Ein Interview mit The Roots-Sprachrohr Ahmir Thompson

Ahmir Thompson, Europa hegt viele Vorurteile gegenüber dem HipHop. Unter anderem heißt es, er sei frauenverachtend.

Das ist kein Vorurteil, HipHop ist sexistisch. Aber: Wer Rap generell für firauenverachtend hält, hat noch nie eine Platte von uns oder auch A Tribe Called Quest gehört. Hip Hop verherrlicht Gewalt.

Klar, auch das stimmt Aber es gibt Ausnahmen. Wer nur verfolgt, was gerade auf MTV als heiß gilt, ist auf der falschen Fährte. Ich sage ja auch nicht „Rock ist langweilig“, nur weil der fernsehtaugliche Mainstream-Rock langweilig ist.

Ist HipHop schwarz?

Nicht mehr. Natürlich ist HipHop afrikanischen, schwarzen Ursprungs – wie alle Musik, Aber das ist das große Missverständnis der US-Szene: zu meinen, eine bestimme Musikrichtung ließe sich einer bestimmten ethnischen Gurppe zuordnen. Jede Musik ist für alle da.

Aber die schwarzen Pioniere erhalten oft genug nicht die gebührende Anerkennung.

Das ist das Problem. Die einen begründen ein Genre, andere profitieren. Wfer von Rock’n’Roll spricht, denkt nicht an Leadbelly, Muddy Waters und Johnny Shines, sondern an Jimmy Page, Eric Clapton, Keith Richards. Auch im HipHop wird es so sein. Im Jahr 2040 zollt man den Vorvätern nicht mehr die nötige Anerkennung.

Weiße Entertainer schminkten im 19. Jahrhundert ihr Gesicht schwarz. Warum hast du diese sogenannte „Blackface Minstrelsy“ zum Thema deiner Platte „Phrenology“ gemacht?

Eben weil sie einmal mehr hochaktuell ist.

Weil noch immer weiße Künstler schwarze Innovation ausschlachten, zum Beispiel Eminem den HipHop?

Wichtiger ist der Umkehrschluss. Um akzeptiert zu werden, mussten Schwarze schon vor hundert Jahren jenem Zerrbild entsprechen, das weiße Minstrels wie AI Jolson von ihnen geschaffen hatten: Sie mussten den grinsenden Nigger mit aufgerissenen Augen mimen. Das blieb in der Seele junger Schwarzer verankert.

Aber doch nicht im heutigen HipHop?

O doch! Ein Gangsta-Rapper gibt den Bimbo fürs weiße Publikum, nur spielt er nicht mehr den lustigen, sondern den grimmigen schwarzen Mann. Und bedient just die Klischees, die man uns Schwarzen gegenüber hegt Bist du selbst konkret mit derartigen Vorurteilen konfrontiert worden? Klar. Die größte Südstaaten-Radiostation wies unseren Song „The Seed“ ab; er sei einfach nicht „schwarz“ genug: Wir haben ihrem Rollenklischee nicht entsprochen. Stammte der Song von einer weißen Band wie den Strokes, hätten sie ihn 13 Mal am Tag gespielt. Oft enttäusche ich auch Fans, die zu mir kommen: „Yo, you’re the real hip hop shit, wassup, man? Rauchst du mit mir einen Joint?“ Ich sage: „Nein danke, bin Nichtraucher“, und sie verstehen die Welt nicht mehr.

Weshalb ist euer Publikum weitgehend weiß?

Schwarze Kids mögen uns nicht weil wir keinen Minstrel-Typus verkörpern: Wir verkaufen kein Kokain, sind keine Sexprotze, verprügeln keine Bitches, fahren keine dicken Schlitten.

Aber ihr könntet für schwarze Teenager doch durchaus positive Vorbilder sein.

Unmöglich. Neun von zehn jungen Schwarzen in den USA wachsen in schreiender Armut auf, das Wort Hoffnung hat im Ghetto null Bedeutung. Ich habe viele, viele Freunde, die mit 17 die Highschool verließen, mit 18 den Traum aufgaben, Basketballer zu werden, mit 19 keinen Job fanden, Crack-Dealer wurden und im Knast landeten. 70 Prozent meiner Schulkameraden sind im Gefängnis und kommen nicht vor 2020 raus.

Warum sitzt du nicht im Knast?

Ich hatte strenge Eltern, zum Glück. Die ließen mich nie raus. Nach der Schule musste ich Punkt 15.30 Uhr zu Hause sein. Ich übte drei Stunden Schlagzeug, aß zu Abend, danach Hausaufgaben, eine Stunde TV, ab ins Bett. Meine Eltern gaben mir Hoffnung.

Könnten nicht auch Musiker Hoffnung geben?

P. Diddy sagte mir einmal: „Wenn schwarze Kids mich Bentley fahren sehen, zeigt ihnen das doch, dass sie es wirklich auch schaffen können.“ Aber die Kids haben keine Geduld, sie wollen alles sofort. Und weil neun von zehn schwarzen Jugendlichen nur eine überforderte Mutter und keinen Vater haben, suchen sie die Geborgenheit in einer Gang.

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