Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Sänger, Winzer, Meisterwerke oder Unterm Schlafzimmerfenster von Romina Power

Unser Kolumnist empfiehlt aktuelle Platten – und vergibt für sie Al-Bano- und Romina-Power-Sterne.

Folge 112

Nachdem ich während der letzten zwei Wochen im Selbstversuch immer nur ununterbrochen „Pet Sounds“ und „Blonde on Blonde“ im Wechsel gehört habe, komme ich am heutigen Tag zu der unumstößlichen Erkenntnis, dass das beste Album aller Zeiten natürlich „Es lebe der Zentralfriedhof“ von Wolfgang Ambros ist. Oder „Cyclops Nuclear Submarine Captain“ von Dogbowl, das Album mit dem penetrantesten Klarinetten-Einsatz der Pop-Geschichte. Oder irgendwas von Bob Dylan.

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Überhaupt: Pet Sounds, Blonde on Blonde, Zentralfriedhof … ist ja alles gut und schön. Aber über die wirklich relevanten Dinge spricht wieder keiner, die verdorren einfach achtlos in den schlecht ausgeleuchteten und nur spärlich frequentierten Winkeln der Pop-Debattiererei. Das gilt freilich nicht für das Pop-Tagebuch, Ihre Fachkolumne für geringgeschätzte Musik! Ich möchte von daher mal eben in die allenthalben geführten Pop-Diskurse hineingrätschen und kurz unsachlich dazwischenfragen: Ist Ihnen eigentlich klar, dass sich Al Bano und Romina Power wiedervereint haben? Mehr noch: dass die beiden im Herbst auf Deutschland-Tour gehen?? Nur dass mir nachher nicht wieder alle sagen, ich hätte es nicht erwähnt. Der ROLLING STONE, äh, Die BILD präsentiert die Tour.

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Für alle, die meinen, ich schriebe in den letzten siebeneinhalb Jahren entschieden zu wenig über aktuelle Platten, seien rasch drei Veröffentlichungen empfohlen:
„The Girl in the Glass Case“, das Debüt von The Senior Service aus Medway, etwa sei allen Menschen ans Herz gelegt, denen es gelungen ist, ihre Liebe zu Hammond-Orgeln einerseits und Trash-Film-Atmosphären der Sechziger und Siebziger Jahre andererseits in swingenden Einklang zu bringen. Über weite Teile der Platte klingt das Instrumental-Quartett um den Organisten Jon Barker, als würde eine nicht ganz wacklungsresistente Schluffi-Indie-Band ganz alter Prägung den Soundtrack zu einem Welttraum-B-Movie abliefern. Ich vergebe drei Al Banos!

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Von ganz anderem Reiz ist die zweite Platte von Cian Nugent, einem Gitarristen und Sänger (in dieser Reihenfolge!) aus Dublin. Normalerweise stehe ich ja allzu gekonnter Gitarristerei und Musikern, für die Vokabeln wie „Ausnahmegitarrist“ gezückt werden, eher skeptisch gegenüber. Bei Cian Nugent mache ich gern eine Ausnahme, denn: Der Mann hat a) gute Songs, weiß sein Spiel b) immer in den Dienst der Sache zu stellen und geht c) mit einer Verschlurftheit zu Werke, die der Sache ungemein dienlich ist. Dass er auf dieser Platte erstmals singt, mag man gar nicht glauben. Nicht weil er so toll sänge, sondern weil sein Gesang (er liegt stimmlich irgendwo zwischen Mascis, Jagger und Malkmus) etwas ungemein Schlüssiges, ja, geradezu Zwingendes hat. Freunde klassischer Songwriter-Kunst dürften über diese überwiegend folkige, gelegentlich aber auch psychedelisch aufbrausende Songsammlung beglückt sein. Wenn Van Morrison eine Slacker-Band wäre, dann klänge das Ergebnis möglicherweise wie Cian Nugent. Dafür setzt es vier Romina Powers!

