Gegen Tony Blair, New Labour und die neue Wertelosigkeit stemmt sich Billy Bragg mit Kraft und Kinderkriegen

Schöner war die Welt vor der Wende vielleicht nicht, aber schön übersichtlich. Woran Billy Bragg zu knabbern hat, ist ein alles durchdringendes Gefühl der Ohnmacht, das viele seiner ehemaligen Weggenossen gelähmt hat und, so Bragg traurig, im Privaten verdämmern läßt Ob der Barde aus Barking an dieser von ihm so bitter beklagten Passivität etwas ändert, indem er lau und luftig einen „socialism of the heart“ proklamiert, ist freilich mehr als fraglich.

Wir sitzen uns in Dublin gegenüber, draußen Sonne, Wind und Menschengewimmel, und ich gestehe ihm, daß ich lauthals lachen mußte, als ich diese putzige Parole zum ersten Mal hörte auf seiner Single „Upfield“, einem ansonsten hellwachen, engagierten Soul-Stomper. Das soll es nun sein, das neue Bragg-Credo? Billy ist nicht amüsiert. „Was zum Teufel soll falsch sein daran?“, will er wissen, „darf man den Begriff Sozialismus heutzutage nicht mehr in den Mund nehmen, ohne Hohn und Spott zu ernten?“ Nein, Billy, aber muß nicht jeder Sozialismus, der etwas taugt, eine Herzensangelegenheit sein? Und war nicht der real existierende so scheußlich, weil er kein Herz hatte, kein Hirn und keinen Sex? Bragg entspannt sich. „Okay, damit kann ich leben.“ Billy Bragg ist ein feiner Kerl, immer etwas überschäumend, aber aufrichtig. Den Umgang mit läppischen Befindlichkeiten haßt er, der mit starren Ideologien hätte ihn mehr als einmal beinahe Kopf und Kragen gekostet In Prag wäre der gute Mann von einer aufgebrachten Menge fast gelyncht worden, weil er die Internationale anstimmte. In Ostberlin war sein Künstler-Kotau vor den regierenden Betonklötzen nicht devot genug, in Westberlin eckte er an, weil er glaubte, um Verständnis werben zu müssen für den Muff jenseits der Mauer. Ach, wäre er doch nur auf der Insel geblieben.

Dort immerhin bewegte er einiges, damals unter dem „Red Wedge“-Banner, gemeinsam mit Paul Weller für Neil Kinnock und gegen die monströse Maggie, die eiserne Hexe, deren erste Amtshandlung einst gewesen war, unschuldigen Schulkindern ihre Pausenmilch wegzunehmen. Manchmal, gibt Billy verlegen grinsend zu, sehne er sich schon zurück in jene Sturm-und Drang-Zeit Die neue Weltordnung läßt kaum Platz für Bekennermut und Gesinnungsethik, die Jugend tanzt und fordert nur das eine Recht: in Ruhe gelassen zu werden. „No chance“, sagt Bragg, „ich werde ihnen schon einheizen.“

Nach ein paar Jahren des Insichgehens, Kinderkriegens und Standortsuchens denkt der Agitpop-Dynamo nun, allen Herausforderungen und Anfechtungen des globalen, geldgetriebenen Turbo-Wahns gewachsen zu sein. „Ich mißtraue allen Märkten zutiefst“, seufzt er, „sie haben für alles einen Preis, kennen aber nicht den Wert der Dinge.“ Doch haben sich auch zage Zweifel eingeschlichen in sein ehedem festgefügtes politisches Wertesystem. „Should I vote red for my dass or green for my children?“, fragt der Familienvater in „From Red To Blue“, einem Track seines ingeniös betitelen Comeback-Albums „WilBam Bloke“. Letztlich wird er aber dann doch wieder für Labour votieren, „weil es die einzige Chance ist, die Tortes abzulösen“. Mit New Labour kann Bragg natürlich nichts anfangen, und der neue Labour-Leader, rosarot und smart, ist ein rotes Tuch für ihn. In gewisser Weise sei Tony Blair schlimmer noch als Thatcher, weil er seine Technokraten-Kälte bemäntele mit sozialem Wortgeklingel. Immerhin, gebe ich zu bedenken, sei der glatte Tony in jungen Jahren Glam-Rocker gewesen, habe sich als Rock-Fan geoutet und werde ständig bei Pop-Konzerten gesehen, ein Novum unter Labour-Leadern. „Ich weiß, er mag Pulp und Oasis“, sagt Billy verächdich, „nicht, daß ich etwas gegen Pulp und Oasis hätte, aber Neil Kinnock – und das wissen nur wenige – war eingetragenes Mitglied im Gene-Vincent-Fanclub.“ Touché!

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