„Eine kleine Gruppe verliert“

Wer im Netz überleben will, muss die Popkultur verstehen, behaupten Ex-Universal-Chef Tim Renner und sein Bruder Kai-Hinrich in ihrem Buch „Digital ist besser“.

Wenn man früher ein Fanzine zusammenbastelte, klaute man, wo man konnte, wer eine Punkband gründen wollte, brauchte eine Haltung, keinen Gitarren-Unterricht. Mit dieser Einstellung hat die Popkultur viele Grundzüge der Netzkultur vorweggenommen, denn Konsumenten sind immer leichter gleichzeitig auch Produzenten. Das ist die Kernthese von Tim Renner, Motor-Entertainment-Chef und Professor an der Popakademie in Baden-Württemberg, und seinem Bruder und Co-Autor, dem Medienjournalisten Kai-Hinrich Renner.

Wenn digital besser ist, warum dann ein traditionelles Buch?

Tim Renner: Wir sind in einer Übergangszeit, wie man sie auch aus der Musikindustrie kennt, wo analoge Träger und rein digital verbreitete Daten noch nebeneinander existieren. Unser Buch kommt natürlich auch in digitaler Form sowie als App heraus.

Die Message klingt stellenweise etwas banal: Habt keine Angst vor der neuen Welt, Qualität ist wichtig, wir können alle davon profitieren. Wen wollen Sie damit erreichen?

Uns geht es einerseits um verunsicherte Bildungsbürger. Sie verstehen schlichtweg nicht, was da passiert und verfallen in eine Angststarre oder in Polemik. Ihnen wollen wir Brücken bauen und andererseits denjenigen, die bereits die Chancen der Digitalisierung nutzen, den Rücken stärken.

Sie sagen: Es gibt die klassische Trennung von Produzenten und Konsumenten nicht mehr. Wer das nicht kapiert, hat verloren.

Genau. Diese Grenzen wurden in der Popkultur immer schon missachtet. Heute lädt jeder Videos oder Fotos im Netz hoch, egal wie gut die Ergebnisse sind. Konsumenten sind hier immer auch Produzenten, deshalb sprechen wir von Prosumern, darauf müssen alle Geschäftsmodelle aufbauen.

Sie fordern vehement eine Flatrate.

Ja, aber keine generelle Kulturflatrate, sondern eine Flatrate, bei der man sich entscheiden kann, ob ich eine Pauschale für Musik, Kinofilme oder für Tageszeitungen zahlen will. Die Internetanbieter müssten verpflichtet werden, solche anzubieten, die Content-Hersteller müssten ihre Inhalte dort sofort und vollumfänglich verfügbar machen.

Sie denken sogar über eine Neuverteilung der GEZ-Gelder nach.

Früher konnten nur wenige senden. Rundfunk war teuer und die analogen Frequenzen limitiert. Heute kann jeder bei YouTube sein eigener Programmdirektor sein, jeder iPod auf Shuffle ist ein Radioprogramm. Pluralismus in den elektronischen Medien muss nicht mehr nur durch eine ständig wachsende Zahl öffentlich-rechtlicher Angebote hergestellt werden.

Das klingt nicht sehr realistisch.

Ja, aber es ist ein reizvolles Gedankenspiel. Bei der GEZ kommen jährlich 7,6 Milliarden Euro zusammen, das ist mehr als der vierfache Umsatz der deutschen Musikindustrie, damit könnte man inhaltliche Qualität auf allen Ebenen unterstützen.

Eine andere Buch-These lautet, mit Qualität kriegt man das Netz in den Griff. Ist das nicht sehr naiv?

Bislang ist das legale, digitale Angebot einfach schlechter als die illegale Alternative. Beispiel Musik: Es gibt immer noch keine Flatrates, wo man vollständig in bester Qualität schnellstmöglich bedient wird. Selbst iTunes erfüllt diese Kriterien nicht. Deswegen bleibt für viele Konsumenten das illegale Angebot interessant. Andere Bereiche sollten schneller handeln als die Musikindustrie.

Das Buch beschwert sich über Bildungsbürger wie Frank Schirrmacher, der mit seinem Bestseller „Payback“ Ängste gegen die digitale Welt schüre. Warum teilen so viele Menschen diese Ängste?

Wir sehen eine radikale Demokratisierung der Produktionsprozesse durch das Netz. Das schafft Unruhe. Die Position einer kleinen, bislang tonangebenden Gruppe wird massiv geschwächt, auch deren Geschäftsmodelle. Natürlich wehren die sich. Aber am Ende wird die breite Masse enorm profitieren.

Haben Sie eigentlich mit Tocotronic den Buchtitel abgklärt?

Ja, Tocotronic, L’Age D’Or und Warner Chappell haben uns das erlaubt. Tocotronic sagte nur: „Na klar, wir haben doch früher auch alles geklaut.“

„Digital ist besser“ von Kai-Hinrich Renner und Tim Renner, ca. 224 Seiten, Campus Verlag, 22 Euro

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