Und noch eine rein instrumentale Platte: William Tyler heißt wie ein Ranch-Besitzer aus einem ollen Western. Nicht nur darum hat der Gitarrist aus Nashville sein viertes Album „Modern Country“ genannt. Gleich der Auftaktsong macht klar, welcher Art des Musikers Country-Verständnis ist: „Highway Anxiety“, ist ein müdes Kriechtier von einem Song und dauert fast neun Minuten. Danach wird es minimal fideler, aber immer geht es eher um die Strecke. Wäre Tyler Deutscher, könnte man behaupten, seine Musik sei das Gegenstück zu einem Wim-Wenders-Film: Dieser „Modern Country“ klingt, als spielte eine Krautrockband in die ewige Weite verknallte Highway-Musik. Nichts für Freunde starker Reize. Drei Romina Powers!

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Bob Dylan wird 75, und ich bin nicht eingeladen.
Wie aber könnte man den Geburtstag des Mannes, der mir mit seiner Musik so viel Freude (und vielen meiner Freunde soviel Trübsal) bereitet hat, dennoch gebührend feiern? Mit Motto-Parties, auf denen alle Gäste als Bob-Dylan-Song-Charaktere aufzukreuzen haben? Mit selbstgekneteten Bob-Dylan-Figuren? Mit rückwärts abgespielten Wolfgang-Niedecken-Platten?
Ich habe mich für den folgenden Weg entschieden: Ich habe meinem Produzent und guten Freund Ekki Maas (in Deutschland weltberühmt mit seiner Band Erdmöbel) dabei assistiert, 34 oder 36 oder 80 (vergessen) Bob-Dylan-Songs zu covern. Ich spiele Schlagzeug und Ekki den ganzen Rest. Wer Bob-Dylan-Songs schon immer mal mit Belcanto-Gesang hören wollte, sei die Platte dringend empfohlen. Sie heißt „My Life according to Bob Dylan“ und ist ab sofort als download erhältlich. Ich vergebe 12 Tyrone Powers!

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Zu Fronleichnam wünsche ich mir eine Akustikplatte von Nikki Lane.
Nichts gegen die regulären Alben der Frau aus Nashville, die beide mit bösarschigem Twang-Country-Pop zu prunken vermögen. Aber von der Strahlkraft dessen, was die Sängerin bei ihrem Konzert am vorletzten Samstag im Kölner Studio 672 – begleitet nur von einem Gitarristen mit Hotzenplotz-Hut und einer Schellenkranz-bewehrten Backgroundsängerin (ohne Hotzenplotz-Hut) – bot, vermittelt sich auf den Studioplatten doch nur wenig. Tolle Songs wie „Good Man“, „Sleep With A Stranger“ und „Walk of Shame“ verwandelten sich auf der Bühne, angetrieben von Lanes schallernder Akustikgitarre, zu genau jener Sorte von Countrysongs, wie man sie schon immer mal gerne in einem texanischen Outlaw-Schuppen hören wollte. Und „You ain’t going nowhere“ so zu covern, als wäre es einem erst beim Betreten der Bühne in den Sinn gekommen, ist auch eine Kunst. Das kann sonst nur Ekki Maas. Mio dio, was war das für ein Auftritt! Genau das Richtige nach dem Josphine-Foster-Konzert am Vorabend im King Georg, bei dem einen die scheue Sängerin doch etwas arg in den Würgegriff ihrer spleenigen Kunstlieder nahm.

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Al Bano – das sei zum Schluss noch angemerkt – dürfte einer der wenigen in dieser Kolumne vorkommenden Zeitgenossen sein, in deren Wikipedia-Eintrag steht, sie seien „Musiker und Winzer“. Seine Winzerei, die Azienda Vinicola Tenute Al Bano Carrisi, ist seit über zehn Jahren Sponsor des italienischen Basketball-Zweitligisten Brindisi. Wer wissen will, wie der winzende Sänger die zum Begegnungszeitpunkt erst 16jährige Romina Power für sich einnehmen konnte, der schaue sich auf Youtube das alte Filmchen zu des Troubadours frühem Hit „Nel Sole“ an, dass er seiner Filmpartnerin bebend vor Leidenschaft unter deren Schlafzimmerfenster darbietet. Danach ahnt man, worauf es im Leben ankommt. Irgendwann werde ich das Stück mal covern. Unterm Fenster meiner Frau. My Life according to Al Bano.

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