Friedhof der Kuscheltiere

15 Jahre nachdem Pixar mit „Toy Story“ die Ära des Computertrickfilms einleitete, erscheint der letzte Teil der Trilogie: eine überraschend finstere Auseinandersetzung mit Leben und Sterben.

Der Regisseur Lee Unkrich („Findet Nemo“, „Monsters Inc“) kokettiert gern mit dem schwierigsten Teil seiner Recherche. Lange habe er gesucht „nach irgendeinem Film mit einer 3 hinter dem Titel, der etwas taugt“. Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Sollte das Unternehmen „Toy Story 3“ also von vornherein zum Scheitern verurteilt sein?

Schon zweite Teile, die besser sind als die Originale, sind in der Filmgeschichte nicht gerade zahlreich. Über ein paar sind sich Filmfans jedoch weitgehend einig: „Frankensteins Braut“, „Der Pate II“, „Das Imperium schlägt zurück“, „Batmans Rückkehr“. Und selbstverständlich: „Toy Story 2“.

Die meisten Fortsetzungsfilme sind in Wahrheit Remakes: Sie erzählen eine Geschichte, die sich als erfolgreich erwiesen hat, noch einmal – allerdings meist auch etwas lauter und ohne lange Vorreden. Denn die Protagonisten sind ja bereits etabliert, ihre Charaktere gezeichnet. Irgendeine Spitzfindigkeit im Drehbuch soll es dann unausweichlich erscheinen lassen, dass, sagen wir: Rocky Balboa noch einmal boxt – und dafür noch härter trainieren muss als beim letzten Mal.

„Toy Story 2“ aus dem Jahr 1999, die Fortsetzung des ersten abendfüllenden CGI-animierten Films der Kinogeschichte von 1995, wählte allerdings einen ganz anderen Ansatz. Regisseur und Autor John Lasseter entschloss das nichts mehr so sein sollte, wie beim ersten Mal.

„Toy Story 2“ war ein Film über die Vergänglichkeit. Ein Riss im Stoffrücken des Protagonisten, der geliebten Cowboypuppe Woody, war Grund genug für den Jungen Andy, sie nicht mit ins Sommercamp zu nehmen. Intensiver noch als im ersten Film, der die Figur mit der Stimme von Tom Hanks in eine fast mörderische Eifersucht gegenüber einem Actionhelden aus Plastik namens Buzz Lightyear gestürzt hatte, arbeitete sich das Sequel an einer nur allzu menschlichen Sorge ab: irgendwann nicht mehr gebraucht zu werden, zum alten Eisen zu gehören.

Übertragen auf die Objektwelt gelang Lasseter mit „Toy Story 2“ eine verblüffende Reflexion über Leben und Tod. Einerseits glaubten die Spielzeuge, der ganze Sinn ihrer Existenz bestehe darin, von Kindern bespielt zu werden. Anderseits erfuhr Woody nun von einem manischen Sammler, dass er auch ewig leben kann – im goldenen Käfig einer Museumsvitrine.

Inzwischen gibt es sogar Menschen aus Fleisch und Blut, die das ähnlich sehen und ihre sterblichen Überreste dem schaurigen Plastinator Gunther von Hagens („Körperwelten“ ) vermachen.

„Die Grundidee von, Toy Story‘ kam von meiner eigenen Leidenschaft als Spielzeugsammler“, erzählte John Lasseter damals zum Filmstart. „Nun habe ich fünf Söhne, und die laufen natürlich immer gleich in Daddys Büro, um mit den Spielsachen zu spielen. Wie die sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen. Dann wird die Sammlerseite in mir nervös, aber ich sage mir dann auch: Hast du denn gar nichts aus ‚Toy Story‘ gelernt? Spielsachen sind dazu da, von Kindern bespielt zu werden. Welches Recht habe ich, sie für den Rest ihres Lebens auf das Regal zu verdammen? Was für ein Leben wäre das für ein Spielzeug? Viele Leute sind Sammler bei Pixar. Der einzige Unterschied ist: Wir würden nie unsere Spielsachen verkaufen.“

Das kann ihm sicher so mancher Plattensammler nachfühlen: Schont man die teure Vinyl-Erstauflage und hört stattdessen lieber die ramschige CD oder gar die MP3-Datei vom Rechner?

Lee Unkrich, der bereits an den ersten beiden Teilen als Cutter bzw. Co-Regisseur beteiligt war, treibt die melancholische Reise ins Tal der Puppen in „Toy Story 3“ noch eine Schraubendrehung weiter. Mit dem Erwachsenwerden ihres Besitzers scheint das Schicksal der Spielzeuge nun endgültig besiegelt. 15 Jahre nach dem ersten Teil ist Andy ist nun ein Teenager und macht sich bereit für das College. Seine Mutter tut, was Mütter in diesen Fällen meistens tun: Sie kompensiert den Abnabelungsschmerz mit dem Aufräumen des Kinderzimmers. Für Andys Spielzeug bedeutet das nichts Gutes.

Nur der treue Woody hat diesmal seinen Ehrenplatz im Umzugskarton bereits sicher. Seine Kollegen sollen auf dem Dachboden ihr nutzloses Dasein fristen. Dafür packt Andy sie in einen blauen Müllsack. Seine Mutter aber stellt diesen an die Straße. Die Odyssee der deplazierten Spielzeuge kann beginnen. Sie entgehen knapp dem Müllwagen und können sich mit Woodys Hilfe in einen Karton retten, der für die nächste Kita bestimmt ist.

