George Michael: Dem Teufelskreis endlich entkommen

Die jahrelange Depression ist überwunden, sein Album wurde Nummer eins. Trotzdem will sich George Michael zurückziehen - bevor sein Leben zur "unendlichen Seifenoper" wird

George Michael ist abhängig von „Starbucks“-Kaffee. Er glaubt, dass da „Heroin oder so“ drin sein muss, denn inzwischen kommt er ohne einen Becher am Morgen gar nicht mehr in die Gänge. Heute hatte er schon zwei, ist also in Bestform. Wer den 40-Jährigen nur aus Videoclips und von seltenen Fernsehauftritten kennt, muss sich erst einmal wundern. Der Mann sieht ja gar nicht schmierig aus. Er trägt zwar Kajal und Solariumbräune, wirkt aber völlig unaffektiert und lacht am liebsten über sich selbst. Er hatte eine Menge Grund dazu in den letzten Jahren. Und noch mehr Grund, das Lachen zu verlernen. Umso erstaunlicher, wie gelöst er scheint, wie befreit. Ein kurzer Rückblick für die, denen es auf wundersame Weise entgangen ist: Die 90er Jahre waren nicht gut zu Michael. 1993 verlor er seinen Geliebten Anselmo Feleppa, ’97 seine Mutter. Im Jahr darauf wurde er auf einer Toilette in L.A. festgenommen, wegen „unzüchtiger Handlungen“.

Seine letzte Platte mit eigenen Songs, „Older“, ist acht Jahre alt. Er schaffte es einfach nicht schneller, neue Lieder zu schreiben und aufzunehmen. Deshalb war das aktuelle Album „Patience“ für ihn schon ein Triumph, bevor es in etlichen Ländern Nummer eins wurde einfach, weil es endlich fertig war. „Ich litt fast fünf Jahre lang unter einer Kombination aus Depression und Schreibblockade, ein Teufelskreis. Ich bin ja immer wieder aufgetaucht und dann wieder verschwunden. Das war aber gar nicht so geplant. Ich wollte gleich nach den beiden Singles („Outside“ und „Freeek!“) das Album veröffentlichen, aber dann bin ich wieder gegen irgendeine Wand gerannt In den letzten zwölf Monaten habe ich mich dann gefangen, und mir wurde klar, was ich über mich und mein Leben sagen will, und ich hatte genug Mut, introspektiv zu sein.“

Die Texte fallen Michael heutzutage leichter als die Musik, aber am besten gefallt ihm immer noch das Singen: „Ich musste nie darüber nachdenken, wie ich meine Stimme vielleicht verbessern könnte. Sicher könnte mir ein Gesangslehrer noch einiges beibringen, aber ich glaube, dass meine Stimme heute sehr viel ausdrucksstarker ist als früher, und zwar, weil sie näher an der Wahrheit ist und sich weniger versteckt Und das ist keine Sache des Lernens.“ Ihm selbst war „Older“ nicht intensiv genug, weshalb er das neue Album nun gerne mit „Listen Without Prejudice“ von 1990 vergleicht. „Es hat das gleiche Selbstbewußtsein. Lange Zeit wollte ich praktisch nur flüstern. Jetzt habe ich keine Angst mehr vor Theatralik, vor Aggression, vor Kraft. Diese Energie hat mir ungefähr zwölf Jahre lang gefehlt.“

Tatsächlich wagt er sich diesmal weiter raus denn je. Die herzzerreißende Ballade „My Mother Had A Brother“ etwa ist eine Hommage an seinen homosexuellen Onkel, er sich an dem Tag umbrachte als George geboren wurde. Aber selbst für diese Geschichte findet er ein positives Ende: „Those of us who have nothing to fear/We’ve got to make damn sure it was worth it…/I was a prisoner, but he saved me/Broke into my dreams and said, „Who cares?“ Es scheint George Michael ein echtes Anliegen zu sein, zu verkünden, wie gut er es hat. Plötzlich fliegen die Arme in die Luft, seine Stimme wird lauten „Trotz aller Probleme, die wir uns seit den 60ern eingebrockt haben, muss man doch ehrlich sagen: Manches ist jetzt wunderbar, ganz wunderbar im Vergleich zu früher. Dazu gehört bespielsweise, ein schwuler Mann zu sein. Das Jahr 2004 ist – wenn man Respekt vor anderen hat und immer nur safe sex praktiziert – eine fantastische Zeit, um ein schwuler Mann zu sein. Besser denn je! Es ist so ein Privileg, diese Freiheit zu haben, zumindest in unserer westlichen Welt Das sollten wir unbedingt ausnutzen!“ Er lacht, als hätte er den Jackpot geknackt. In den USA läuft es nicht so gut für ihn. Dass er sich nach der Klo-Affäre nicht öffentlich entschuldigte, sondern Witze darüber machte, haben ihm viele Konservative nie verziehen. Aber die geringen Verkaufszahlen dort stören Michael wenig. „Die Wahrheit ist doch: Alle Probleme, die ich dort in den letzten 14 Jahren hatte – Probleme, Airplay zu bekommen, die negative Auslegung meines Prozesses gegen Sony, die Klo-Sache, jetzt der Ärger mit dem angeblich anti-amerikanischen Videoclip zu ‚Shoot The Dog‘ -, hätte ich ausbügeln können, wenn ich gewollt hätte. Ich weiß, dass ich sehr viel schlechte Presse hatte und Amerika mich nicht sehr schätzt, aber ich weiß auch, dass ich zugelassen habe, dass das passiert“

