Es wundert nicht, dass „LOL“ gerade in Deutschland so erfolgreich ist

Natürlich will sich hierzulande niemand vorhalten lassen, zum Lachen in den Keller zu müssen. Aber der Erfolg von „LOL“ (Last One Laughing) auf Amazon Prime Video erzählt viel über das Humorverständnis der Deutschen.

Torsten Sträter, Max Giermann, Anke Engelke – sie alle drei schafften es schon, die knallharten Regeln von „LOL“ (Last One Laughing) zu erfüllen und sechs Stunden am Stück (fast) nicht zu lachen. Am Donnerstag (20. April) steht fest, ob möglicherweise Klaus-Kinski-Imitator Giermann seinen Titel verteidigt oder doch eher die spitzfindig-lakonische Hazel Brugger oder Kurt Krömer, die personifizierte Berliner „Freundlichkeit“, von Michael „Bully“ Herbig den Schmalllippen-Pokal überreicht bekommen.

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Die Regeln des in vielen Ländern erfolgreichen Formats sind denkbar einfach: Mehrere Comedians und TV-Persönlichkeiten, die mindestens für ihr angemessenes Witz-Level bekannt sind (aktuell: Moritz Bleibtreu) oder eine unverschämte Fernsehlache haben (Joko Winterscheidt), werden für kurze Zeit in eine hübsch ausgestattete WG gequetscht und sollen sich gegenseitig bespaßen oder von Gästen zum Grinsen gebracht werden.

Der Haken: Gelacht werden darf nicht. Wie inzwischen vier Staffeln zeigen, ist das eine hammerharte Aufgabe. Zumindest wollen uns das die Komiker weismachen. Aber Hand aufs Herz, wem gelingt es, beim Zuschauen nicht loszuprusten? Das liegt aber weniger an den schalen Jokes und bescheiden lustigen Späßchen, mit denen sich die Kandidaten gegenseitig zum Grienen bringen wollen.

Wie witzig ist „LOL“ wirklich?

Nein, der große Witz an „LOL“ ist, dass das, was dort die Heerscharen an Profi-Scherzbolden aus dem Bauch heraus anstellen, meist gar nicht witzig ist. Man amüsiert sich über den verzweifelten, manchmal bis in die Selbstaufgabe hineinreichenden K(r)ampf der Comedians, nicht lachen zu dürfen. Sie kreischen, beißen sich auf die Lippe, machen verzogene Grimassen. Und dann kommt doch „Bully“ in den Raum geschlendert, um mit Videobeweis irgendein armes Würstchen herauszufischen, das  nicht mehr konnte vor lachen. Dann heißt es als Entschuldigung etwa „Ich habe mich einfach gefreut wie ein Kind“ (Joko Winterscheidt über die Schlager-Nummer von Anke Engelke und Bastian Pastewka) oder „Ups, da bin ich über meine eigene Nummer gestolpert“ (wie Martina „Funny Bones“ Hill).

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Gelacht werden soll also darüber, wie sich die Kandidaten verbiegen, wie sie leiden und auch ein wenig hilflos gegenüber ihren eigenen Affekten sind. Immer wieder sehen wir „Bully“ und später auch die herausgeflogenen Teilnehmer, wie sie schallend lachen. Sie dürfen. Und mit ihnen darf auch das Publikum. Aber was ist daran eigentlich komisch, Menschen dabei zu beobachten, wie sie das nicht machen dürfen, was im Grunde der Lohn für ihre Arbeit ist – also andere zum Strahlen zu bringen?

Man könnte zu dem Schluss kommen, dass die Deutschen sich hier auch ganz schön gespiegelt sehen und deshalb so gerne zuschalten. „LOL“ ist mit Abstand eines der erfolgreichsten Formate bei Amazon Prime Video. „Deutsche lachen gerne über Masochismus. Sie halten es für eine Art von Sport“, sagte einmal Franz Kafka, und der wusste wirklich alles zum Thema Humor und exemplarischem Leiden. Das passt also, denn ein wenig besticht „LOL“ ja vor allem dadurch, dass es etwas, das eigentlich nicht kontrolliert oder mit Noten versehen werden kann, zu einem Wettbewerb macht und das möglichst lange Quälen zu einem Erfolgskriterium werden lässt. Moderator „Bully“ gibt den schadenfreudigen, aber zugleich peniblen Schiedsrichter, er deutet mit seinen Händen sogar immer die affige Fußball-VAR-Geste an, um seine Schäfchen davon zu überzeugen, dass tatsächlich jemand wieder die Humor-Fassung verloren hat.

Geregelter Humor

Noch ein Zitat eines großen deutschsprachigen Schriftstellers, der Deutschland zu seinem Glück aus der Entfernung beobachten konnte: „Deutsche haben eine tiefe Abneigung gegen unkontrollierte, spontane Ausbrüche von Freude oder Lachen.“ Stefan Zweig. Und genau darum geht es bei „LOL“ – dass das Alberne, verunsichernd Witzige eingehegt und für den Augenaufschlag einer Sendung mit Regeln eingekettet wird. So verlieren all die vermeintlich spontanen Witzaktionen ihre Wirkung, bleibt ein geradezu bitterernster Kampf darum, genau das zu tun, was man von ihnen erwartet: die Füße still zu halten. Es ist kein Wunder, dass es in politisch sensiblen Zeiten hier niemals zu nonchalanten Ausfällen oder latentem Rassismus/Sexismus und so weiter kommt. Unter der „LOL“-Zwangsjacke bleiben nur noch harmlose Kalauer und Furzgeräusche übrig. Pennäler-Komik wie auf der Klassenfahrtstube oder beschwippste Ulkereien wie beim Mädels-Wellness-Wochenende.

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Noch ein Klischee: Die Deutschen lieben es, wenn man ihnen sagt, was sie zu tun haben (also: nicht lachen!). Ausländische Beobachter mokieren sich ja gerne über das fehlende Humorverständnis der Nachbarn vom Kontinent. Gerade in Großbritannien, das in einer inoffiziellen Komikweltmeisterschaft wohl nicht im Lachen aus elf Metern scheitern würde, wird sich gerne über die steifen Germanen lustig gemacht (noch ein Zitat, diesmal vom englischen Berufsexzentriker Quentin Crisp: „Das Problem mit den Deutschen ist, dass sie denken, dass Humor etwas ist, das man nicht ernst nehmen sollte“). Da ist es nur nachvollziehbar, dass der „LOL“-Endgegner ein gemütlicher Typ namens Martin Sieber ist, der allen anderen vormacht, wie das geht mit dem herzhaften, unkontrollierten Lachen.

„LOL“ symbolisiert und simuliert die Schadenfreude, dass man selbst etwas darf, was anderen nicht erlaubt ist. Mit Verlaub gesagt: Das ist schon sehr deutsch.

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