„Es war doch lauter als Krieg!“

Ausgerechnet auf Kuba stellten die Manics ihr neues Album vor, trafen Fidel Castro - und versetzten dem Publikum einen kleinen Kulturschock

Den Sommer vergangenen Jahres verbrachten die Manie Street Preachers unter spanischer Sonne. In der Abgeschiedenheit der andalusischen Berge nahmen sie ihr neues Album auf. Dort fassten die Manics den Entschluss, die Live-Premiere von Jinow YourEnemy“ tn Havanna zu feiern. Aus Solidantät zu Kuba. Und aus der Lust heraus, ein wenig Rockgeschichte zu schreiben.

Dir musikalisches Ticket für Havanna, die Single „The Masses Against The Gasses“, haben James Dean Bradfield, Nicky Wire und SeanMoore bereits zu Beginn des Jahres 2000 ausgestellt: Die stilisierte Kuba-Flagge als Cover und ein prägnantes Zitat des linksgerichteten Philosophen Noah Chomsky sind klare Sympathiebekenntnisse zum sozialistischen Inselstaat. Rockmusik führt dort allerdings ein Schattendasein. Der Auftritt der walisischen Rockband, die immer wieder ideologische Utopien und Kapitalismuskritik in den Fokus ihrer Songs rückt, ist kein Marketing-Hype, sondern von ganzem Herzen politisch motiviert. Zum ersten Mal öffnet Kuba dem Rock’n’Roll des Westens Tür und Tor.

Nur wenige Musikfans dort wissen allerdings, dass eine berühmte britische Rockband in ihrer Stadt spielen wird. Kein Plakat Keine sonstige Ankündigung. Einen Tag vor dem Konzert trudelt eine kleine internationale Journalistenschar zum Interviewtermin ins „Hotel Nacional“, das aussieht wie Kubas Antwort auf den Kölner Dom und heute noch die Aura eines Mafia-Domizils hat Während der Pressekonferenz verbergen sich die Künstler hinter Sonnenbrillen und geben teils amüsante, teils lakonische Antworten. Es wäre eine besondere Ehre, wenn Fidel Castro sich das Konzert anschauen würde, lässt Nicky Wire verlauten. James Dean Bradfield ist nach zwei Tagen vollkommen begeistert, da jeder Kubaner offenbar irgendein Instrument beherrscht Die schlichte Begründung, dass man aus Solidarität hier auf bete, wird seitens der einheimischen Journalisten mit leicht höhnischem Lächeln quittiert. Die Manics stellen indes in den Raum, dass ihnen ein Einreiseverbot in die USA wegen ihres Protestsongs „Baby Elian“ gar nicht unwillkommen wäre.

Am Abend des Konzerts ist das Karl-Marx-Theater weiträumig abgeriegelt Fidel Castro selbst hat dafür gesorgt, dass es gerammelt voll wird: In einer konzertierten Aktion werden adrett uniformierte Schulklassen herangekarrt, ausgestattet mit extra angefertigten rot-weißen Fähnchen, dass selbst Onkel Honecker seine Freude gehabt hätte. Ein Teil der Einladungen wurde von der Casa de Cultura verteilt, einem Kulturzentrum mit karibischem Jugendheimcharme, so dass neben Musikstudenten auch die wenigen Rocker Kubas, die,,Peluses“ und „Metralleros“, die ihre Haare meist lang und von Iburisten ergatterte Rock-T-Shirts tragen, in den Besitz einer Karte kommen.

Vor Beginn erscheint unter aufbrausendem Applaus Fidel Castro persönlich, im Schlepptau seinen Kulturminister Abel Prieto sowie einige Funktionäre, die das Spektakel miterleben sollen. Der Maximo Lider besucht das erste Rockkonzert seines Lebens. Zuvor hatte er noch seine Aufwartung bei der Band gemacht und sie für den nächsten Tag eingeladen. Nicky Wire warnte den 74-jährigen Präsidenten, dass es laut werden könnte. „Das kann nicht lauter sein als Krieg“, lächelte der schlagfertige Politiker. Am nächsten Tag empfängt er die Band mit den Worten: „Es war doch lauter als Krieg!“

Mit der Bühnendekoration, einer riesigen kubanische Flagge, verbeugen die Manics sich vor der Revolution: „100 Quadratmeter Vaterland“ jubelt ein kubanischer Journalist Das Gros des Publikums jedoch bleibt während des Konzerts ungerührt sitzen, der Kulturschock steht manchem gestandenen Salsatänzer ins Gesicht geschrieben gut, dass wenigstens die „Rockeros“ sich aufführen wie wild gewordene Teenager. Aus kubanischer Sicht erfahrt der knapp zweistündige Gig seinen Höhepunkt, als James Dean Bradfield alleine „Baby Elian“ anstimmt. Wie auf Kommando erhebt sich der komplette SaaL „Ocean Spray“ wird von dem jungen kubanischen Trompeter asek Manzano veredelt. Ein historisches Novum für die Band ist ihre erste Zugabe überhaupt: Castro hat gerade den Saal verlassen, da ertönt „Rock And Roll Music“. Selten haben sich Pop-Promotion und politische Propaganda ein bizarreres Stelldichein gegeben.

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