Gaukler, Gitarren, Sensationen

Haldern Pop & Rolling Stone gehen Zelten

Beim vielleicht schönsten deutschen Pop-Festival in Rees-Haldern am Niederrhein traf man sich in den letzten beiden Jahren gerne in dem wundervoll kitschigen flämischen Spiegelzelt, wenn man Schutz vor Sonne (2004) oder Regen und Kälte (2005) suchte. Man setzte sich an die Tische und las in ausgelegten alten Rolling STONE-Ausgaben, hörte neuen, teilweise noch unbekannten Bands zu, die putzigen Magic Numbers kamen vorbei und spielten zu Kaffee und Kuchen, aufgekratzte Festivalbesucher tanzten dort bis spät in die Nacht zu den Klängen der famosen British Sea Power und ließen sich später von der süßen Emiliana Torrini und der betörenden Francoiz Breut in den Schlafsingen. Magische intime Momente, wie man sie nur beim „Haldern Pop Festival“ erleben kann.

Nur beim „Haldern Pop Festival“? Warum eigentlich? Fragten wir uns – und das Organisationsteam vom Niederrhein fragte sich das auch. Und deshalb geht das antike Spiegelzelt Anfang Mai nun auf große Deutschlandreise. „Haldern Pop & Rolling Stone“ gehen zelten.

Unser kleiner, aber feiner Popzirkus gastiert in wenigen Wochen in Köln, Heidelberg, München, Berlin, Leipzig, Dresden und Hamburg (alles weitere zu Terminen, Line-up und Orten: siehe Kasten unten rechts). Und wie beim Festival, so gibt es auch hier jede Menge interessante neue Acts zu bewundern und alte Favoriten in intimem Setting zu bestaunen. Einige von ihnen kann man sich schon mal auf unseren „New Noises“ in diesem Monat anhören. So etwa das tolle australische Musikerkollektiv Architecture In Helsinki. Das Oktett (!) aus Melbourne schafft mit Gitarren, analogem Synthesizer, Glockenspiel, Tuba und Klarinette auf seinem zweiten Album „In Case We Die“ eine Jahrmarktsatmosphäre, die besonders gut unter die Kuppel aus Holz und buntem Stoff paßt.

Das kann man mit Sicherheit auch vom Bostoner Duo Dresden Dolls sagen, das bereits beim Festival 2004 in genau diesem Spiegelzelt gastierte und mit seiner „Cabaret“-ähnlichen Show einen solchen Eindruck hinterließ, daß die Besucher sich anschließend wunderten, daß sie, als sie das Zelt wieder verließen, nicht auf dem Potsdamer Platz im Berlin der Zwanziger, sondern auf dem Alten Reitplatz in Haldern rauskamen.

Ein alter Gaukler ist auch der Kanadier Owen Pallet, der gleich an mehreren der spannendsten Platten der letzten Jahre beteiligt war. Er war Mitglied der Hidden Cameras, spielt in der Postrock-Band Picastro, schrieb die Streicherarrangements für Arcade Fires „Funeral“ und machte mit dem Schlagzeuger Leon Taheny unter dem Namen Final Fantasy ein wunderschönes Kammerpop-Album.

Filigranen Kammerpop zwischen Tindersticks und Belle & Sebastian kann übrigens man auch von den neuen Kritikerlieblingen My Latest Novel aus Schottland erwarten.

Der Songwriter Jose Gonzales ist für die Besucher des „Haldern Pop Festivals“ schon ein alter Bekannter, denn er gab dort 2004 sein Deutschland-Debüt. Mittlerweile ist der sanfte Schwede argentinischer Abstammung durch einen Werbespot im Fernsehen, bei dem sein Song“Heartbeats“ im Hintergrund läuft, in Großbritannien bereits über den Geheimtip-Status hinaus, und wir sind sicher, daß er sich nach dieser Tournee auch bei uns zumindest unter traurigen jungen Männern und verträumten Mädchen als household name etablieren wird. Gleiches gilt hoffentlich auch für seine nicht minder elegischen Landsleute El Perro Del Mar und den Stuttgarter Songwriter Daniel Benjamin, den jeder in sein Herz geschlossen haben dürfte, der in den letzten Jahren Zeuge eines seiner über 400 Konzerte geworden ist.

Für die lauteren Töne werden bei unseren Zeltabenden das allerorten gefeierte Americana-triftt-James-Joyce-Duo Two Gallants, die neuen Britpop-Lieblinge Morning Runner, die Schweden der Shout Out Louds und des Schlagzeug-/akustische-Gitarre-Duos Johnossi sowie – eine kleine Sensation die neu formierten Cooper Temple Clause sorgen.

Bei diesem exquisiten Lineup bekommt man gleich erste Frühlingsgetühle. Und das Beste: Nach der Show wartet nicht etwa die unbequeme Isomatte, sondern das eigene Bettchen. So macht Zelten wieder richtig Spaß.

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