Die schizophrene Republik

Mit dem Terroristen Wolfgang Grams und dem Erfolgsbanker Alfred Herrhausen porträtiert ANDRES VEIEL die Gemeinsamkeiten zweier gegensätzlicher Ideale

Gäbe es eine Black Box, die mit unbestechlichen und emotionslosen elektronischen Impulsen all jene Defekte und Fehler aufgezeichnet hätte, die einst die eruptivsten und erbittertsten Konflikte in der deutschen Gesellschaft der Nachkriegszeit ausgelöst und begleitet hatten, wäre ein Gutachten erstellt und die Angelegenheit ab geklärt längst zu den Akten gelegt worden. Doch der 30-jährige Krieg zwischen der RAF und der BRD war bestimmt von Ideologien und Irrationalitäten, Selbstgerechtigkeit und Starrsinn, Ängsten und Ansprüchen, also Gefühlen. Und die lassen keinen eindeutigen Schluss in der Schuldfrage zu wie nach einem Flugzeugabsturz. Noch die jüngste Debatte darum, aufgeflakkert durch die Fotos mit dem trittfesten jungen Joschka Fischer und seiner Aussage im Prozess gegen den Ex-Terroristen Klein am Jahresanfang, wurden mit gleichem Vokabular ähnlich vehement gefuhrt wie 1968. , JDie Geschichte pflanzt sich fort“, sagt Andres VfeieL „Wir reden nicht über ein historisches Kapitel. Es ist noch nicht vorbei.“

Der 43-jährige Regisseur hat zu diesem Themenkomplex eine bemerkenswerte Dokumentation gedreht, die wie bestellt in die aufgewühlte Stimmung platzt. Allerdings hat Veiel vier Jahre an „Black Box BRD“ (ab 31.5. im Kino) gearbeitet. Auch klappert er nicht bloß Fakten ab, sondern spürt seismografisch den Gefühlen hinter den „Tagesschau“-Bildern und grauen Fahndungsplakaten nach. Stellvertretend für das System und seine Gegner porträtiert er zwei ihrer Opfer: Alfred Herrhausen, einst Vorstandssprecher der Deutschen Bank, 1989 von der RAF ermordet worden, und den Terroristen Wolfgang Grams, der vier Jahre später starb, als ihn GSG-9-Beamten in Bad Kleinen verhaftet wollten.

Grams soll am Bombenattentat auf Herrhausen beteiligt gewesen sein, was aber nicht bewiesen ist und Veiel auch nicht behauptet. Er liefert auch keine neue Recherchen zu der Spekulation, Grams habe nicht Selbstmord begangen, sondern sei von einem Polizisten geradezu exekutiert worden. Auf dem Filmplakat sind Grams‘ und Herrhausens Gesichtshälften als Collage ineinander verwoben. Ein Januskopf, zwei Seiten einer Republik, die nicht miteinander kommunizieren konnten, sich auch missverstanden haben. Und doch zeichnet „Black Box BRD“ auch Gemeinsamkeiten dieser in Herkunft, Alter und Haltung gegensätzlichen Charaktere auf, die sich spürbar vor allem auch durch Trauer, Rat- und Fassungslosigkeit der Hinterbliebenen manifestieren, Gedanken und Gedenken, die Fragen und Antworten von Weggefährten und Kollegen, Grams‘ Eltern und Ex-Freundin und Herrhausens Witwe. Diese Erschütterungen im Privaten berühren, beleuchten mehr als jedes politisches Statement. Sie sind die wahren Tragödien, und sie wirken bis heute nach. So musste Veiel sehr viel Geduld aufbringen, um die Menschen vor die Kamera zu bringen. Viele von Grams früheren Freunden sind heute brave Bürger und waren erst besorgt um ihren Ruf und Job, wenn jemand von dieser alten Verbindung erführe, obwohl sie den Kontakt zu ihm abgebrochen hatten, als der in den Untergrund ging. „Keine Idee ist so stark, dass dafür Menschen geopfert werden könnten“, sagt einer. Ein anderer hatte „keine moralischen Bedenken“, hält das Töten für ein „legitimes Mittel, um die Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen“. Nur selbst hätte er es nicht tun können. „Ich war ein größerer Angsthase als Wolfgang“, erklärt er im alten Jargon. „Ich habe den staatlichen Repressionen nachgegeben.“ Nun steht er in seinem Schrebergarten, rollt verlegen ein Transparent von früher aus.

Noch schwieriger wurde es, Traudl Herrhausen zu gewinnen. Ein ganzes

Jahr dauerten mehrere Vorgespräche an, „intensive und schöne Begegnungen“, so Veiel, „bis ihr klar war, dass es auch um sie gehen sollte, sie Raum bekommt, in Bezug auf ihren Mann, in ihren Erinnerungen über sich sprechen kann. Dass sie es nicht nur für mich tut, auch für sich selbst.“ Es ist von immenser Intimität, wie sie zögernd, angespannt, fast tonlos mit knappen Sätzen und langen Pausen den Morgen des Attentats schildert, wie sie Herrhausen an der Haustür verabschiedet hat. „Drei Minuten später hörte ich den Knall“. „Black Box BRD“ ist ein trauriger Film.

Veiel kommentiert nicht, auch seine Fragen sind nicht zu hören. Dennoch scheinen die Sympathien erst mal klar verteilt. Am Anfang schwebt die Kamera bedrohlich auf die Bürotürme der Deutschen Bank zu, zwei schwarz schillernde Monolithen der Macht. Er sei ein Siegfried gewesen, so der heutige Aufsichtsrats-Vorsitzende Hilmar Kopper über Herrhausen. „Es musste schnell gehen“, so Vorstandsmitglied Thomas R. Fischer. „Es ging ihm um den Erfolg.“ Von Grams sieht man Urlaubsbilder auf Super-8, wie er Frisbee spielt mit fast poetischer Unschuld. Er habe ihm vorgeschlagen, ins Musikkorps bei der Bundeswehr zu gehen, so sein Vater, der sich „als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, um dem Staat zu dienen, wie es jeder Junge getan hätte, nicht wahr?“ Und da diese Generation die Vergangenheit „nicht aufgearbeitet hat, wurde der autoritäre Staat von den 68ern mit faschistischen Strukturen gleichgesetzt und daraus eine Notwehrsituation abgeleitet“, meint VeieL Herrhausen hatte Daimler-Benz mit dem Waffenkonzern MBB fusioniert, sich gleichzeitig aber für eine „Schuldenerleichterung“ in der Dritten Welt engagiert was die RAF als perfide Profitsicherung quittierte. Doch sukzessive wandeln sich die Bilder von Grams und Herrhausen, ja nähern sie sich an. Beide waren rigoros darin, die Welt aus ihrer Welt heraus zu verändern. „Ich konnte mich nicht so empören, so klar einteilen wie er“, erzählt eine frühere Freundin von Grams. Freunde wichen vor seinem radikalen Weg so zurück wie die konservativen Banker vor Herrhausens Globalisierungsvisionen. „Ich weiß nicht, ob ich das überlebe“, sagte er am Todestag. Beide starben isoliert Und umsonst

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates