Fußball-Legende Gerd Müller: Ein Popstar wollte er nicht sein

Er schoss Tore ohne Ende, der Strafraum war sein Freund. Eine Legende aus einer Zeit ohne Tattoos, als der moderne Fußball noch nicht erfunden war

Es gibt ein Foto von Gerd Müller, das ihn neben seiner Frau Uschi in einer Sitzecke der New Yorker Über-Disco Studio 54 zeigt. Die Runde trinkt Schampus. Mit Vollbart und Sakko könnte Müller nach heutigen Style-Maßstäben in einer Indie-Rockband von der Westcoast spielen. Es war aber das Jahr 1979; und der bei Bayern München ausgemusterte „Bomber der Nation“ hatte gerade einen Vertrag bei den Fort Lauderdale Strikers in Florida unterschrieben.

Die Liga hieß North American Soccer League (NASL). Der schillerndste Verein war Cosmos New York, mit Superstars wie Pelé, Carlos Alberto oder Franz Beckenbauer. Ein typisch amerikanischer Versuch, das Phänomen „Soccer“ mit viel Geld nach den Regeln des Showbiz zu vermarkten. Beim Müller-Club Strikers spielten auch der englische WM-Torwart Gordon Banks, Bernd Hölzenbein und die Coolness-Legende George Best noch ein wenig für die Galerie. Gerd Müller erzielte während seiner 71 Spiele immerhin 38 Tore. Noch zwei Jahren war Schluss. Seine letzte Karrierestation, bevor er als Betreiber des Steak-Restaurants „The Ambry“ in unruhiges Fahrwasser geriet und zu viel trank. Er kehrte zurück nach München, machte eine Entziehungskur und fand als Co-Trainer bei den Bayern wieder sein Sportler-Glück.

In vielen Fußball-Büchern und -Analysen werden die 1970er als Jahrzehnt der Befreiung mit langen Haaren, ersten Model-Freundinnen oder dem superdynamischen „totaal voetbal“ aus den Niederlanden beschrieben. Strafraum-König Müller entzog sich diesen Kategorien. Er kam aus der Countryside von Nördlingen, kleine Verhältnisse. Er war strictly Old School, stoisch-eckig; bei der Ballannahme streckte er gerne den Hintern raus. In seinem eigenwilligen Stil, das so genannte „müllern“, drehte er sich – irgendwie – um die eigene Achse und versenkte den Ball aus jeder noch so ungünstigen Position im Tor.

Gerd Müller

Das alles passte zu seinen raren Ausflügen in die Popkultur. Etwa seine Gassenhauer-Single „Dann macht es Bumm“, die er 1969 zusammen mit dem Heimatlied-Komponisten Walter Geiger einspielte: „Jeden Samstag Nachmittag, ja da ist was los; immer wieder ist die Spannung riesengroß …“ Ein rustikaler Geist, von der auch der spätere WM-Song „Fußball ist unser Leben“ lebte. Gerd Müller wurde 1971/72 mit 40 Treffern Torschützenkönig, als er mit seinen Bayern in den Jahren 1972 bis 1974 dreimal hintereinander die Meisterschaft holte. 1972 wurde er Europameister, 1974 Weltmeister. Müller schoß im Finale gegen Holland den Siegtreffer zum 2:1.

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Seine Jahre beim FC Bayern waren auch eine Zeit, in der in auswärtigen Stadien der stumpfe Tribünen-Chorus „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ erfunden wurde. Gerd Müller stand über diesen Dingen. Er schoss Tore. Als Prophet des modernen Spiels taugte er genauso wenig wie im weltgewandten Auftreten außerhalb des Strafraums. Das Foto aus der New Yorker Superdisco sollte das einzige bleiben. Der spätere FC Hollywood wäre nicht sein Ding gewesen. Wie der ultimative Könner an der Gitarre beherrschte er sein Instrument, den Ball. Mit der großen, weiten Welt des Posens und der Selbstvermarktung wollte er nichts zu tun haben. Ein Held aus einer anderen Zeit. Gerd Müller verstarb am Sonntag nach langer Krankheit im Alter von 75 Jahren.

Peter Kneffel picture alliance/dpa
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