Ein Maximum an Aura – Portishead und Savages live in Berlin

Portishead-Sängerin Beth Gibbons beeindruckt beim Auftritt der Band in der Berliner Zitadelle Spandau – sie offenbart einen faszinierenden Widerspruch zwischen Fragilität und Stärke, Entrücktheit und Autarkie. Die Vorband Savages setzen dagegen auf schieren Schalldruck.

(Anmerkung: Die Galerie zeigt Bilder des Portishead-Auftritts beim Hurricane-Festival 2011)

„I wish I could just hug you all! … But I’m not gonna.” So bündig brachte einst Layne Staley selig bei einem Alice In Chains-Konzert das kokette Spiel des Popstars zwischen Nähe und Distanz zum geneigten Publikum auf den Punkt. Ausgerechnet Beth Gibbons, die sich auf der Bühne vornehmlich mit geschlossenen Augen ums Mikro windet und das Portishead-Liedgut in 100 Schattierungen innigen Barmens, Sehnens und Flehens beschwört, hält sich am Ende eines beglückenden Auftritts am Dienstagabend in der Berliner Zitadelle mit symbolischen hugs and handshakes nicht auf: Zum Finale bei „We Carry On“, bei schneidenden Gitarren, steigt sie erregt in den Fotograben herab und herzt hemmungslos die Menge.

Kein ungewöhnliches Ereignis auf einem Portishead-Konzert und doch stets aufs Neue berührend, zeichnet sich Gibbons‘ Bühnenpräsenz doch durch einen faszinierenden Widerspruch zwischen Fragilität und Stärke, Entrücktheit und Autarkie aus – die Negierung von Show, Extrovertiertheit und Ausstrahlungsfixiertheit führt zu einem Maximum an Aura. Schon wenn sie uns ein-, zweimal mit schüchtern hochgezogenen Schultern ihre weiße Teetasse zuprostet, erscheint dies als denkbar liebenswürdigste Geste, der man je auf einer Freilichtbühne Zeuge werden durfte. Dabei regiert doch immer die Musik auf der Bühne, es gibt keine „Performance“, es reicht völlig, der Band beim konzentrierten Klangmeißeln beizuwohnen, um keine Sekunde missen zu wollen.

Zugegeben, etwas Staub hatten die drei Portishead-Platten in den letzten Jahren schon im Regal angesetzt. Dass ihr spezieller Bristol-Sound zwischen schwelgerischem Trip Hop, lärmaffinem Industrialpop und kühler Krautrockmotorik uns doch wieder so unvermittelt trifft, mag auch einer nostalgischen Komponente geschuldet sein. Insbesondere wohnt zeitlosen Tracks wie „Cowboys“, „Glory Box“, „Roads“, „Magic Doors“, „Hunter“ oder „Chase The Tear“ aber bei aller kinematografischen Tristesse nach wie vor ein hymnischer Verzückungszauber innne, der für alle Nachfolger und Epigonen nie zu entschlüsseln war. Davon zeugen nicht zuletzt die vielen seligen Gesichter vor der Bühne, der omnipräsente Hanfdunst tut wohl sein übriges. Bei dem einen oder anderen mag sich das Glücksgefühl auch mit der Erleichterung darüber vermengt haben, dass die Trommelfellbenommenheit, die die Vorband Savages mit ihrer Lautstärkenoffensive verursacht hatte, langsam wich.

Während Gibbons, Gitarrist Adrian Utley und Multiinstrumentalist Geoff Barrow, unterstützt von drei weiteren Musikern, ihre pulsierenden Sounds trotz komplexer Texturen stets am Schweben halten, setzten die Savages aus London zuvor auf schieren Schalldruck – und verblüfften vor allem damit, wie lückenlos dicht sie allein mit Gitarre und Bass die Stille zwischen den wuchtigen, und dabei erstaunlich leichthändigen Taktschlägen füllten. Die grimmig entschlossene Optik, für die das LP-Cover ihres eindrücklichen Post-Post (…)-Punk-Debüts „Silence Yourself“ steht, vermochten die vier Damen in schwarzer Kluft im Schein der Berliner Abendsonne allerdings nicht letzter Konsequenz zu reproduzieren, dafür hatten sie wohl einfach zu gute Laune. Was jedoch auf Platte mit viel Gespür für Dynamik und Nuancen inszeniert wurde, geriet auf der großen Bühne zu monolithisch, um die Spannung jenseits verhältnismäßig eingängiger und konturierter Tracks wie „Husbands“ durchgehend zu halten. Von den vielgerühmten Live-Qualitäten der Savages sollte man sich also einstweilen besser in der Intimität eines Clubs überzeugen.

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