Die unheimliche Patriotin

Bisher war PJ Harvey für ihre oft qualvolle Seelenschau bekannt – nun beschäftigt sich die Engländerin mit ihrem Heimatland und einem geradezu universalen Thema: Krieg und Frieden.

Nur zu gern wäre ich in die süd-englische Grafschaft Dorset gereist, um dort die reizende Polly Jean Harvey zu treffen. Die Songschreiberin hätte mir dann sicher die alte Kirche gezeigt, wo sie ihr jüngstes Album, „Let England Shake“, aufgenommen hat. Wir wären auf den Kirchturm gestiegen und hätten schweigend über das Meer geblickt. Doch leider zitterte England im Dezember unter Eis und Schnee. Der Flughafen Heathrow wurde geschlossen, die Reise fiel aus, das Interview musste am Telefon stattfinden. Normalerweise kein Problem, doch PJ Harvey ist in dieser Hinsicht ein wenig schwierig: Eine Mischung aus Schüchternheit, Misstrauen und grundsätzlichen Erwägungen macht es der Sängerin nahezu unmöglich, sich gegenüber Journalisten zu öffnen. Ein Telefon-Interview ist da eher eine zusätzliche Hürde.

Dabei gibt es ein ebenso gelungenes wie kontroverses neues Werk zu besprechen. Nach den radikal introvertierten, fast ein wenig unheimlichen Kammerliedern von „White Chalk“ hat Polly Harvey nun ein Album über England und den Krieg gemacht. Ein faszinierender Lieder-Zyklus, der mit den Worten beginnt:, ,The west’s asleep/ Let England shake/ Weighted down with silent dead/ I fear our blood won’t rise again.“

Wie kommt man auf solche Zeilen – und warum handeln fast alle Songs von Krieg, Tod und Friedhöfen? „Das herauszufinden ist doch wohl Ihr Job, oder?“, kommt es leise, aber gar nicht mal unfreundlich aus der Telefonleitung. Polly Harvey macht eine längere Pause, vielleicht wirft sie schnell noch ein Holzscheit in den offenen Kamin ihres Cottages, und sagt dann: „Ich wollte über die Welt, in der wir leben, schreiben. Und diese Welt ist voller Konflikte und Krieg.“ Könnte man einige der Songs auch als Kommentar zu Englands Rolle im Irak und in Afghanistan sehen? „Das sind sicher die Konflikte, die einem momentan als Erstes einfallen“, sagt die Sängerin, „aber ich habe mich bei jedem meiner Alben um ein Gefühl der Zeitlosigkeit bemüht. Für mich ist Krieg ein Kreislauf, der immer weitergeht. Vermutlich werden sich die Menschen so lange bekämpfen, bis wir alle tot sind.“

In dem Song „On Battleship Hill“ beschreibt Polly Harvey die Erinnerung und Überbleibsel des Krieges als ein kontaminiertes, verwüstetes Idyll: Noch über 80 Jahre nach der Schlacht auf der türkischen Halbinsel Gallipoli findet man dort viele Schützengräben. Ein Gefühl von Hass liegt in der Luft, selbst wenn sie durchsetzt ist vom Duft des Thymians. „Ich war nie dort“, gibt Polly zu, „aber ich habe die Schlacht von Gallipoli sehr ausgiebig studiert. Ich wollte in dem Song die zyklische Natur des Krieges betonen, indem ich Bilder aus der Natur verwende. Krieg ist wie ein Rad, das nicht aufhört, sich zu drehen: Krieg, Wiederaufbau, Krieg, Wiederaufbau und so weiter. Das liegt wohl in der menschlichen Natur – es ist die Art, wie wir uns gegenseitig behandeln.“

Man könnte jetzt denken, „Let England Shake“ sei ein außerordentlich deprimierendes Album. Ist es aber nicht. Zusammen mit ihren langjährigen musikalischen Begleitern John Parish, Mick Harvey und dem Produzenten Flood ist PJ Harvey ein Album von ernster, manchmal aber auch verspielter Schönheit gelungen. Die zwölf Songs in einer Kirche einzuspielen, war allerdings nicht geplant: „Ich wollte ursprünglich in Berlin aufnehmen, aber das hat dann nicht gepasst. In der Kirche wollten wir eigentlich nur proben, weil wir hofften, die besondere Atmosphäre würde uns inspirieren. Auf den Sound des Albums hatte der Ort keinen Einfluss – das hätte ich in einem Berliner Studio vermutlich alles genauso gemacht.“

Hätte man nicht gedacht, denn das Album entstand weitgehend auf akustischen Instrumenten und enthält viele Elemente des Folk. Die Zeit der harschen Gitarren und emotionalen Ausbrüche ist bei PJ Harvey offensichtlich vorüber. Dafür gibt es einen sehr interessanten Umgang mit Samples und musikalischen Zitaten: In „The Words That Maketh Murder“ wird eine Zeile aus „Summertime Blues“ zitiert, die Melodie von „Let England Shake“ bedient sich bei der alten Swing-Nummer „Istanbul (Not Constantinople)“, und in „Written On The Forehead“ findet sich ein Sample des Reggae-Klassikers „Blood And Fire“. Steckt hinter diesem spielerischen Umgang mit musikalischen Fußnoten ein Konzept? „Nein, das ist eher organisch. Manchmal stolpere ich über Zeilen aus anderen Songs, die dann eigene Ideen inspirieren. Wenn man sich allerdings auf etwas Bestimmtes bezieht, sollte man dessen Kontext kennen, weil er dann auch in deinem Song eine Rolle spielt.“

„Let England Shake“, „The Glorious Land“, „The Last Living Rose“ – immer wieder besingt PJ Harvey ihr Heimatland in sehr poetischen Worten: „Take me back to England/ And the grey, damp filthiness of ages/ Fog rolling down behind the mountains/ And on the graveyards, and dead sea-captains.“ Ist PJ Harvey am Ende eine heimliche Patriotin? „Wie würden Sie Patriotin definieren?“, fragt die Songschreiberin misstrauisch zurück. Eine Person, die ihr Land liebt, die guten wie auch schlechten Seiten sieht, dabei aber immer zu ihrer Heimat steht. Polly Harvey scheint mit dieser Antwort einverstanden: „Wir alle haben vermutlich ähnliche Erwartungen an das Land, in dem wir leben. Meistens ist es eine Mischung aus unterschiedlichen Gefühlen – Hass, Liebe, Enttäuschung, Dankbarkeit. All diese Dinge empfinde ich gegenüber England: Ich liebe es – und ich hasse es. Ich wünschte, ich wäre woanders geboren, aber das bin ich nicht. Ich schäme mich für dieses Land – und ich bin stolz darauf. Weil ich mit diesen Gefühlen ringe, schreibe ich Songs, mit dene hoffentlich viele etwas anfangen können.“

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