzulassen und mich nicht davon beeinflussen zu lassen, was andere Leute für bullshit halten. Für einen echten Rock’n’Roller mag eine Bühne, über der eine Trapezkünstlerin turnt, bullshit sein, aber ich mache keinen Film für diese Leute.

Ich hatte erwartet, etwas Neues, Unbekanntes über den Superstar Westernhagen zu erfahren. Die Leute haben die Konzerte bereits gesehen – sie noch einmal zu zeigen, kann nicht der Sinn sein.

Ich meine, was wir auf eine große Leinwand bringen, ist vielleicht das, was sonst nur die Leute in der ersten Reihe zu sehen bekommen. Sie wollen seine Lieder hören, die etwas mit ihrem Leben zu tun haben. Und vielleicht sind einige auch gekommen, um einen Superstar zu sehen. Aber es ist nicht meine Sache, dies zu verurteilen. Meine Aufgabe ist es, zu bezeugen, was geschieht, so komplett wie es mir irgendwie möglich ist. Sehen Sie, dieses Superstar-Image hat doch nichts mit dem wirklichen Menschen zu tun. Das sind nur die Sachen, die er anzieht. Ich weiß gar nicht, warum sich Journalisten da als Richter aufspielen. Die Funktion der Presse sollte doch vor allem sein, daß jeder weiß, wann Westernhagen wo spielen wird und was die Eintrittskarten kosten. Ich meine, es gibt doch eigentlich keinen Grund, ihn anzugreifen, bevor er nicht etwas wirklich Schlimmes tut, mit dem Geld durchbrennen oder so.

Ist Westernhagen denn ein Superstar oder nicht?

Westernhagen führt ein ziemlich unschuldiges Leben. Er selbst würde den Begriff Superstar für sich sicher nicht gebrauchen. Wer nennt ihn einen Superstar?

Zum Beispiel seine Promotionagentur.

HEGEDUS: Ein Superstar-Image wird doch von der Marketingabteilung oder vom Publikum kreiert. Nicht vom Künstler. Man kann diesen Begriff nicht gegen einen Künstler verwenden.

Andererseits deuten Sie den Widerspruch an zwischen dem Superstar-Image und seinem „unschuldigem“ Leben. Die Eingangsszene erscheint da wie ein Leitmotiv: Westernhagen sitzt im Auto, kommentiert und redigiert ein Interview, das er gegeben hat…

P: Ja, ein Mensch, der in einem Auto fährt – und auf diese fremde Art über sich selbst redet. Er redet über sich, als würde er über jemand anderen reden. In gewisser Weise ist das etwas, was auch der Film tut. Er redet über ihn in der dritten Person.

H.: Jemandem als Superstar zu begegnen, ist eine ziemlich peinliche Angelegenheit.

P: Wir versuchen so gut wie zu vermeiden, ihn als Superstar zu zeigen. Ich hätte sonst das Gefühl, ich würde die eigentliche Person verlieren. Und ich glaube, auch Westernhagen ist das etwas peinlich. Es ist einfach unangenehm, wenn man erlebt, wie devot Leute ihn behandeln. Wie sie um Autogramme bitten. Joan Baez erklärte: „Fuck you, ich werde das nicht tun. Es ist egal, was sie über mich denken, weil es nicht ich bin, die sie anhimmeln. Sie meinen schließlich nur meine Berühmtheit.“

Sehen Sie sich doch David Gahan von Depeche Mode an. Vor seiner Karriere fuhr er Lebensmittel für einen Supermarkt aus. Der arme Junge. Kein Wunden daß er Drogen genommen hat. Hätte ich vermutlich auch getan. Wie soll man nach so einem Erfolg noch sein normales Leben weiterführen? In Amerika ist es doch schon so, daß die Menschen dafür töten würden, berühmt zu sein. Die Kids wachsen auf unter dem Eindruck all dieser Leute, die mit verrückten Klamotten auf riesigen Bühnen mit gigantischen Lightshows stehen. Und es ist nicht das Geld, das sie daran fasziniert, sondern die Vision, dann wären sie der King.

Andere Leute haben auch anstrengende Berufe. In „Keine Zeit“ suggeriert Westernhagen jedoch, man müsse Mitleid mit ihm haben, weil er es als Superstar so unwahrscheinlich schwer hat.

P.: Ich sehe das anders. Westernhagen versucht auf seine Art, das Superstar-Image zu brechen, den Leuten die Möglichkeit zu geben, von sich zu behaupten: Ich bin froh, daß ich Autos verkaufe. Ich meine, Superstars sind Zombies. Und er zeigt, daß ein Zombie zu sein nicht unbedingt die ideale Lebensform ist. Sie finden, daß er sich für das entschuldigt, was er tut? Vielleicht entsteht es aus den Zusammenhängen, in denen er sich bewegt. Stellen Sie sich vor, Sie haben in Ihrer Band fünf der besten Musiker, die man auf der Welt anheuern kann. Jeder von ihnen kann Sie an die Wand spielen. Vielleicht mögen diese Musiker nicht mal Ihre Musik. Aber trotzdem muß man eine Show zusammenbringen, die wirklich funktioniert. Leute, die sehr viel Ahnung haben, werden diese Show später sehen und beurteilen auch deshalb muß man eine Haltung gegenüber der eigenen Musik an den lag legen, die die Mitmusiker davon überzeugt. Du kannst nicht einerseits der König sein – und dann andererseits vorgeben, du wärst es nicht.

H.: Ich habe mittlerweile den Eindruck, daß jeder in diesem Film genau das sieht, was er auch schon vorher in Westernhagen sah. Das ist aber bei dem Dylan-Film „Don’t Look Back“ nicht anders: All jene, die Dylan mögen, sagen nach dem Film: Der Mann ist ein Genie. Alle, die ihn hassen, sagen: Dylan ist und bleibt ein übler Kerl.

