Die wiedergefundene Zeit

Vor 15 Jahren kam der verschrobene Bonvivant Kevin Ayers der Popwelt abhanden. Nun ist er mit prominenter Unterstützung aus Gegenwart und Vergangenheit zurück

Nervös wippte Kevin Ayers mit seinen weißen Turnschuhen, die ihn – in Kombination mit einer schwarzen Jeans – eindeutig als Kind der 60er Jahre auswiesen. Ein sich im Garderobenspiegel doppelndes Gläschen Rotwein gegen das Lampenfieber vor sich, wartete er schicksalsergeben auf seinen Auftritt beim Syd-Barrett-Tribute im Londoner Barbican. Bleich, fahrig, müde sah er aus und wirkte wie der einsamste Mensch der Welt. Nur Pink Floyds Rick Wright sagte kurz Hallo. „England ist der Ort, an dem ich mich am allerwenigsten zu Hause fühle“, stöhnte Ayers damals, und man glaubte es ihm sofort.

Die ersten zwölf Jahre seines Lebens verbrachte er größtenteils mit Mutter und Stiefvater in Malaysia, dann war er in einem Internat nahe Canterbury mit dem englischen Schulsystem zusammengestoßen, und nachdem er Jahre später mit seiner Band Soft Machine im Vorprogramm von Jimi Hendrix durch die USA getourt war, zogihn nichts wieder zurück in den englischen Regen. Er ging wieder in wärmere Gefilde. Nach Ibiza, ins Rhönetal, nach Mallorca und Menorca. Jetzt lebt er im Südwesten Frankreichs, nahe dem kleinen Dörfchen Montlieu am Fuße des Montagne Noir.

Vielleicht liegt es am wechselhaften Kölner Wetter, das ihn – wie er sagt – an zu Hause erinnert, jedenfalls ist er bei unserem zweiten Treffen kaum wiederzuerkennen. Gebräunt, gut gelaunt, gesprächig kommt er dem Bild, das man vom dionysischen Doctor Dream im Kopf hat, ziemlich nahe. Er habe zum ersten Mal auf seiner dreitägigen Deutschland-Reise gut zu Mittag gegessen, und der Wein sei einwandfrei gewesen, grinst er.

Er lebe in seiner eigenen Zeit, fern der (Pop-)Welt, um die er sich in den letzten Jahren nicht viel geschert habe. Ab und zu hat er ein paar Konzerte gespielt, um ein bisschen Geld zu verdienen, denn von seinen spärlichen Royalties allein kann er nicht leben. „Ich lebe normalerweise sehr zurückgezogen. Es ist jedes Mal eine seltsame Erfahrung, wenn ich das stille Landleben hinter mir lasse, um ein Konzert zu spielen, ein Interview zu geben oder eine Platte zu machen. Ich vergleiche meinen Lebensstil immer mit dem von Jacques Brei. Der lebte auf Tahiti und kam nur für Konzerte und Werbung nach Frank reich. Und dann – pfft – flog er flugs wieder „weg.“ Seine einzige Verbindung nach außen sei in den letzten Jahren ein kleines Radio gewesen, so Ayers. „Ich versuche, französischen Pop zu meiden, wenn’s geht“, lacht er, „und habe einen Sender eingestellt, der World Music spielt. Da ich aber in den Bergen lebe, habe ich nicht immer Empfang. Die Musik kommt und geht.“

Ein Bild, das man auch aufsein eigenes musikalisches Output anwenden könnte. Vor 15 Jahren konnte man dem Äther das letzte Mal ein neues Kevin-Ayers-Album abhorchen-wenn man Augen und Ohren ganz weit aufsperrte. „Still Life With His Guitar“ hieß es. Nicht gerade ein Megaseller. Kurz darauf starb sein langjähriger musikalischer Partner Ollie Halsall an einer Überdosis, und Ayers fiel in eine schwere Depression. „Das Letzte, was du dann willst, ist einen Song schreiben“, murmelt er kopfschüttelnd. .Aber zugleich ist Arbeit im Sinne von: sich mit irgendwas beschäftigen, für das man Talent hat, der einzige Weg, da wieder rauszukommen.“

So hat er in den letzten 15Jahren immer mal wieder versucht, etwas zu schreiben.

Viel hat er wieder verworfen, weil es seinen Ansprüchen nicht gerecht wurde. „Ich habe mehrere Regeln. Erstens: Schreibe nicht zwei Lieder, wenn du es in einem sagen kannst. Zweitens: Schreibe nicht in einer Privatsprache. Und drittens: Schreibe nicht über Dinge, die nur an dem einen Tag aktuell sind. Ich möchte was schreiben, was Gültigkeit hat, mit dem sich die Leute identifizieren können.“

Die zehn Songs, die man jetzt auf dem neuen Album „The Unfairground“ hört, genügen diesen harten Kriterien. „Alle negativen Sachen, alles, was vom Depressivsein handelte, habe ich weggeworfen“, so Ayers. „Ich wollte mit der Musik eine Atmosphäre schaffen, die ausdrückt, dass ich (seufzt, Kunstpause) noch am Leben bin.“ Und wenn es in den letzten 30 Jahren ein Album gab, welches beweist, dass Kevin Ayers nicht nur körperlich, sondern auch kreativ noch existiert, dann ist es tatsächlich dieses.

