Festung der Kühnheit

Der Marvel-Verlag feiert Geburtstag - die Heimat vieler amerikanischer Superhelden wird 70 Jahre alt.

Im Jahr 1938 hatten sich Comics von ihrem Ursprungsmedium, den Tages- und Wochenzeitungen, emanzipiert und wurden auch in eigenständigen Heftpublikationen präsentiert, die reißenden Absatz fanden. Die erste, 13-seitige Folge von „Superman“ verkaufte sich über eine Million mal, im Jahr darauf bekam „der Stählerne“ sein eigenes Heft. Das Superhero-Genre war geboren, das die folgenden Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, das „Goldene Zeitalter“ der Comic-Historie, maßgeblich geprägt hat.

Martin Goodmann, einem Verleger von Pulp-Magazinen, blieb das merkantile Potential der Comics nicht verborgen, und so gründete er 1939 einen Comic-Imprint, Timely Publications, die Keimzelle des späteren Marvel-Imperiums. „Marvel Comics“ nannte er seine Heftreihe, und mit den Serien um den Atlantis-Abkömmling Namor the Sub-Mariner und den Androiden Human Torch legte er den Schwerpunkt gleich auf das neue Genre. Zwei Jahre später kam noch ein dritter Recke hinzu, der ihnen schnell den Rang ablaufen sollte: Captain America. Die Vereinigten Staaten brauchten einen amerikanischen Helden, der mit den Nazis schon mal fiktional kurzen Prozess machte, bevor die regulären Truppen dann tatsächlich loslegen konnten.

Nach den fetten Jahren auf dem Comic-Markt folgten viele magere. Die Auflagenzahlen sanken kontinuierlich, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Konkurrenz des Fernsehens, und mit ihnen sank auch die Reputation der comic books. In den restaurativen 50er Jahren verschafften sich Moraltrompeter wie Frederic Wertham Gehör, der in seiner Kampfschrift „Seduction of the Innocent“ den verderblichen Einfluss der Comics auf die Jugend herausstrich und somit die alte Zensurdebatte wieder entfachte.

Anfang der 60er Jahre feiern die Superhelden fröhliche Urständ. Stan Lee, der geniale Redakteur und Szenarist, erschuf mit einer Handvoll talentierter, mittlerweile legendärer Zeichner wie Jack Kirby, Steve Ditko etc. gleich so viele neue suggestive Charaktere, das man mit Recht von einem eigenen Marvel-Universum sprechen konnte. Mit The Fantastic Four, Hulk, Spider-Man, Iron Man, Avengers, X-Men, Daredevil, Silver Surfer usw. dominierte Marvel nicht bloß quantitativ das „silberne Zeitalter“ der Comicgeschichte, sondern auch qualitativ. Lee inthronisierte den gebrochenen Helden, der seine Ausnahmestellung ständig reflektiert und nicht selten mit seinem Schicksal hadert.

Bis heute lebt Marvel in gewisser Weise von den kreativen Leistungen der Mannschaft um Stan Lee. Einige neue Figuren kamen aber doch hinzu, die erfolgreichsten waren Wolverine und der Punisher, die bereits in den Siebzigern einer Trend vorbereiteten, den Frank Miller mit seiner zynischen, illusionslosen Post-Punk-Interpretation des Daredevil auf den Punkt brachte. Mitte der Neunziger überschwemmte eine Welle von narrativ minderwertigen neuen Titeln den Markt. Das rächte sich, 1996 meldete der Verlag Konkurs an. Erst infolge der Hollywood-Verfilmungen von Spider-Man, Hulk etc., die nicht nur Lizenztantiemen einspielen, sondern auch die Nachfrage nach den Comic-Vorlagen ankurbeln, sitzt das Unternehmen wieder fest im Sattel. Und Marvel profitiert nun auch von der längst fälligen Image Verbesserung des Genres. Mit dem steigenden Interesse an Graphic Novels hielten auch Marvels Tradepaperback-Kompilationen Einzug in die Buchläden. Das ist der Ritterschlag der Hochkultur. Allein, Stan Lee und Co. sind all die Jahre auch ganz gut ohne ausgekommen.

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