Dokumente des Scheiterns
„England s Dreaming , die brillante Aufarbeitung der englischen Punk-Bewegung von JON SAVAGE, ist nun endlich auch in deutscher Übersetzung erschienen
So müsste der Punk eigentlich dargestellt werden wollen, wenn er sich denn mal klar und deutlich und einstimmig artikuliert hätte: so wie in Jon Savages großer, nein, fulminanter, nachgerade onomatopoetischer Kulturgeschichte „England’s Dreaming – Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock“ (Edition Tiamat, 543 S., 58,- DM), die Conny Lösch nun endlich und angemessen dreckig ins Deutsche übertragen hat. Savages Buch ist selber Punk. ^!venn man schon so heißt – bzw. einen solchen Namen zum Pseudonym wählt -» wird man das auch erwarten dürfen. Während Greil Marcus in „Lipstick Traces“, der einzigen Darstellung zum Thema von vergleichbarer Relevanz, das Phänomen transzendiert, es einbettet in den Kontext politisch ambitionierter Avantgardekunst des 20. Jahrhunderts und es letztlich damit auch ästhetisiert, bleibt Savage auf Tuchfühlung und liefert statt dessen das, was Soziologen wohl eine „dichte Beschreibung“ nennen würden. Er kompiliert Zeugenaussagen, lässt die Menschen reden, die dabei gewesen sind (wie er selbst), montiert ohne Rücksicht auf Übersichtlichkeit immer wieder neue O-Töne und Gesprächsfetzen, Zitate aus der zeitgenössischen Journaille und Sekundärliteratur. Und wenn er mit Worten nicht weiterkommt, hat er allemal passendes Bildmaterial, Fotos, Flyer, Plattencover etc. zur Hand, die das Milieu, die Atmosphäre, den Geist der Zeit visualisieren.
Savage bemüht sich um Objektivität, wenn es nötig ist, wenn er mal den Kopf herausstreckt aus dem Quellenmaterial, um die ökonomischen, gesellschaftspolitischen und ästhetischen Korrespondenzen zu analysieren. Denn ohne die Rezession in Großbritannien, ohne die Law-and-Order-Stimmung, ohne die sukzessive Zurücknahme der öOer-Jahre-Liberalität, ohne solche Rahmenbedingungen mithin, wer weiß – vermutlich auch kein Punk.
Aber dann kommt Savage doch wieder ein stimmungsvolles Zitat unter, und noch eins und noch eins. Er lässt sich hin- und mitreißen, wie er auch damals als 22-jähriger Fanzine-Schreiber mitgerissen war. Seine eingestreuten Tagebuchnotate dokumentieren das: „Am Ende des (Clash-)Konzerts, das eher einem Kampf gleicht, springt der mit Speed Vollgepumpte von der Bühne und wirft sich auf zwei Langhaarige, die für die Zwischenrufe und fliegende Gläser verantwortlich waren… Eine ergebnislose Schlägerei beginnt am Boden zwischen den Bierpfützen. Die Leute sehen mit leeren Augen zu: Aus der PA kommt das gemeine, leere JVo Fun‘ von den Stooges. Alles verschmilzt miteinander.“
Nicht von ungefähr geht es hier den Langhaarigen an den Kragen, den Hippies, die das zentrale Feindbild markierten, die längst sedierte Protestgeneration, deren positiv-onkelhafte Love&Peace-Botschaft den sozialen Realitäten Hohn sprach.“Hippos“ nannte sie verächtlich Malcolm McLaren,jener größenwahnsinnige Egomaniac, der sich in New brk rumtrieb, um Anregungen zu finden für seine Boutique „Sex“, und der dort im CBGB’s den Punk entdeckte und ihn nach England importierte. Zuallererst natürlich in Gestalt der Sex Pistols, der Band zur Boutique gleichsam, McLarens Eleven, die er im virtuosen Spiel mit den Medien zu den meistbeachteten und -gehassten – und finanziell erfolgreichsten Exponenten der Bewegung modellierte.
Die Symbiose mit der Musikindustrie barg den immanenten Widerspruch in sich, der schließlich für das Ende der Pistols und des Punk verantwortlich war. „Auf konventionelle Weise erfolgreich zu sein“, muss Savage zähneknirschend konstatieren, „hieß, nach den eigenen Maßstäben gescheitert zu sein. Scheitern bedeutete, erfolgreich zu sein.“