Ein Paar alter Hausschuhe

Vor 18 Jahren waren sie kurz davor, berühmt zu werden – dann ging alles schief. Jetzt reaktivierten Eddie Roeser und Nash Kato mit zwei Gehilfen die legendären Urge Overkill.

Urge Overkill verließen vor 15 Jahren das Rock-Geschäft wie ein gehobener Angestellter, der vergeblich auf die versprochene Beförderung gewartet hat: beleidigt, desillusioniert und mit sich selbst verkracht. Das Album „Saturation“ hatte Ruhm versprochen, Weltruhm sogar. „Alternative“ wurde der neue Mainstream, und plötzlich öffneten sich die Türen für Bands, die eben noch ein Leben im Kellerclub avisiert hatten. Noch heute erinnern sich Eddie „King“ Roeser und Nash Cato an aufgeregte A&R-Manager, die auf den Fluren von Geffen Records auf- und ab liefen, elektrisiert von der kommenden Urge-Overkill-Karriere. „Man hatte den Eindruck, diese Leute können jeden zum Star machen“, berichtet der King, „und sie hatten beschlossen, dass wir jetzt dran seien.“

Doch es wurde nichts draus. Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden machten das Rennen, Urge Overkill blieben zurück. Das nachfolgende Album, „Exit The Dragon“, sei zudem zu schwierig gewesen, meint Roeser. „Die Leute begriffen nicht mehr, was wir taten“, analysiert er, „sie hielten die Platte für unehrlich, weil sie einfach Spaß machte. Denn Spaß machen war im Grunge verboten.“ Tatsächlich – das coole Punk- und Hardrock-Gemenge von Urge Overkill passte nicht zu Vedders Greinen, Cornells Urschreitherapien und Cobains zynischer Selbstauflösung, war grobschlächtiger und breitbeiniger. Urge Overkill machten eine ganz und gar unsensible Musik, die den Mainstream eben doch zu sehr verschreckte.

Dass Roeser und Kato schließlich aufgaben, war ihnen kaum übel zu nehmen – auch wenn das Neil-Diamond-Cover von „Girl, Youll Be A Woman Soon“ durch den Einsatz in Tarantinos „Pulp Fiction“ kurz neuen Auftrieb gegeben hatte. „Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon zehn Jahre zusammen“, gibt Kato zu bedenken und meint damit: Roeser und Kato konnten sich ohnehin nicht mehr riechen. Geht es jetzt besser? Ja, ein bisschen, man müsse ja nicht ständig zusammensein. Einen Unterschied erkennt man nach nur zwei Minuten Gespräch: Roeser redet wie ein Wasserfall, während Kato merklich Mühe hat, sich zu erklären, für allzu viele Worte allerdings ohnehin wenig übrigzuhaben scheint.

„Wir haben uns nicht ausgesprochen oder so was“, verwirft Roeser allzu gefühlige Vorstellungen von der Reunion. Er und Kato können sich nicht mal darauf einigen, wer den ers-ten Schritt getan hat. „Wir haben einfach angefangen zu spielen“, sagt Kato, „es fühlte sich an wie ein altes Paar Hausschuhe, die man hinter dem Schrank findet.“ Bereits vor vier, fünf Jahren begann das langsame Comeback. Auf Urge Overkill warteten keine heißhungrigen Booker – aber einige Konzerte hier und da waren drin. „Wir haben angefangen, weil uns junge Bands in Chicago ansprachen und sich beschwerten – die waren sauer, dass wir unseren Arsch nicht hochkriegten, nur weil wir uns nicht so gut leiden konnten.“

Nun ist es etwas anderes, alte Lieder zu spielen, als neue zu schreiben. Roeser und Kato berichten von mühevollen Versuchen, neues Material zu komponieren. Wieder mussten Freunde her, die den endlosen Probeaufnahmen und Selbstzweifeln ein Ende setzten – und darauf drängten, endlich ein Album aufzunehmen. Ohne Starproduzenten und große Budgets. „Wir haben uns auf unsere Stärken verlassen“, sagt Roeser.

Das Reunion-Album heißt „Rock’n’Roll Submarine“. Die Steve-Albini-Drums, die Kiss-Mudhoney-Melvins-Riffs, die ganze überhebliche Masche – alles wie gehabt, alles ganz herrlich. „Am Anfang war der Titel nur ein Witz“, erklärt Roeser, „wir fühlten uns, als hätten wir 15 Jahre in einer Zeitkapsel gesteckt, die uns vor der Welt da draußen beschützt hat. Doch wir merkten mehr und mehr, dass wir eine Mission haben, die noch nicht erfüllt ist. Diese Platte ist nur der Anfang. Sie wird die Welt nicht auf den Kopf stellen. Aber wir haben Zeit.“ Jörn Schlüter

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