Er ist eben nicht Hugh Grant. Er sah keinen Grund, monatelang sein angebliches Fehlverhalten wortreich zu bedauern. „Sogar wenn ich nicht von lauter Schwulen umgeben gewesen wäre, die das alles total lustig fanden, dann wäre mein Gefühl trotzdem dasselbe gewesen: Ich habe mich überhaupt nicht geschämt Und ich fand das alles auch ziemlich lustig. Und ich war überzeugt, dass es eine Falle war. Also habe ich mich nicht davon runterziehen lassen, sondern die für mich richtigen Konsequenzen gezogen.“ Inzwischen ist Michael seit sieben Jahren offiziell mit Kenny Goss glücklich, dem „tasty Texan geezer“ aus dem „Patience“-Booklet. Er versteckt sich nicht mehr, im Gegenteil.

Und trotzdem will er sich jetzt plötzlich aus dem Musikgeschäft zurückziehen. Dass George Michael in Zukunft seine Alben nur noch übers Internet zur Verfügung stellen (und die Download-Gebühren dann Wohltätigkeitsorganisationen spenden) will, hat vor allem einen Grund: Angst „Ich schätze mein Songwriting-Talent so viel mehr, seit ich es verloren und wiederbekommen habe, dass ich jetzt alles tun würde, damit das nicht noch einmal passiert. Ich habe mich so wertlos gefühlt.“ Er freut sich auf die Möglichkeit, Songs sofort, nachdem er sie aufgenommen hat, ins Netz zu stellen – ohne warten zu müssen, bis er ein ganzes Album zusammen hat Das dauert bei ihm ja immer so lange. Und: endlich kein Geld von Plattenfirmen mehr nehmen zu müssen! Herrlich! Kein Druck mehr, keine Presse, keine lästigen Auftritte.

Sein Rückzug hat aber auch mit dem aktuellen Stand der Popmusik zu tun. „Qualität ist längst ein Subgenre. Viele der heutigen small-time celebrities scheinen alles zu machen, um ins Fernsehen zu kommen – Privatleben gegen Geld, so schauen viele Karrieren nun aus. Ich möchte das nicht, das macht mich krank. Dabei habe ich ja eigentlich gar nichts mehr zu verstecken, was für eine Ironie! Aber ich will nicht, dass mein restliches Leben eine unendliche Seifenoper für die Öffentlichkeit wird.“

Ein bisschen Eitelkeit sei ihm am Ende doch noch gestattet Eins ärgert ihn nämlich schon: dass sich so viele über den Erfolg von „Patience“ gewundert haben. „Ich habe nie daran gezweifelt Ich wusste, dass meine Fans – im Durchschnitt 35, gern weiblich und als Teenager vielleicht Wham!-Fans gewesen auf ein Album warten, dass sie mir nicht weggelaufen sind. Es gibt doch nicht so viel gute Popmusik für Erwachsene – Songs, die nicht die Intelligenz der Hörer beleidigen.“ Freilich waren „Outside“ und „Freeek!“ eher untergegangen, aber damit hatte er schon gerechnet „Es waren ja eher ungewöhnliche Singles für mich, kleine Zügellosigkeiten, die ich mir mal erlaubt habe. Und sofort hieß es: Das war’s, Karriere vorbei. Die freuten sich, dass der Typ, der bei Wham! diese peinlichen Klamotten trug, endlich am Ende ist. Aber ich saß da und dachte: Wenn ich morgen ein Album rausbringe, wird es wahrscheinlich überall Nummer eins. Wovon reden die bloß? Fuck off!“ So charmant kann kein anderer diese Worte sagen.

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