Sie dokumentieren seit mehr als 30 Jahren Rockmusik. Hat sich Ihr Blickwinkel verändert? Würden Sie noch immer von Gegenkultur sprechen?

H.: Natürlich. Nur die Zeitspanne, in der aus einer Undergroundband eine Mainstreamband wird, wird immer kürzer. Jede Art von Popmusik seit Erfindung der Single wurde bereits in ihren Anfangen kommerzialisiert Es ist einfach Quatsch zu behaupten, Bands wie die Beatles seien unschuldig gewesen. Sie machten ihre Geschäfte genau wie Bands heute. P.: Auch der junge Dylan ging direkt zu einem Konzern wie Columbia Records.

Stimmt es eigentlich, daß Bob Dylan Ihren Film „Don ‚t Look Back“ nicht mag?

P: Er ist ein seltsamer Typ. Er kann ihn morgens nicht mögen, und abends ruft er mich an und sagt: Es ist der beste Film, der jemals gemacht wurde.

In Ihren Anfängen als Rockmusik-Dokumentarist war Popmusik eine politische Idee. Die Leute, die heute zu einem Westernhagen-Konzert gehen, machen nicht gerade den Eindruck, als ob sie morgen die Regierung stürzen wollen.

P: Glauben Sie nicht, daß Westernhagen-Fans auch Bedürfnisse jenseits von Entertainment haben, wenn sie einen Westernhagen-Song wie „Freiheit“ lauthals mitsingen?

Jeder hat wohl den Wunsch, ein freies Leben zu führen. In den 60erJahren klang er nach Aufruf zu Radikalität, heute klingt’s eher wie Sozialdemokratie.

P.: Natürlich lag in den 60er Jahren die musikalische und soziale Revolution eng beieinander. Ich habe Leute vor Konzerthallen schlafen sehen, in denen Dylan auftreten sollte, obwohl es in der ganzen Stadt keine einzige Konzertankündigung gab. Aber auch damals, als alle rumrannten und Fahnen verbrannten, ging’s auch nur um Entertainment Es gibt diese Anekdote über Ihren Monterey-Pop-Film, dereinen warmen, rötlichen Farbton hat. Angeblich soll es daran liegen, daß der Lichtmann so voll mit Acid war, daß er irgendwann seinen Job vergaß und das rote Bühnenlicht einfach anließ.

P.: Ich kann nur sagen: Ich liebe diesen rötlichen, warmen Ton in dem Film. Wir selbst haben nur eine kleine rote Signallampe verwendet, weil wir nur wenig Filmmaterial hatten und sparen mußten. Deshalb hatten wir uns überlegt, nur jeden zweiten Song eines Sets aufzunehmen. Also haben wir diese rote Lampe angebracht. Und immer wenn es anging, wußten alle Kameraleute, die über das ganze Gelände verstreut waren: Das ist der Song, den wir aufnehmen wollen. Aber als Jimi Hendrix auftrat, hatten wir ein Problem. Wir wußten absolut nichts über Hendrix. Wir hatten nur gehört, daß er die Bühne anzünden würde.

Genaugenommen war es seine Gitarre.

P.: Naja, wir sind jedenfalls auf Nummer Sicher gegangen und wollten gleich den ersten Song aufnehmen, weil wir befürchteten, daß anschließend alles in Flammen aufgeht. Hendrix kam auf die Bühne, die rote Lampe ging an, und niemand machte es wieder aus. Wir waren einfach so hingerissen von seiner Musik, daß wir alle seine Songs, seinen kompletten Set aufnahmen.

Gemeinsam arbeiten Sie gerade an Ihrem Hendrix-Projekt „Searching for Jimi Hendrix“. Sie, Frau Hegedus, haben bereits eine Dokumentation über Hendrix gemacht. Man hat ja den Eindruck, daß Hendrix Ihr Leben verändert hat.

P.: Ich war dreimal verheiratet das hat mein Leben verändert. Aber Hendrix hat meine Art, Konzerte zu filmen, verändert Ich habe in späteren Filmen immer versucht, den ganzen Set eines Künstlers zu zeigen. Andererseits ist es schon so, daß ich erst mit den Jahren begriffen habe, wie vielschichtig Hendrix‘ Sound gewesen ist und was als Musiker hätte aus ihm werden können.

Zwei Themen dominieren Ihre Filme: Pop und Politik. Welche Gemeinsamkeiten sind für Sie relevant?

H.: Nun, die Medien behandeln heute beides beinahe gleich. Es wäre naiv zu behaupten, daß beide, also Präsidenten und Popstars, nicht vermarktet werden. Es wird aber dabei oft vergessen, daß diese Leute trotzdem große Ideale haben. Und das wollen wir auch zeigen. In unserem Film „The War Room“ kann man deutlich sehen und hören, wie Clinton und seine Mannschaft davon träumen, eine bessere Welt zu schaffen. Auch in „Keine Zeit“ sieht man, daß Westenhagen total erfüllt ist von seiner Musik.

R: Menschen wie Westernhagen müssen einfach ihre Musik spielen. Das allein ist ihre Belohnung. Und der Rest ist eine Plage. Ich weiß, daß es für Bob Dylan eine echte Plage war, ständig seinen Fans oder Reportern aus dem Weg zu gehen, sich Sachen über den Kopf zu hängen, damit man ihn nicht erkennt Er haßt diese Art von Leben. Aber er muß seine Musik machen. Das ist das Wichtigste. Daß er oder Westernhagen dadurch zum Superstar werden, kommt erst an zweiter Stelle. Das ist es, was Sie immer vergessen.

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