Eddie Palmieri, visionärer Pianist, mit 88 Jahren gestorben
Latin-Music-Ikone Eddie Palmieri prägte und revolutionierte Salsa und Latin Jazz
Eddie Palmieri, der visionäre Pianist und Bandleader, der die Klangsprache der Salsa maßgeblich mitgestaltete und erweiterte, ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Seine Tochter Gabriela Palmieri bestätigte gegenüber der „New York Times“, dass er nach längerer Krankheit verstarb.
Revolutionäre Ideen, verwurzelt in Tradition
Palmieri blieb den afrokaribischen Tanztraditionen treu. Er experimentierte jedoch radikal mit neuen Einflüssen. Und schuf eines der gewaltigsten Gesamtwerke der Tropenmusik. Mit dem Debüt seiner legendären Band La Perfecta 1962 begann eine Reise durch Salsa, Latin Jazz und Boogaloo, die Elemente aus Klassik, Psychedelic, Funk, Acid Rock und puertoricanischer Folklore einbezog. Sein Album „The Sun of Latin Music“ (1974) war das erste, das einen Grammy in der Kategorie „Best Latin Recording“ gewann.
Geboren 1936 in New York City als Sohn puertoricanischer Eltern, wurde Eddie stark von seinem älteren Bruder Charlie beeinflusst, den er stets als den „wahren König der Tasten“ bezeichnete. Während Charlie dem traditionellen Salsa-Sound treu blieb, zeigte Eddie schon früh seine rebellische Ader: Kurzzeitig wechselte er vom Klavier zu den Timbales, kehrte aber zurück, nachdem ihm das Schleppen der Trommeln durch New Yorks Clubszene zu lästig wurde. Auch die stilvolle Bühnenpräsenz von Mambo-Star Tito Rodríguez prägte ihn – vor allem, als er diesen als Pianist begleitete.
Palmieri war bekannt für seine ständigen Neuerfindungen. Er wechselte regelmäßig Sound, Arrangement und Musiker, nutzte aber auch finanzielle Beschränkungen kreativ: Ursprünglich mit vier Trompeten besetzt, ersetzte er diese in La Perfecta durch zwei Posaunen – gespielt von Barry Rogers und Jose Rodrigues. Das sogenannte trombanga-Format veränderte die New Yorker Salsa-Szene nachhaltig. Posaunen dominierten mit wuchtigen Riffs, während die Rhythmusgruppe um Manny Oquendo mehr Raum erhielt. La Perfecta entwickelte sich zu einer der rohesten Orchester ihrer Zeit – mit Hits wie „Café“ und „Muñeca“ und dem charismatischen Sänger Ismael Quintana.
Vom Bolero zur Salsa-Hymne
Palmieris frühe Alben waren bereits revolutionär, doch 1965 erreichte er mit Azúcar Pa’Ti einen kreativen Höhepunkt. Das Album beginnt mit dem Bolero „Sólo Pensar En Ti“ und endet mit dem ekstatischen Titelstück „Azúcar“ – einer neuminütigen Salsa-Hymne, die live im Palladium erprobt wurde und besonders bei schwarzen Tänzern beliebt war. Als Künstler, der Jazz und Latin gleichermaßen schätzte, verband er afroamerikanische und lateinamerikanische Tanzmusik und festigte New Yorks Ruf als kulturelles Zentrum. „Azúcar“ gilt als erstes tropisches Stück, in dem der Pianist gleichzeitig rhythmisch und melodisch unabhängig agierte.
Wie Tito Puente verstand Palmieri es, Trends aufzugreifen – doch er unterwarf sie seinem eigenen Stil. Während viele Veteranen vom Boogaloo-Boom der späten Sechziger überrollt wurden, produzierte Palmieri 1968 mit Pancho Cristal Champagne, ein heute als Klassiker geltendes Boogaloo-Album. Mit Musikern wie Ismael Quintana, Joe Cuba, Cheo Feliciano und Cachao war es sowohl künstlerisch als auch kommerziell ein voller Erfolg.
Jazz, Politik und klangliche Grenzüberschreitungen
In dieser Zeit arbeitete Palmieri auch mit dem Vibraphonisten Cal Tjader zusammen – die Alben El Sonido Nuevo und Bamboléate zeigten eine neue Raffinesse. In den Siebzigern erweiterte Palmieri seine Musik parallel zur Rockmusik ins Experimentelle: Superimposition (1970) interpretierte Arsenio Rodríguez’ Klassiker „Pa’Huelé“ neu, 1971 folgte Vámonos Pa’l Monte mit Charlie Palmieri an der Orgel – ein musikalischer Rückzug aufs Land als politisches Statement.
Mit The Sun of Latin Music (1974) erfand sich Palmieri erneut: neue Plattenfirma, neuer Leadsänger (Lalo Rodríguez), ein 15-Minuten-Stück („Un Día Bonito“) und Beatles-Zitat inklusive. Lucumí, Macumba, Voodoo (1978) ging noch weiter in afrokaribische Avantgarde – zwar kein Verkaufserfolg, aber künstlerisch wegweisend. 1981 folgte das Meisterwerk Eddie Palmieri (auch als El álbum blanco bekannt), auf dem Cheo Feliciano ein feuriges Tango-Cover eröffnete.
Späte Rückkehr zur Salsa
In den 1980ern trat Palmieri seltener auf. 1992 produzierte er das Debüt von La India. Danach wandte er sich wieder vermehrt dem Latin Jazz zu. Live beeindruckte er mit langen, komplexen Improvisationen. Nach einem wenig inspirierten Projekt mit Tito Puente (Masterpiece, 2000) überraschte Palmieri 2002 mit „La Perfecta II“, einer Neuinterpretation seiner Klassiker mit Sänger Hermán Olivera und großer Band. Auch „Ritmo Caliente“ (2003) überzeugte. Besonders das erweiterte Klaviersolo in „Lázaro y su Micrófono“.
Diese Werke zeigten, dass Palmieri auch im hohen Alter kraftvoll und innovativ blieb. „Y así se toca, boncó“ – „So spielt man diese Musik, Bruder“, sang der Chor nach einem Posaunensolo. Palmieri bewies, dass Salsa mehr ist als Tanzmusik. Ein Ausdruck für Liebe, Gerechtigkeit und Philosophie.
Letzte Jahre, bleibendes Vermächtnis
2014 verlor Palmieri seine Frau Iraida nach über 60 Ehejahren. Die Trauer stoppte seinen kreativen Fluss nicht. „Mi Luz Mayor“ (2018) war eine Hommage an ihre Liebe, mit Gästen wie Carlos Santana und Gilberto Santa Rosa. Besonders hervorzuheben: eine Big-Band-Version von „Sun Sun Babaé“.
Palmieri war bekannt für seine positive Ausstrahlung. Sein ansteckendes Lachen. Und seine klugen, zweisprachigen Reden über das Geheimnis des afrokaribischen Klangs. Als letzter lebender Riese der Salsa-Ära hinterlässt er ein vielschichtiges Werk. Eines, das Generationen brauchen wird, um es vollständig zu verstehen. In seinen Händen wurde lateinamerikanische Musik unberechenbar. Und gefährlich schön.