In den späten Siebzigern schien es, als hätten ihn all die attraktiven Musen für immer verlassen. „Ich habe viele gute Songs verschwendet, weil mir andere Leute gesagt haben, was ich zu tun habe. Der Druck der Plattenfirmen war enorm groß, wenn man nicht gut verkaufte.“ Später gingen dann auch noch die guten Songideen aus. „Man braucht Input, sonst gibt’s keinen Output, so einfach ist das. Gut, man kann sich eine Zeitlang auf seine Erinnerungen, Vergangenheit und Erfahrungen verlassen. Aber wenn man still und leise dahintickt wie ich, ist das irgendwann aufgebraucht. Dann ist nichts mehr da, über das man schreiben kann.“

Umso erstaunlicher, wie souverän und selbstverständlich „The Unfairground“ nun daherkommt. Ein Werk mit einem ganz eigenen Rhythmus, in unheimlich gelassener Gangart. Ja, tatsächlich klingt das Album so, wie Kevin Ayers auf seinen weißen Sneakers durch die Gegend strolcht. Federnd, leicht tänzelnd. Eine Mischung aus Muhammad Ali und einem Gigolo. Mit dem Kopf in den Wolken.

Es mutet geradezu Zen-weise an, wenn er davon singt, wie ihn jeden Tag etwas anderes an den süßen Vogel Jugend erinnert. Wie er sich manchmal nicht sicher ist, ob er sich wieder verliebt oder ihn nur ein Second-Hand-Gefühl aus der Vergangenheit heimgesucht hat. Wie aus alten Schultern kalte Schultern werden und aus Liebenden Von Maik Brüggemeyer

Fremde. „Ich bin jetzt 63 undkein bisschen schlauer als mit Mitte 20“, seufzt Ayers, schaut versonnen in sein Weinglas und ist für einen kurzen Moment abwesend.

„I’m happy dreaming and it’s good for my health/ And only when I’m dreaming am I really myself“, hat Ayers Ende der Achtziger in „Am I Really Marcel“ gesungen, im neuen Song „Wide Awake“ heißt es: „I can’t face the world outside my dreaming.“ Da schwingen immer noch die Gedanken G.I. Gurd Jieffs mit, die Ayers schon zu Soft Machine-Zeiten beschäftigten. Der Mensch sei ein Schlafender, der nur träume, er sei wach, philosophierte der russische Mystiker. „Ich finde immer noch, dass das ein gutes Bild ist“, so Ayers. „Viele gehen wirklich durchs Leben, als würden sie schlafen. Ihr Handeln wird vom Unterbewusstsein bestimmt. Wie im Traum. Das Ziel muss sein, bewusst zu leben. Zu beobachten und sich eine Meinung zu den Dingen zu bilden, ohne dabei dogmatisch zu werden. Du musst daran glauben, was du sagst, und dir zugleich bewusst sein, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.“ Wieder so ein Zen-Spruch.

Dass es die Songs von „The Unfairground“ von den französischen Bergen überhaupt runter zu uns in die Popwelt schafften, haben wir zum großen Teil dem amerikanischen Künstler Tim Shepard zu verdanken. Shepard lernte Ayers, der sich lakonisch mit „I used to do music“ vorstellte, Ende der Neunziger in einer französischen Kunstgalerie kennen und leerte dort mit ihm einige Flaschen Wein. Dass es sich bei seiner neuen Bekanntschaft um einen der großen Verschollenen des Pop handelte, erfuhr Shepard erst Jahre später, als die beiden schon gute Freunde waren, von einem britischen Avers-Fan.

2005 spielte Ayers seinem amerikanischen Freund ein Tape mit ein paar neuen Songs vor, die er in seiner Küche aufgenommen hatte. Shepard war tief beeindruckt, schlug vor, eine Platte daraus zu machen, und versprach, sich um alles Weitere zu kümmern.

