Die Vollendete

"Beautiful Dremer", ein Film über die Entstehung von Brian Wilsons "Smile", auf DVD

Ein alter Mann blickt in die Kamera. „I’m Brian Wilson, BTW. Beautiful dreamer, that’s me.“ Dann bewegt er ruckartig den Kopf mit dem streng zurückgekämmten Haar, zuckt mit dem Mundwinkel und lächelt fast hysterisch.

Der Aufsager für Regisseur David Leaf, der die Entstehung von „Smile“ dokumentiert, fast 40 Jahre nach dem ersten Versuch, die Stücke auf Platte zu bannen: wieder eine Zumutung für den scheuen, ohne Rhythmus sprechenden Musiker, der meistens wie ein frisch Operierter auf einem Sessel sitzt oder erratisch auf seinem Keyboard spielt. Nur am Klavier wächst ihm plötzlich Sicherheit zu, wenn er den Boogie-Woogie demonstriert oder die Kadenzen von „California Girls“ hämmert Von Geburt an ist Brian Wilsons rechtes Ohr taub und das Hörvermögen im linken besonders fein ausgeprägt. Oft wird behauptet, Brians Vater Murry habe den Schaden mit seinen Schlägen verursacht Tatsächlich prügelte Murry seine Söhne zu einer Karriere als Beach Boys, den ältesten und begabtesten, traf es am schlimmsten. Noch als Brian Hit-Singles produzierte, war Murry der Tyrann im Studio, der den Sohn antrieb: „Weiter, Brian! Ich bin auch genial.“ Die Stimme ist auf Tonband erhalten geblieben. Es gruselt einen. „Er war neidisch“, sagt Brian Wilson heute. „Wir mußten ihn feuern.“

Aus den Sehnsüchten des Knaben, der beim Baseball keine Kurve werfen konnte, entstanden die Surf-Hymnen der frühen Sechziger. Dann hörte Brian „Rubber Soul“ von den Beatles und war überwältigt. Zugleich schluckte er LSD und hört seitdem Stimmen, wie er glaubt. 1965 begann er mit den Arbeiten an „Ptt Sounds“, während die anderen Jungs auf Tournee gingen. Wilson ließ ein Wigwam in seinem Haus installieren, bloß der Rauchabzug wurde vergessen. Man qualmte Pod, warf LSD-Trips. Wilson ließ einen Sandkasten ins Wohnzimmer bauen und stellte sein Piano hinein, um den Sand unter den Füßen spüren zu können.

Mit „Pet Sounds“ ging es 1966 noch gut. Die Jungs waren wieder unterwegs. Wilson begann nun mit Ehrgeiz, an neuen Liedern zu schreiben. Mehr als Lieder! Diesmal komponierte Wilson „modular“, kleine Einheiten und Melodien, die eine spätere Montage erlauben würden. Die Texte sollten ausgefallen, ja surreal sein. Wilson fragte den 22jährigen Van Dyke Parks, der allerlei abstruse Wortspielereien und Kindereien formulierte. „Smile“ sollte eine Reise von Plymouth Rock nach Hawaii sein, vom äußersten Osten der USA zum äußersten Westen. Dazwischen war alles offen.

Zur Aufnahme von „Mrs. O’Leary’s Cow“, der „Feuer“-Passage des Werks, schleppte Wilson einen brennenden Eimer ins Studio, die Musiker bliesen in Pfeifen und Tröten. Am selben Tag brannte in der Straße ein Lagerhaus ab. Ein Omen!

Dann kamen die Beach Boys heim, die Stücke waren ihnen zu „kreativ“, Mike Love meuterte, die Plattenfirma war auch nicht amüsiert, Gesangaufnahmen wurden boykottiert. Van Dyke Parks stieg aus. Schließlich brach Brian Wilson zusammen.

„Smile“ ruhte bis zum Jahr 2003 – ruhte natürlich nicht, sondern rotierte in Legenden und Anekdoten. Dann schlug Wilsons Ehefrau Melinda vor, er solle die Lieder im Konzert aufführen und als Album veröffentlichen. Bei einer Feier saß Wilson plötzlich am Klavier und intonierte „Heroes And Villains“. Der Bann war gebrochen.

Die Band probte in Wilsons Haus, doch am Anfang sträubte sich der depressive Mann, saß starr im Sessel, bis er ins Krankenhaus gebracht wurde. Allmählich änderte sich Wilsons Gemütsverfassung, er sang er mit. Die lang verschütteten Visionen nahmen wieder Gestalt an.

Im Februar 2004 flog Wilson nach London, wo in der Royal Festival Hall die Uraufführung von „Smile“ stattfand. Das Publikum, aus aller Welt herbeigeeilt, vermutete den Fund des heiligen Grals, des Excalibur, den Triumph des menschlichen Geistes.

Nach dem Konzert sprechen sie wie Gesegnete. Hinter der Bühne steht Roger Daltrey wie ein Bub vor dem linkischen Genius. Paul McCartney blödelt, wie immer. Van Dyke Parks ist entrückt. Die Menschen sind zu Tränen gerührt.

Unter den Befragten in dieser mustergültigen Dokumentation (die zweite DVD zeigt das Konzert) ist auch Jimmy Webb. Er sagt über „Surf’s Up“, dieses Stück enthalte eine Ahnung davon, daß Unheil drohe, daß die friedliche Zeit bald zu Ende gehen könnte. Und Wilson sagt zu Parks: „Es lag so viel Liebe in der Luft.“

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