Flaneur des Alltags

Die ganzen 80er-Jahre hindurch war Günter Ohnemus die deutsche Stimme Richard Brautigans und sonst gar nichts. Seine Viertelbekanntheit gründete sich auf die legendäre Auswahlausgabe des großen Literaturhippies, die er zunächst im eigenen Verlag begonnen, später bei Eichborn fortgeführt hat und die jetzt der Kartaus Verlag lieferbar hält. Die wirklichen Kenner flüsterten sich damals schon die Losung „Zähneputzen in Helsinki“ zu. So hieß Ohnemus‘ erster Erzählungsband, 1982 bei Maro erschienen, deutlich von Brautigan beein-

flusst, nur ohne dessen Ausflüge ins Surreale. Ohnemus versucht die Realität nicht poetischer zu machen, als sie sowieso schon ist. Er verliert sich ganz im Profanen, schaut so lange hin, bis die Dinge noch einmal ganz fremd und geheimnisvoll erscheinen. Und er findet eine Sprache, die diesem tastenden, abwägenden, dem langen Blick entspricht, die einfach ist, aber nichts für gewiss hält. Diese mitunter ganz kurzen Stories beschreiben Alltagsepiphanien, und wenn sie nicht so offensichtlich im Süden Deutschlands lokalisiert wären, sondern etwa in Berlin, dann hätte man sich vielleicht an den Benjamin’schen Flaneur erinnert und sie mit diesem Etikett sogar verkaufen können. So blieb das Buch ein Geheimtipp, und Ohnemus widmete sich wieder seinen Übersetzungen. Dann porträtierte Anfang der Neunziger Benedikt Erenz von der „Zeit“ den kleinen Maro Verlag, der sich mit US-Underground-Literatur, nicht zuletzt den Gedichten Charles Bukowskis einen Namen gemacht hatte. Verleger Benno Käsmayr legte ihm das Ohnemus-Debüt ans Herz, Erenz verliebte sich in das Buch, schrieb eine sehr verspätete Eloge und machte den Übersetzer zum hauptberuflichen Schriftsteller.

Mit „Die letzten großen Ferien“ und „Siebenundsechzig Ansichten einer Frau“ erschienen im Abstand von wenigen Jahren zwei weitere großartige Erzählungsbände. Schließlich versuchte er sich aber doch noch an der Langstrecke. „Der Tiger auf deiner Schulter“ ist eine Stilübung in Adoleszenzprosa. Eine anrührende Geschichte über Liebe und Erwachsenwerden. Doch seine Poetik des langen Blicks taugt nur bedingt fürs epische Erzählen. Ohnemus war wohl ähnlicher Ansicht. So versuchte er sich in der Folge an deutlich plotbasierten Thrillern. In „Reise in der Angst“ schien er fast ganz seine Brautiganeske Freundlichkeit und seinen Optimismus verloren zu haben. Die Stimmung ist düster, und bei all der Action ist nun fast zu wenig Platz für die sensualistische Wahrnehmungseuphorie des Autors.

Sein neuer Roman „Ava oder Die Liebe ist gar nichts“(C.H. Beck) entwickelt sich wieder assoziativer. Gerald, ein alternder Schriftsteller, trifft Gloria, eine grandios selbstbewusste, kluge, witzige, angenehm nymphomanische Frau, mit der er eine leidenschaftliche, aber auch unverbindliche Beziehung unterhielt. Bis er mehr wollte. Da wollte sie nicht mehr. Jetzt im Alter kommt sie zurück, um mit ihm zusammenzuleben. Ohnemus begleitet die beiden durch ihren wie immer in seinen Büchern leicht müßiggängerischen Alltag, lässt sie wieder Tuchfühlung aufnehmen, diskutieren und ruft in langen Rückblenden ihre Vergangenheit auf. Dann kommt Nora ins Spiel, eine junge Frau, etwa so alt wie die Tochter, die Gerald und Gloria nie hatten, und der Alte fängt noch einmal Feuer.

Es riecht hier ein bisschen nach Altherrensocken. Ohnemus weiß das, macht das indirekt zum Thema und bemüht sich um Dezenz, aber ein leicht unangenehmer Eindruck bleibt doch. Und noch etwas stört in diesem Roman. Was Ohnemus in seinen Erzählungen immer nur andeutet, wird hier, zumeist in langen, viel zu langen Gesprächen, mit dickem Quast ausgepinselt. Den reinen Stoff, die raffi nierte, von den Schlacken des Romans befreite Ohnemus-Prosa gibt es in seinem neuen Erzählungsband -„Love, Life, Tennis and All That Jazz“(Maro). Hier versammelt er bekannte und neue Geschichten, in denen seine Tennis-Passion zum Thema wird, und in diesem neuen Kontext liest man auch die alten Stories noch einmal mit anderem Blick. Das Spiel ist bei ihm nicht Flucht vor dem Leben, sondern dessen Weiter f ührung und manchmal eben auch Erfüllung. Etwa wenn er ein Paar beim Spielen beobachtet und sich vorstellt, dass sie beide mit anderen Partnern verheiratet sind und nur auf dem Platz ihre Liebe ausleben können. Und weil Ohnemus‘ Erzähler im magischen Denken geübt sind, wirkt das Tennisspiel natürlich auch ins Leben hinein. So steigt ein Mann gleich nach der Geburt seines Kindes wie ein Ritter in den Court und spielt für das Glück der Tochter. „Als sie geboren war und zum ersten Mal in ihrem Leben schlief, hatte schon einer für sie gespielt und gekämpft. Und ihren Namen geflüstert. Das war eigentlich ein ziemlich guter Anfang.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates