Für ihre neue Platte haben Die Fantastischen Vier Jungs-Urlaub am Busen der Natur gemacht – bevor sie auf „Unplugged“-Tour gehen

Es gehört unersetzlich zur Stilform HipHop, dass man ab und zu aneinander vorbeiredet, aber dieser Samstagabend bringt in der Hinsicht neue Extreme. Die drei Mikrofone der Fantastischen Vier sind alle offen, sie fallen sich auch beim Erzählen zwischen den Stücken gegenseitig ins Wort, wie immer, und dann schreit das Publikum dazwischen.

Richtig geraten: In Stuttgart ist Jazz-Festival. Im ersten Stock der Liederhalle versorgt die Landesbank Baden-Württemberg, der Hauptsponsor, die Gäste aus dem Großkundenbereich mit Häppchen, drunten im Beethovensaal geben die Fantastischen Vier eine Homecoming-Show in mittelgroßem Format, bei der die Leute bis ganz vorn an die Bühne dürfen (auf der am Tag davor Cassandra Wilson stand, am Tag darauf die gnadenlos unvermeidliche Candy Dulfer) und einen Karneval auffuhren, wie man ihn auch bei internaüonalen Bands selten erlebt. „Vier, vier, vier!“ wird auch in den hinteren Reihen skandiert, wo garantiert niemand auch nur einen einzigen der über 20 Musiker sehen kann. Als „Hausmarke“ Michi Beck ansagt: „Toll, dass ihr trotz 35 Grad hier seid, um mit uns das einzig richtige Picknick zu feiern“, gibt es einen monströsen, breiten Aufschrei, obwohl er „Der Picknicker“ nur sehr indirekt angekündigt hat.

Man vergisst schnell, wie beliebt eine Gruppe ist, wenn sie eine Weile nichts macht. Das letzte Album „4:99“ ist rund vier Jahre her, die „MTV Unplugged“-Show in Balve bei Lüdenscheid, abgehalten in einer vom Schützenverein ausgebauten Höhle, war im September 2000 der letzte öffentliche Auftritt der Fantastischen Vier für knapp dreijahre. Die Soloprojekte, die zwischendurch positive Aufmerksamkeit brachten, schärften sogar noch das Gruppenprofil: Thomas D, der Esoteriker und Ausflipper, mit der „Reflektor Falke“-Platte, seiner Eifel-Kommune MARS und der Rockband Son Goku. Michi Beck, der Musiker, mit dem DJ-Soul-HipHop-Duo Turntablerocker. And.Ypsilon. der Stille, mit Produzenten-Jobs und einem Soloalbum, lange angekündigt und noch immer nicht veröffentlicht Und Smudo fuhr Rennen im Biodiesel-Käfer und spielte in Ralf Schmerbergs Film „Poem“ den Anführer einer Truppe von nackten Wilden.

Dass die gemeinsame Rückkehr ausgerechnet mit einer mobilen Version der „Unplugged u -Show beginnt, erfüllt einen Herzenswunsch der eigenen Plattenfirma „Four Music“. Die Verkäufe des in der Höhle gemachten Live-Albums stagnierten nämlich kurz vor Platin, die Tour im September (neun Daten von Trier bis Bremerhaven) könnte auch in der Hinsicht einiges bewegen. Bis dann im Frühjahr 2004 die neue Studioplatte kommt, an die viele nicht mehr geglaubt haben – zu Recht, sagt die Band im Nachhinein, weil man ja nie weiß. Als Taster bekommen die Zuhörer in der Liederhalle am Ende ein neues Lied, „Pipis und Popos“, „einfach nur ein witziges Stück“, sagt Smudo an und rappt im Sitzen. Auch mit Gipsfuß, den er sich drei Wochen vorher beim ersten Konzert in Freiburg gebrochen hat (Stuttgart ist Nummer drei von vier Vorbereitungsshows), ist er vorher mehrfach über die Bühne gehoppelt Manager Andreas „Bär“ Läsker hat es von der „gewichtsabsturzsicheren Ehrentribüne“ (so grüßt ihn die Band) wie ein Fußballtrainer beobachtet.

„Pipis und Popos“ ist die beste Übersetzung von „bitches and niggers“, an die „Smudo“ Michael Schmidt denken konnte. Bei einem Aufenthalt auf Martinique hat er mit Klangerzeugungssoftware gespielt, aus einem Jazz-Sample das Stück entwickelt, und für die Unplugged-Tour war es der einzige Neu-Zugang, der vollendet genug war. „Die anderen Sachen haben wir erst gelayoutet“, sagt er. „Die Platte befindet sich noch in einem wolkigen Zustand.“

Konkret heißt das: Sie haben praktisch noch nichts aufgenommen. Nur zwei, drei Stücke, die in der ernsten Studiophase im September sicher wieder umgebaut werden. Weil die Mitglieder heute über ganz Deutschland verteilt wohnen, müssen die Fantastischen Vier für Konzeptionsarbeiten immer zusammen in Kreativurlaub fahren, und diese Jungs-Wochen haben nun eine besondere Qualität entwickelt. Ende 2002 traf man sich in einer Hütte in Vorarlberg, später mehrfach auf dem ländlichen Anwesen von Thomas D.

Noch bei den Sessions zur vorigen Platte hatte ihnen engagiertes Personal gekocht und hinterhergeputzt „Aber letzten Winter in Vorarlberg“, erzählt Smudo, „haben wir festgestellt, dass wir richtige Vatis geworden sind. Nur Michi und ich sind ein einziges Mal im Restaurant gewesen, weil wir mal leckeren Wein trinken wollten. Sonst haben wir alles selbst gemacht. Zum ersten Advent hat Michi schön Tofubraten mit Blaukraut und Knödeln gekocht, weil Thomas doch Vegetarier ist. HipHop ab 30 heißt: Setzt euch, Jungs, ich setz um 12 schon mal die Tomatensauce auf.“ 14 Tage lang trieben sie Sport, konsumierten homöopathische Drogen und machten viel Musik.

Mitgebrachte Material-Fragmente wurden gesichtet und in einigen Fällen weiterentwickelt, Smudo selbst brachte einen in Spanien begonnenen Song ein – der Refrain „Sex ist keine Lösung“ stand bereits. Andy sammelte digitale Soundfiles ein, um in Heimarbeit an ihnen zu basteln. So lange habe die Album-Orientierungsphase noch nie gedauert, sagt Smudo, aber um das alte Cliquengefühl zu aktivieren, genüge es bei Männern Mitte 30 halt nicht mehr, einmal die Zigarette kreisen zu lassen: „Deshalb legen wir viel Wert darauf, solche Situationen herbeizuführen. Das muss man stilsicher machen. Wir können nicht nach Marbella gehen und da aufnehmen. Da fällt uns nichts ein, weil wir den ganzen Tag am Strand sitzen.“

Die Alltags-Beziehungen zwischen den vier Vieren darf man sich trotzdem nicht zu geschäftlich vorstellen. Sie begegnen sich am ehesten bei Anlässen wie der Gesellschafterversammlung von „Four Music“, aber hinterher bleibt man noch ein bisschen zusammen. Oder besucht sich daheim, oder wenn einer mit dem Soloprojekt in der Stadt ist Ohne Lager kein Lagerkoller, und man kann es als Vorsicht verstehen, dass sie – angesichts der Tour – nach dem glänzenden Stuttgart-Konzert alle noch ausgehen, aber getrennt. Mit den alten Cliquen. Wo man in Stuttgart zurzeit so hingeht, hätten sie im Viererbund nicht gewusst.

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