Die schwere Gotik des Südens

Cold Specks hat den Blues - und in Michael Gira von den Swans einen treuen Fan

Man sollte vorsichtig in ein Interview mit Al Spx gehen. Sie ist die 26-jährige Kanadierin hinter Cold Specks und begeisterte vor zwei Jahren mit „I Predict A Graceful Expulsion“, einem eigenartigen, rauen Album voll sprödem, weitgehend akustischem, modernem Folk-Blues, durch dessen sparsame Arrangements und kehligen Soul geisterhafte Spirtual- und Field-Song-Anleihen wehten. Die Vorsicht ist jedoch nicht der Geister wegen geboten, sondern weil sie immer mal wieder erklärt, dass sie in Interviews gern lügt und sich dann amüsiert, wenn sie liest, dass sie sich beim Schreiben Kraft von ihrer Holz-Ente holt. Oder dass sie dem von ihr so genannten „Doom Soul“ bald „Morbid Motown“ folgen lassen würde.

„Heute schummle ich natürlich nicht mehr“, sagt sie beim Gespräch über ihr neues Album „Neuroplasticity“, dessen Titel den Prozess bezeichnet, mit dem das menschliche Gehirn lernt. Es klingt mit seinen mal schweren, mal streunenden, heulend-verfremdeten E-Gitarren und oft wuchtigen, tribaltrommelnden Drums deutlich anders als der Vorgänger. Aber ist es auch „morbider Motown“?

„Ach je“, sagt sie mit unerwartet inwärts gewandter, leiser, aber klarer Stimme, „ich habe als Teenager angefangen, Soul zu hören, und das steckt natürlich in meinem Gesang. Soul hat ja immer eine dunkle Seite – und ich habe vermutlich auch eine schwarze Seele.“ Den Bezug zur amerikanischen Tradition hat sie sich jedoch antrainiert. Ihre Eltern kamen einst als Flüchtlinge aus Somalia nach Toronto, wo Al Spx mit „viel somalischem Blues aufgewachsen“ ist, bevor sie „in der Highschool Velvet Underground, Scott Walker, Lee Hazlewood und obsessiv Swans“ zu hören begann. Was natürlich nicht wie der typische Musikgeschmack eines Teenagers in den frühen Nullerjahren klingt. „Ich war auf fünf verschiedenen Schulen in fünf Jahren“, grinst sie, „und als ich in der dritten ankam, hatte ich begriffen, dass es nicht wirklich sinnvoll war, groß Kontakt mit den Mitschülern zu suchen. Also habe ich mich auf meine eigenen Gedanken und Musik beschränkt.“

Und auf Literatur des chilenischen Dichters Pablo Neruda – „nicht die Liebeslyrik“ -, García Márquez -„klar, magischer Realismus“ – oder die schwere Südstaaten-Gotik Flannery O’Connors. Die Freude am schweren Ton der Swans kann man nun wiederum in diversen Temperaturwechseln und Stücken wie „Obsisto“ oder dem eröffnenden „A Broken Memory“ hören, dessen „traditionelle Blues-Struktur“ in Noise-Moll „eine Hommage an Muddy Waters“ ist. Übrigens erwidert Michael Gira, der ein Swans-Cover auf der Cold-Specks-EP „Dancing Coins“ toll fand, hier Spx‘ Vokalbesuch auf dem letzten Swans-Album: „Michael ist ja im Herzen ein Blues-Mann. Ich glaube, der Einfluss hat sich, vor allem auch im Einsatz der Drums, ganz natürlich in mein Songwriting geschlichen. Es ist ja kein Fehler, Einflüsse anzunehmen.“ Zurückgedrängt hat sie dagegen den folkigeren Anteil: „Ich habe ganz bewusst einen volleren Sound gesucht und den klanglichen Aspekt erweitert. Ich habe damals auch neben Blues wie verrückt die Alan-Lomax-Anthologie gehört. Ich interessiere mich derzeit aber nicht mehr so für die entblößte Seele des Folk, sondern mehr für Performance und Künstler als Performance.“

Dazu ist sie von England, wohin sie für die Produktion des ersten Albums gegangen war, wieder nach Kanada zurückgezogen. „Ich habe wohl am üblichen ‚Man muss raus aus der Heimat‘-Syndrom der Jugend gelitten. Dann habe ich getourt und in England gelebt und dabei erkannt, dass man nicht im grauen London leben muss, um etwas zu lernen. Begonnen habe ich noch einsam in einem Cottage auf dem Land – geschwängert in Glastonbury, dann das Baby in Montreal rausgepresst.“

Geblieben ist beim Rückweg über den Atlantik und trotz des rockigeren Sounds – mehrmals wunderbar durchzogen von Ambrose Akinmusires Trompete – eine deutliche und düstere Ahnung der afroamerikanischen, US-südstaatlichen Geschichte in einigen Stücken wie „Rusty Knives“, worin sie „ein jahrhundertealtes Zitat eines mazedonischen Sklaven“ aufgreift und die rostigen Messer des Titels aus dem eigenen Rücken zieht, um damit ein ungenanntes Gegenüber zu bedrohen: „Ich bin eine schwarze Künstlerin, die mit Blues-Anleihen arbeitet. Ich verstehe, woher diese Interpretationen kommen, aber ich grabe nicht so tief im meinem Kopf und kann das echt nicht beantworten. Ambroses Spiel mit Jazz-Stilen ist aber sehr bewusst historisch informiert. Und mein Gesangsstil ist natürlich sowieso ganz grundsätzlich vom Blues geprägt.“ Und gleichgültig, was man sonst noch so in der Musik hören mag: Das ist nicht gelogen.

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