Auch wenn es der buntfarbige Anstrich der Kita ihrem Anführer Woody leicht macht, ein Loblied auf neue, intensivierte Spielfreuden zu machen – niemand hat mit der Zerstörungswut der Ein- bis Dreijährigen gerechnet. Nicht nur Mr. und Mrs. Potatohead müssen sich um Augen, Ohren und Extremitäten sorgen. Und die unbändigen Horden im Hort sind nicht einmal das Schlimmste. Nachts wacht eine Mafia korrupter Spielzeuge über ihre Privilegien.

Allen voran ein bitterböser Kuschelbär, der sein Herz verloren hat, seit er einst einem Kind verloren ging und durch ein gleiches Exemplar ersetzt wurde. Ihm zur Seite steht der eitle Ken, eine überaus tragische Figur. Immerhin gehört zu Woodys Gang inzwischen auch eine echte Barbie, doch man muss sie um ihren neuen Schwarm nicht unbedingt beneiden. Ken ist nämlich eigentlich schwul, nur hat er es selbst noch nicht bemerkt. Und zumindest während der Laufzeit von „Toy Story 3“ hilft ihm auch niemand auf die Sprünge.

In John Lasseters Pixar-Studio produziert man Animationsfilme heute wieder so wie bei Disney in den 30er-Jahren: Endlose Story-Konferenzen optimieren den Handlungsverlauf bis ins Kleinste, Produktionszeiten von fünf Jahren sind die Regel. Und nun will man es sogar mit den unvergesslichen Schreckensszenen der frühen Disneyklassiker „Schneewittchen“ oder „Bambi“ aufnehmen. Selbst der amerikanische Disney-Experte Leonard Maltin (59), der Licht und Schatten der alten Meisterwerke mehrere Bücher und eine DVD-Reihe widmete, zeigt sich auf seiner Website „Movie Crazy“ ungewöhnlich furchtsam: „Ich weiß, in jeder Geschichte braucht es Abenteuer und sogar Gefahr, aber das könnte für kleine Kinder etwas zu intensiv werden – das war es wenigstens für mich!“

Bei Pixar hat man längst ausgelotet, wie weit man auch im Dunkeln gehen kann. Hatte man nicht schon bei Disney Bambis Mutter sterben lassen? „Findet Nemo“ begann mit dem Tod der Fischmutter und dem Überleben eines einzigen Babys. Ohnehin arbeitet jeder Trickzeichner an der Schwelle von Leben und Tod, sobald er nur mehrere Phasenzeichnungen zu einer Bewegung aneinanderreiht.

Der Computer-Animationsfilm ist in der Simulation einer kompletten Welterfahrung tatsächlich näher gekommen als so ziemlich jede andere Kunstform – doch nur bei Pixar weiß man anscheinend, dass auch der Tod zum Leben unabdingbar dazu gehört.

Nicht von ungefähr handelte bereits Walt Disneys zweiter abendfüllender Animationsfilm von 1940 von einer hölzernen Puppe, die unbedingt ein kleiner Junge sein will: „Pinocchio“ ist der Urahn von Cowboy Woody und seinen Gefährten.

John Lasseter liebt dieses Thema: „Es geht um die Verlebendigung: Spielzeuge sind Objekte von Menschenhand. Gegenstände sind nun einmal zu einem bestimmten Zweck gemacht.“ Im Gespräch veranschaulicht der Regisseur seine These am Wasserglas in seiner Hand. „Dieses Glas zum Beispiel ist zum Halten von Flüssigkeit da. Das ist seine Bestimmung. Wäre es lebendig, würde ich sagen, das ist, was es tun möchte. Ein volles Glas, glaube ich, ist ein glückliches Glas, bis es ein leeres wird und sehr traurig wird. Ein Glas, das gerade aus der Spülmaschine kommt ist sehr optimistisch, und so weiter. Wir können uns vorstellen, dass es sehr nervös wird, wenn man es an die Tischkante stellt. Es könnte herunterfallen und nie wieder Flüssigkeiten aufnehmen.“ Und den Helden von „Toy Story“ drohen noch ganz andere Prüfungen, denn die mörderische Gangster-Kita ist nur die Zwischenstation zum vorgezeichneten Ende eines durchschnittlichen Spielzeuglebens – der Schredderanlage mit anschließender Müllverbrennung.

Etwas Licht in der Finsternis liefert da höchstens der vielfarbige Soundtrack von Randy Newman. Aber als Stimmungskanone ist der große amerikanische Singer-Songwriter und Oscar-Preisträger ja auch nicht unbedingt bekannt. Für den Titelsong „We Belong Together“ bemüht er sich allerdings redlich um gute Miene zum bösen Spiel. Aber jeder Realist ist auch ein Pessimist. Ins durchaus ironisch gemeinte „Toy Story“-Versprechen „You’ve Got A Friend In Me“, das Newman im Duett mit Lyle Lovett einen seiner größten Hit bescherte, mischt sich nun auch eine Todesahnung. „The day I met you/ Was the luckiest day of my life/ And I bet you feel the same/ At least I hope you do/ So don’t forget/ If the future should take you away/ That you’ll aways be part of me.“

Natürlich ist der Glaube ans Happy-End ein Teil des Kooperationsvertrags, den Pixar mit Disney abgeschlossen hat. Doch nach dem, was die Stoffpuppe mit dem Cowboyhut diesmal durchmacht, muss sie im Anschluss erstmal auf die Couch.

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