Grünen-Chef Robert Habeck: „Trennung zwischen E- und U-Musik muss fallen!“

Robert Habeck, gemeinsam mit Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen, über den Wert von Kunst und Kultur, die Eroberung leerstehender Räume – und über kulturpolitische Utopien für die Post-Corona-Zeit.

Herr Habeck, während der Pandemie haben Sie sich immer wieder mit Forderungen und Thesen in die Debatte eingebracht, die auf ein Verständnis der Arbeits- und Lebensweise in vielen Bereichen der Kultur schließen lassen. Etwa den Zehn-Punkte-Plan zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft oder den Unternehmerlohn für Kulturschaffende. Bei andere scheint dieses Verständnis nicht so stark ausgeprägt zu sein. Woran liegt das nach Ihrer Beobachtung?
Es gibt auch in den Parlamenten Politikerinnen und Politiker, die selber im Kunst- und Kulturbereich gearbeitet haben. Aber viele sind es nicht. Und deshalb stimmt es: So manchen sind die spezifischen Arbeitsbedingungen nicht nur unbekannt, sie fremdeln geradezu mit ihnen. Für sie ist die Welt grundsätzlich in Menschen mit festen Arbeitsverhältnissen, also Angestellte und Arbeiter*innen einerseits, und Selbständige, also niedergelassene Ärzt*innen, Jurist*innen und Unternehmer*innen, aufgeteilt. Dass die Kunst- und Kulturbranche gleichzeitig frei ist und eine Art Dienstleistungsbetrieb für die Gesellschaft, dass sie also quer zu den klassischen Trennlinien verläuft, ist mitunter für einige schwer nachzuvollziehen. Es gibt sozusagen zwei dominierende Vorstellungen: Entweder man ist angestellt und bekommt jetzt in Corona-Zeiten Kurzarbeitergeld oder man ist selbständig und kriegt Unterstützung für laufende Kosten. Dass man aber Kreative*r ist, kaum laufende Kosten hat und dennoch einen Unternehmer*innenlohn braucht, findet in der Wahrnehmung nicht statt.
Die Kreativbranche ist da übrigens nicht allein. Die Kunst- und Kulturschaffenden stehen Seit an Seit mit lauter Soloselbständigen im Dienstleistungsbereich. Dass es neue hybride Arbeitsformen gibt – mal angestellt, mal selbständig oder beides zur gleichen Zeit –, die schlecht sozial abgesichert sind und auch keine ausreichende Lobby haben, ist jetzt überdeutlich geworden.

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Im November 2020 haben Sie konstatiert, dass die Unterstützung für den Kunst- und Kulturbereich deutlich unter dem beibe, was andere Branchen bekommen. Was sollte die Musik- und vor allem Veranstaltungswirtschaft unternehmen, um sich ein stärkeres Gehör zu verschaffen?
Naja, die Aktionen gab es ja. Und natürlich hilft es, den Druck hoch zu halten und weiter zu demonstrieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Krise hat auch dazu geführt, dass sich die unterschiedlichen Verbände der Musik- und Veranstaltungswirtschaft eng abstimmen und gemeinsam auftreten. Das ist ein richtiges Signal. Es geht aber nicht nur um einzelne Kreative, sondern eben um eine Form von Arbeit, die bisher nicht ausreichend in den Blick genommen wurde. Wenn man das systematische Problem rausarbeitet, dann wird es richtig politisch.
Außerdem ist es Zeit, die grundsätzliche Bedeutung von Kunst und Kultur in den Blick zu rücken. Oft wird sie politisch leider eher als Ornament betrachtet: Schön, wenn es sie gibt, aber okay, zur Not geht es auch ohne. Dabei sind die kulturellen Räume diejenigen, in denen eine Gesellschaft sich fort-, in denen Werte und Visionen sich neu bilden. Deutschland ist verliebt in sein klassisches Klischee als Land der „Dichter und Denker“. Wir sollten uns bewusst machen, dass das, was dieses Land auszeichnet, nicht nur das Bruttoinlandsprodukt und die Schuldenbremse sind, sondern auch seine Ideen und Werte.

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Welche Schritte müssten Ihrer Auffassung nach eingeleitet werden, um diese Erkenntnisse in politisches Handeln umzumünzen?
Es braucht massive öffentliche Investitionen in die öffentlichen Räume, Mindestsicherheiten für Kreative und eine gleichberechtigte Wertschätzung aller Kulturformen in der Förderung, um damit die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik aufzuheben. Eine Art Renaissance, eine neue Blütezeit, wäre großartig und die kann man politisch fördern. Auch indem politisch mehr Freiheiten gelassen werden: leerstehende Gebäude können dann kulturell genutzt, öffentliche Räume künstlerisch aufgewertet werden – so wird Mut zum Experiment gefördert. Wir erreichen das, indem Kultur politisch aufgewertet wird, nicht nur bürokratisch, sondern mit einer echten Liebe zum Diskurs.

Die Fragen an Robert Habeck wurden für die Titelgeschichte des aktuellen ROLLING STONE, BackToLive, schriftlich eingereicht und beantwortet.

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