Gewalt und Leidenschaft

Über Fatih Akins zugleich lakonisches und empathisches Kino der Konfrontation von Menschen und Kulturen.

Er habe immer nur grimmige Messerstecher spielen dürfen – so hat Fatih Akin einmal schnippisch erklärt, warum er nach einigen Auftritten als Schauspieler schließlich Regisseur geworden ist. 1998 drehte er sein Kinodebüt „Kurz und schmerzlos“, ein pulsierendes Milieudrama um drei Kumpels mit türkischen, serbischen und griechischen Wurzeln in Hamburg. Wahrhaftiger und packender zugleich hatte keiner zuvor von der Selbstfindung der Generation junger Migranten erzählt. Dabei steht der kulturelle Hintergrund gar nicht im Vordergrund. Es geht vielmehr um Freundschaft, Liebe, Verrat, Ehrgefühl und was man aus seinem Leben macht, also klassische Themen. Akin interessiert sich immer für die emotionale Ebene von Menschen. Und so schwingt bis heute in seinen Filmen ohne anklagenden Zeigefinger das Politische nur mit.

Akin ist als Filmemacher ein mitreißender Geschichtenerzähler, der Grenzen nicht akzeptiert und mit Erwartungen bricht. Geboren im einstigen Hamburger Arbeiterviertel Altona, wurde er von seinen in den späten 60er Jahren eingewanderten türkischen Eltern islamisch erzogen, ist aber deutsch sozialisiert. Machte Abitur, studierte an der Hochschule für bildende Künste, „obwohl ich mal halbwegs kriminell war“, wie Akin seine kurze Phase in einer Jugendgang umschreibt. Ob er sich als türkischer Deutscher oder deutscher Türke fühlt, ist bei ihm eine Frage der Gemütslage oder des Ortes. Überhaupt liebt er New York, den Schmelztiegel der Völker schlechthin, weshalb er kürzlich neben Regisseuren wie Shekhar Kapur oder Allen Hughes eine Episode zu „New York, I Love You“ gedreht hat.

Identität bedeutet für Akin vor allem Freiheit. Und weil diese Unabhängigkeit in „Gegen die Wand“ der jungen Deutschtürkin Sibel (Sibel Kekilli) von ihrer streng traditionellen Familie nicht zugestanden wird, rebelliert sie mit letztlich selbstzerstörerischer Konsequenz. Das ist ganz großes Kino, aufwühlend, explosiv, schonungslos und trotzdem tragikomisch selbst in bittersten Momenten. Ein solches Werk hat es in Deutschland lange nicht, vielleicht noch nie gegeben: „Jenseits von Eden“ oder „Die Faust im Nacken“ in Hamburg. Bei der Berlinale 2004 gewinnt er den Goldenen Bären, dann auch den Deutschen und Europäischen Filmpreis. Akin hat sich endgültig als aufregendster Regisseur des deutschen Films etabliert. Dass ein Sexfilmchen auftauchte, in dem Kekilli zuvor mitgewirkt hatte, machte das Drama über eine um Selbstbestimmung ringende Frau nur noch glaubhafter. Obwohl Akin zuweilen als Musterbeispiel für Integration herhalten muss, hat er sich in seiner kreativen Weitläufigkeit nie angepasst oder als Lieblingstürke von Ausländerbeauftragten und Sozialromantikern vereinnahmen lassen. Nach „Kurz und schmerzlos“ drehte er 2000 die Lovestory „Im Juli“ mit Moritz Bleibtreu und Christiane Paul, die zwar in Istanbul endet, aber nur an der Peripherie noch mit seinen türkischen Erfahrungen zu tun hat. Die Mischung aus Roadmovie und Verwechslungskomödie hätte sich ebenso Francois Truffaut ausdenken können. Akin scheint Kino förmlich aufgesogen zu haben. Er realisierte 2002 mit „Solino“ die epische Geschichte einer italienischen Einwandererfamilie, wofür er die Meister des Neorealismus studierte. Das poetisch angelegte Drama zweier Brüder, wieder mit dem von ihm geschätzten Bleibtreu („Der hat Eier“), erzählt auch von seiner Liebe zum Kino. In seinem Drehbuch für Anno Sauls Komödie „Kebab Connection“ (2005) verband er Babysitten und Bruce Lee, und für Özgür Yildirim produzierte er 2008 den Gangsterfilm „Chiko“.

Mit seinen Dokumentarfilmen „Wir haben vergessen zurückzukehren“ (2001) und „Crossing The Bridge“ (2005) begab Akin sich auf die Suche nach der Herkunft seiner Familie, was 2007 in dem komplexen Drama „Auf der anderen Seite“ mündete. Sein „spirituellstes Projekt“ geht dem Konflikt zwischen den Generationen und Gesellschaftssystemen nach. Fatih Akin bringt hier auf den Punkt, was ihn immer bewegt hat: Vorurteile und Grenzen aufzuheben.

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