Ein Star ohne Ruhm

Die Dokumentation „Searching For Sugar Man“ erzählt die unglaubliche Geschichte des lange Zeit vergessenen Songwriters Rodriguez

In Südafrika gehörten seine Alben zu den kanonischen Werken der Siebziger – so wie „Abbey Road“ von den Beatles oder „Bridge Over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel. Die Rede ist von Sixto Rodriguez, einem jungen amerikanischen Songwriter hispanischer Herkunft, der mit dem Song „I Wonder“ der Anti-Apartheid-Bewegung eine Hymne schenkte.

Die Zeile „I wonder how many times you had sex“ wurde in einem Land, das politisch und gesellschaftlich vom Weltgeschehen isoliert war, als Protest gegen das Establishment gefeiert. Popmusik war damals nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Die Umstände, unter denen Rodriguez‘ Musik nach Südafrika gelangte, sind bis heute unklar; eine junge Frau soll ein paar Kopien des ersten Albums, „Cold Fact“ aus den USA mitgebracht haben. Die verbreiteten sich wie ein Lauffeuer – irgendwann war Rodriguez am Kap bekannter als die Beatles oder die Rolling Stones, und das ohne Radio-Airplay. Er wurde zur Stimme der Gegenkultur.

In seinem Geburtsort Detroit hingegen erinnert sich kein Schwein an Sixto Rodriguez. Als er Anfang der Siebziger seine zwei einzigen Platten auf Sussex, dem damaligen Label des Black-Music-Dons und späteren Motown-Geschäftsführers Clarence Avant veröffentlichte, spielte er gelegentlich in Bars vor einer Handvoll Gästen. Rodriguez war ein Drifter, ein Geist, der nachts ruhelos durch die Straßen zog, die Gitarre auf den Rücken geschnallt. Es gibt kaum Bilder aus jener Zeit, auf denen er ohne Sonnenbrille zu sehen ist: ein in Schwarz gekleideter Hüne mit langen schwarzen Haaren. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Gelegenheitsjobs als Bauarbeiter und Abrisshelfer. Engeren Kontakt schien er in jenen Jahren zu niemandem zu haben. Für die wenigen Menschen, die sich noch an ihn erinnern, blieb er ein Sonderling. Ein Schattenmann, der kaum Spuren hinterließ.

Das Klischee des zu Lebzeiten verkannten Genies gehört zu den am häufigsten bemühten Mythen der Musikgeschichte. Im Falle von Sixto Rodriguez erhielt dieser Mythos noch eine tragische Pointe. Jahrelang erzählte man sich, er habe sich eines Tages desillusioniert auf der Bühne das Leben genommen. Hätte er nur geahnt, dass seine Musik am anderen Ende der Welt das Leben so vieler Menschen für immer verändern würde. Einige dieser Menschen beschlossen irgendwann in den Neunzigern, das Geheimnis um den Tod von Sixto Rodriguez zu ergründen.

Der schwedische Filmemacher Malik Bendjelloul hörte während eines Südafrika-Aufenthalts erstmals durch den Plattenladenbesitzer Stephen Segerman und den Musikjournalisten Craig Bartholomew-Strydom von Rodriguez. Die beiden hatten in den dunklen Anfängen des Internet-Zeitalters in Archiven, Geschäftsbüchern, Songtexten und Albumcredits nach Hinweisen auf das Schicksal von Sixto Rodriguez gesucht. Bendjelloul hat ihre jahrelange Recherche für seine Dokumentation „Searching For Sugar Man“ (benannt nach dem wunderbaren Rodriguez-Song über einen Drogendealer) wie einen Detektivroman nachgestellt und dabei die Geschichte eines Musikers freigelegt, über den alle, die ihm je begegnet sind, mit größter Hochachtung sprechen.

Die Frage, die sich wie ein Leitmotiv durch den Film zieht, lautet: Wie konnte einer wie Rodriguez vergessen werden? Er schien zur richtigen Zeit am richtigen Ort, kannte die richtigen Leute. Seine Musik verband die Motown-Tradition der Stadt mit dem damals boomenden Folkrock, gleichzeitig steckte in seinen Texten eine gehörige Portion Wut und Resignation, die ihn eher in eine Ecke mit MC5 und den Stooges stellte.

Wie aber erzählt man einen Mythos, der nicht von seiner Größe, sondern vom Vergessen zehrt? Filmaufnahmen aus Rodriguez‘ Anfangstagen existieren nicht. Bendjelloul spielt mit Motiven des Obskuren und Vagen, auch auf die Gefahr hin, dem Mythos vom vergessenen Genie weiter auf den Leim zu gehen: Dunstschwaden über Gullideckeln; Schemen, die langsam konkrete Gestalt annehmen etc. Den schönsten Part der Geschichte hebt Bendjelloul sich bis zur Hälfte seines Filmes auf. Denn Rodriguez erfreut sich noch immer bester Gesundheit, er hat drei Töchter und lebt in demselben Haus wie vor 40 Jahren. Dass er in Südafrika mehr Platten als die Beatles verkauft haben soll, entlockt ihm ein unsicheres Lächeln. Und natürlich reist er schließlich zum ersten Mal an die Stätte seines Triumphs, wo er vor Zehntausenden Fans berauschende Konzerte spielt. Es ist wie in einem Hollywood-Film – mit dem Unterschied, dass man einem Drehbuchautor so ein rührseliges und unwahrscheinliches Skript wohl niemals abgekauft hätte. Das bleibt das Privileg des Dokumentarfilmers.

Lost & Found

Rodriguez ist nicht der einzige lange vergessene Songwriter, der in den letzten Jahren eine Renaissance erfuhr. Viele einst obskure Platten sind wieder zu haben

Jim Sullivan nahm zwei opulente, erfolglose Folkrock-Alben auf und verschwand dann in der Wüste.

Sibylle Baier taucht im Wenders-Film „Alice in den Städten“ auf, J Mascis veröffentlichte ihre Songs 30 Jahre später unter dem Titel „Colour Green“.

Linda Perhacs machte 1970 das empfindsame Folk-Album „Parallelograms“ und sang 2007 mit Devendra Banhart. 


Gary Higgins wanderte nach seinem Debüt „Red Hash“ von 1973 wegen eines Drogendelikts in den Knast. Ben Chasny von Six Organs Of Admittance fand ihn 30 Jahre später. Seitdem erschienen zwei neue Alben.

Jackson C. Frank war Mitte der Sechziger mit Paul Simon befreundet, der auch sein erstes und einziges Album produzierte. Er starb 1999 mittellos.

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