Ministerin Grütters: „Wir werden ein großflächiges ‚Zurück zur Kultur‘ erleben“

Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, über Lerneffekte in Zeiten der Pandemie, den Hilfsfond „Neustart Kultur“ und über Perspektiven für die Live-Kultur.

Frau Grütters, was haben Sie in den vergangenen zwölf Monaten noch über die verschiedenen Bereiche der Kulturindustrie gelernt, was sie vorher noch nicht wussten?
Wir sind in der dramatischen Situation, dass unser gesamtes Kulturleben über Monate hinweg zum Stillstand gezwungen wird. Mir ist dabei noch bewusster geworden, wie eng verknüpft die Wertschöpfungskette ist. Denn an jedem Festival, Konzert und Clubabend sind vor und hinter der Bühne zahlreiche Akteure beteiligt – viel mehr unsichtbare als sichtbare. Insgesamt reden wir im Kreativbereich von mehr als 1,5 Millionen Menschen, die in unserem Land mehr als 100 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt an Wertschöpfung beitragen. Deshalb müssen Einnahmeausfälle sowohl für die Kultureinrichtungen als auch für die einzelnen Künstlerinnen und Künstler schnell, effizient und großzügig kompensiert werden. Das tun wir mit vielen Hilfsprogrammen – von den Überbrückungshilfen bis hin zu unserer Kulturmilliarde.

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Wie könnte man insbesondere der Veranstaltungswirtschaft zu einer größeren Lobby verhelfen?
Die Veranstaltungswirtschaft hat sich nicht erst im vergangenen Jahr gut organisiert und verfügt über eine große Lobby, die es versteht, ihre Interessen in der Öffentlichkeit markant zu formulieren. Dies wird auch auf höchster politischer Ebene sehr genau wahrgenommen. Für unser milliardenschweres Rettungs- und Zukunftsprogramm „Neustart Kultur“ haben wir die Akteure und Verbände der Szene eng eingebunden, um herauszufinden, wo es in ihrer Branche konkret hakt und wie wir am besten helfen können. Auf diese Weise haben wir zum Beispiel mit unserem Partner, der Initiative Musik, drei Programme für Livemusik-Spielstätten sowie für Veranstalterinnen und Veranstalter entwickelt.

„Insgesamt sind inzwischen rund 900 Millionen Euro und damit fast das gesamte Neustart-Budget konkret belegt und verplant“

Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach geeignet, das Überleben der Live-Musik auf allen Ebenen zu gewährleisten?
Das wichtigste ist natürlich, die Pandemie zu überwinden – dann kann endlich wieder Live-Musik stattfinden. Bis dahin muss die Musikszene wie andere Branchen auch weiterhin von staatlicher Seite unterstützt werden. Dafür hat die Bundesregierung umfangreiche Hilfsprogramme auch im BMWi aufgelegt. Mit unserem BKM-Zukunftspaket „Neustart Kultur“ richten wir den Blick nach vorne auf den Wiederbeginn kulturellen Lebens in Deutschland. Es soll ja gerade während der Durststrecke die kulturelle Infrastruktur in Deutschland erhalten und stärken. Insgesamt sind inzwischen rund 900 Millionen Euro und damit fast das gesamte Neustart-Budget konkret belegt und verplant. Da wir bei der Konzeption des Programms den zweiten, deutlich längeren Lockdown noch gar nicht eingeplant hatten, habe ich mich in Regierung und Parlament intensiv für zusätzliche Mittel eingesetzt, die im Koalitionsausschuss ja jetzt auch beschlossen wurden. Es ist mir gelungen, nach monatelangem Einsatz bei meinen Kabinettskollegen auch eine spezielle Unterstützung für Soloselbständige durchzusetzen, die über den erleichterten Zugang zur Grundsicherung weit hinausgeht. Seit November gibt es hier große Fortschritte, die gerade Künstlerinnen und Künstlern zugutekommen.

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Vorsichtiger Ausblick: Wie schätzen Sie die Lage für größere Musikveranstaltungen heute in einem Jahr ein?
Ich bin Optimistin und hoffe sehr, dass Festivals, Konzerte und Partys bald wieder ein selbstverständlicher Teil unseres Alltags sein werden. Schon im Frühling werden hoffentlich wieder kleinere Konzerte mit den gebotenen Schutzmaßnahmen möglich sein. Wir alle haben in den vergangenen Monaten gemerkt, wie sehr wir das gemeinsame Musikerlebnis vermissen und wie viel Live-Musik zu unserer Lebensqualität beiträgt. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir nach dem Ende der Pandemie einen regelrechten Ansturm auf die Live-Musik-Ereignisse und die Kultur insgesamt, also ein großflächiges „Zurück zur Kultur“ erleben werden.

Die Fragen an die Kulturstaatsministerin wurden für die Titelgeschichte des aktuellen ROLLING STONE, BackToLive, schriftlich eingereicht und beantwortet.

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