„Für die Musiker war es ein Kulturschock!“

Fritz Rau über das "American Folk Blues Festival", durch das junge Europäer 1962 erstmals den schwarzen US-Blues kennenlernten.

Die Package-Tour, die als „American Folk And Blues Festival 1962 zum ersten Mal Europa bereiste, wurde zur Initialzündung für die junge Musikszene, vor allem in England. Youngster wie Jimmy Page, Mick Jagger und Keith Richards standen damals im Publikum und bestaunten US-Originale wie John Lee Hooker, Willie Dixon und T-Bone Walker. Zwei Deutsche waren es, die diese Tournee auf die Beine stellten. Horst Lippmann (1927-1997) und Fritz Rau (78) waren dabei in erster Linie auf ihren Enthusiasmus, Engelsgeduld und persönliche Verbindungen angewiesen – eine Pioniertat zu einer Zeit, als Rassendiskriminierung in den USA noch an der Tagesordnung war und in Europa vom Blues noch kaum jemand gehört hatte. Rau erinnert sich…

Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, eine Tournee mit US- Blues-Originalen zu veranstalten?

Wir hatten 1958 eine Europatournee mit dem Modern Jazz Quartet veranstaltet. Und deren Pianist John Lewis hatte uns eine Platte von Muddy Waters geschenkt, mit „Got My Mojo Working“ drauf, von Chess Records. Er liebte diese Blues-Musik, und er hat uns darauf angetörnt.

Wie kam dann der Kontakt zur Szene in Chicago zustande?

Ein Jahr später, 1959, machten wir eine Tournee mit dem schwarzen Jazz-Saxophonisten Cannonball Adderley, dessen Spiel stark vom Blues beeinflusst war. Auch er kannte sich natürlich gut aus und gab uns jede Menge Adressen, unter anderem die von Willie Dixon. Horst Lippmann ist daraufhin nach Chicago geflogen und hat Dixon dort besucht.

Hatte Lippmann keine Angst, sich in dieser fremden Welt der Kneipen und Clubs auf Chicagos South Side zu bewegen?

Sein Glück war, dass er unter dem persönlichen Schutz von Willie Dixon stand. Dixon war ein sehr großer, kräftiger Mann. Er hatte als junger Mann geboxt, eine Zeit lang sogar als Sparringspartner für Joe Louis. Vor ihm hatten sie alle Respekt. Dixon hatte schnell gemerkt, dass wir Idealisten waren, dass es uns um die Musik ging und nicht darum, die Bluesleute übers Ohr zu hauen. Deshalb hat er allen anderen in der Szene klar gemacht, dass dieser Weiße unter seinem Schutz stand. Man darf nicht vergessen, es gab ja durchaus auch einen umgekehrten Rassismus, nicht nur den der Weißen, sondern auch den der Schwarzen.

Wie wurde das Line-Up der Tour festgelegt?

Das hat Willie Dixon erledigt. Er kannte ja jeden in der Szene und betätigte sich ohnehin als Booker für verschiedene Clubs und Musiker. Er hatte die Kontakte und stellte uns die Musiker vor.

Welche organisatorischen Probleme galt es zu losen?

Ganz einfach war es nicht, all die Jungs mit Pässen auszustatten und dafür zu sorgen, dass sie rechtzeitig in New York am Flughafen versammelt waren und heil in Europa ankamen. Natürlich gab es auch schon mal Probleme, so mussten wir einmal Lightnin‘ Hopkins, der an einer der späteren Festival-Touren teilnahm, geschlagene 14 Tage lang irgendwo in den Südstaaten suchen – er war einfach verschwunden. Andere wiederum waren ziemlich pflegeleicht, zum Beispiel John Lee Hooker. Er war immer ungeheuer diszipliniert, auf die Minute pünktlich, fast wie ein preußischer Offizier.

Wie gefiel den Musikern der Aufenthalt in Europa?

Die waren begeistert. Schließlich logierten sie in den besten Hotels, spielten plötzlich nicht mehr in miesen Spelunken, sondern in richtigen Konzertsälen. Außerdem bekamen sie regelmäßig eine gute Gage ausgezahlt – alles Dinge, die sie von zuhause nicht gewohnt waren. Für sie war es ein echter Kulturschock, aber ein positiver. Ich erinnere mich an eine Geschichte von Sonny Boy Williamson. Irgendwo unterwegs war ihm ein Karnickel zugelaufen. Natürlich hat er es mitgenommen und dann so, wie er es auch in Chicago gemacht hätte, in der Badewanne seines Hotelzimmers geschlachtet. Wir waren in einem sehr gutbürgerlichen Hotel, und ich hatte hinterher alle Hände voll damit zu tun, einen Rauswurf des kompletten Tournee-Teams zu verhindern…

Wie erfolgreich waren diese frühen Europatourneen? Kamen Lippmann und Rau auf ihre Kosten?

Natürlich wurden wir nicht reich, aber immerhin verdienten wir ein bisschen Geld. Wenn du zweimal an einem Tag das Pariser Olympia ausverkaufst, dann bleibt schon was übrig. Die Royal Albert Hall in London haben wir sogar dreimal hintereinander ausverkauft. Das American Folk Blues Festival war unser endgültiger Durchbruch als Tourneeveranstalter. Wir hatten Glück, und unser Mut wurde mit einem riesigen Publikum belohnt, das zu Beginn der sechziger Jahre den Blues für sich entdeckte.

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