„Nachdem wir das erste Mal davon gesprochen hatten, ein Album zu machen, habe ich nach Bands gesucht, die gut wären für Kevin“, erzählt Shepard. Er fand ein Interview mit Gary Olson von derNew Yorker Band Ladybug Transistor, der dort über seine Liebe zu Kevin Ayers sprach. Der erinnerte sich wiederum daran, dass die Ladybugs mal sein „Puisje“ gecovert hatten und er sogar einen Part dafür eingesungen hatte -allerdings ohne die Band je getroffen zu haben. „Ich habe für Kevin und mich einen Aufenthalt in New York gebucht, damit sie mal zusammen spielen können“, so Shepard. „Wir haben im Chelsea Hotel übernachtet, und das brachte bei Kevin die Erinnerungen an die Zeit zurück, die er dort mit Soft Machine und Jimi Hendrix verbracht hatte.“

„It’s visiting time in the past“, heißt es in dem neuen Song“Brainstorm“. Könnte das Motto für die Aufnahmen zu „The Unfairground“ gewesen sein. Shepard traf in New York die Folk-Sängerin Bridget St. Johns, die schon auf Ayers‘ zweitem Solo-Album „Shooting At The Moon“ mitgesungen hatte und lud sie ins Studio ein, wo bereits einige Musiker von Architecture in Helsinki Platz genommen hatten. Bei weiteren Aufnahmen im Londoner Studio des Ex-Roxy Music-Gitarristen Phil Manzanera trafen Shepard und Ayers nicht nur auf den Hausherrn und Hugh Hopper, der Ayers 1969 bei Soft Machine ersetzt hatte und im Keller des Studios an neuen Sachen werkelte, sondern auch den alten Freund Robert Wyatt. „Er arbeitete in Phils Studio an seinem neuen Album, als Kevin in London ankam“, erzählt Shepard. „Das war ein sehr emotionales Treffen. Die hatten sich seit Ewigkeiten nicht gesehen.“

„Worüber wir geredet haben? Über alte Zeiten halt, worüber sonst“, lacht Ayers, der sich nicht mehr erinnern kann, wie lange das letzte Treffen mit dem Ex-Soft Machine-Kollegen schon her ist. Zuletzt zusammen gespielt haben sie vermutlich am 1. Juni 1974. Damals hatte Ayers zu einem seiner seltenen London-Besuche alte Freunde wie Nico, Brian Eno und John Cale ins Londoner Rainbow Theatre eingeladen. Ein denkwürdiges, auf Tonträger dokumentiertes Ereignis. Wenn auch nicht eben harmonisch. Denn am Abend zuvor hatte Cale seine Frau Cindy beim Schäferstündchen mit Ayers erwischt, was ihn zu dem Song „Guts“ inspirierte. „The bugger in the short sleeves fucked my wife/ Did it quick and split.“

Wyatt hat Ayers den Seitensprung bestimmt nicht übel genommen und Heß ein Stimmsample für „The Unfairground“ im Studio zurück, als er wieder heim nach Louth in Lincolnshire fuhr. Jeder Musiker, der vom neuen Ayers-Album erfuhr, schien seine Spuren darauf hinterlassen zu wollen. So auch Teenage Fanclub. „Ich habe Norman Blake und die anderen Fannies durch Robert Forster und Grant Mc-Lennan von den Go-Betweens in einem Londoner Hotel kennengelernt“, so Shepard. „Und Norman erzählte mir, was für große Fans von Kevins Musik sie seien.“ So wurde eine letzte Aufnahmesession in Glasgow arrangiert. Neben Teenage Fanclub tummelten sich noch jede Menge andere Musiker im und um das Yim-Jump-Studio. Unter ihnen Indie-Chanteuse Candie Payne und Ex-Gorky’s Zygotic Mynci-Sänger Euros Childs.

„Es war ein echtes Hippie-Happening“, feixt Ayers. All die tollen Musiker habe er vorher gar nicht gekannt, gibt er zu. „Wenn ich einen Anfang gemacht habe“, sagt Ayers, „fügt sich alles Weitere von allein. So war es immer in meinem Musikerleben, und so war es auch dieses Mal. Ich hatte die Songs, der Rest ergab sich.“

Die Besetzung auf „The Unfairground“, diese Mischung aus alten und neuen Helden, milder Avantgarde, angesagtem Indie-Pop und Folk, ist so originell, dass sie sich nur ein gewiefter Kenner mit Sinn fürs Absurde oder der Zufall ausgedacht haben kann. 30 Jahre nach dem letzten meisterlichen Ayers-Album stehen die Zeichen gut für ein Comeback. „Für mich wirkt es eher wie eine Rückkehr ins Leben als wie ein professionelles Comeback“, meint Ayers. „Wäre aber natürlich schön, wenn das neue Album die Leute dazu bringen würde, sich auch meine alten Platten anzuhören und ein bisschen Geld reinkäme. Aber für mich repräsentiert die Platte vor allem, wie ich mich selbst aus meiner großen Depression und einer sehr unproduktiven Periode befreit habe. Es ist schön, dass ich mit etwas zurückkomme, das mir gefällt und das positiv ist.“

Und weiße Turnschuhe sind mittlerweile auch wieder in Mode. Die Zeit ist reif für Kevin Ayers.

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