Harald Schmidt: König der Spätabendunterhaltung

Jan Böhmermann versucht es verbissen - doch keiner kann Harald Schmidt als Late-Night-Talker ersetzen. Er ist und bleibt der letzte große Unterhalter mit Anspruch in diesem Land.

Harald Schmidt hat Deutschland in die Schlaflosigkeit getrieben. Oder zumindest den Teil der Deutschen, der sich am sehr späten Abend einst mit seinen zotigen Witzen, feingeseiften Plaudereien mit großen und kleinen Prominenten sowie allerhand geistreichen Spielchen in die Nacht führen lassen wollte.

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Dann war es schon nach Mitternacht und an genügend Ruhezeit nicht mehr zu denken. Wie lange ist das schon her?

Keinem anderen deutschen Spötter gelang es hierzulande vor ihm und nach ihm, mit einer Late-Night-Talkshow Fuß zu fassen. Thomas Gottschalk bemühte sich redlich, scheiterte aber (natürlich!) an sich selbst. Anke Engelke übernahm nach Schmidts selbstgewähltem TV-Abschied 2003, wurde dann aber sogar von Rudi Carrell angezählt. Frauen könnten das nicht. Die hypertalentierte Engelke konnte auch dieses sehr knochig-männliche Paradeformat, wenigstens ein bisschen. Sie durfte dann aber nicht weiter.

Grundversorgung für die einen, abgehoben für die anderen

Schmidt verschwand allerdings damals nicht von der Bühne. Die Auszeit nutzte er für eine umfassende Weltreise mit der Familie. Privatier wollte er stets genauso sein wie „Medienschlampe“. Nur begriff sich der Neu-Ulmer nach eigener Aussage stets als Kantinenmime, der vor und nach der Vorführung den Rest des Stabs bei Laune hält.

Also kam Schmidt, der gemeinsam mit seinem Sancho-Panza-Verschnitt Herbert Feuerstein mit Schmidteinander eine der frivolsten Blödel-Shows im deutschen Fernsehen etabliert und zuvor „Verstehen Sie Spaß“ als Moderator spitzbübisch an die Wand gefahren hatte, nach einem Jahr bewusst genossener Langeweile zurück und späßelte eben in der ARD weiter. Zu einem fürstlichen Gehalt, das womöglich noch jenes der Intendanten überstieg.

Die Show krankte dann allerdings ausgerechnet an ihrem Sparprogramm: nicht mehr als zwei Tage in der Woche. Später wurden die Frequenz noch geringer, kam Oliver Pocher als auf Krawall gebürsteter Pointenpartner hinzu, wechselte der Sender – bis Schmidt, einst „Grundversorgung“ fürs Erste und Glücksfall für Sat1, im Pay-TV bei Sky so geringe Einschaltquoten einfuhr, dass sie nicht mehr messbar waren.

Das könnte man tragisch nennen, auch weil es eben in diesem Land keinen Komiker gibt, der gleichzeitig Polen-Witze macht, über die Gebrüder Goncourt parliert und mit Playmobil-Figuren Shakespeare-Szenen nachspielt. Wenn es Schmidt nicht selbst so aufreizend egal wäre. Jedes Interview ist nun ein Bericht aus dem Rentnerleben, eine mokante Inszenierung des eigenen Desinteressiertseins.

Natürlich gibt es einen Nachfolger, das weiß auch Schmidt. Jan Böhmermann, der in der Spätphase der Show ausgerechnet für ihn Witze schrieb, machte nie einen Hehl daraus, in die Feinlederschuhe seines Vorbildes steigen zu wollen (aber am liebsten auch gleichzeitig Gottschalk und Lanz zu beerben). Doch weil der Polizistensohn ein lausiger Stand-Up-August ist und sich neben seinen teilweise brillanten Studio- und Internet-Aktionen kaum an Schöngeistiges wagt, bleibt eben nur unverbindliche Ironie und eine schnöde Seriosität, die mit Satire bitteschön gar nicht mehr verwechselt werden soll. Seine Zuschauer wissen vielleicht auch gar nicht, wovon er reden würde, wenn es plötzlich um Dostojewski, die Berliner Volksbühne oder Vätergespräche auf dem Spielplatz ginge.

Aber genau in diesem Terrain fischte Schmidt mit Vorliebe. Er holte sich mit dem käsegesichtigen Manuel Andrack den eigenen Produktionsleiter vor die Kamera, um ihn als scheinbar unbekümmert vor sich hin quatschenden Sidekick und als Parodie des typischen deutschen Kleinbürgers zu integrieren. Ein nahezu genialer Coup, den Böhmermann mit dem Ex-„Harald Schmidt Show“-Autor und einstigen Udo-Brömme-Darsteller zu wiederholen versuchte (allerdings ohne erkennbaren Erfolg, denn Kabelka blieb, bis er schließlich verschand, lediglich höhnisch lachender Stichwortgeber).

Genüsslich machte sich Schmidt in seiner Sendung über das bürgerliche Publikum lustig, dem er selbst angehörte. Nach dem Motto: Ich kenne sie, denn ich bin selber so. Er verspottete oft garstig A-Z-Prominente, Voraussetzung war aber stets, dass sie mit mehr als 200.000 Euro Jahresgehalt auch gepflegt weghören konnten. Ein Twitter-Shitstorm hat heute mehr Kraft als jede Gemeinheit Schmidts.

Nie verstand man Deutschland besser als mit Harald Schmidt: Er trank Wein und spie ihn mit sichtbarem Ekel wieder aus. Er besuchte im Studio Ikea. Er ließ mit seinem Personal zu Weihnachten wichteln. Er erzählte stundenlang Geschichten davon, wie er mit dem ICE durch das Land reiste und von einer Verspätung in die nächste rutschte. Oft genug ließ er sich auch von einer Kamera begleiten. Die „Harald Schmidt Show“, die nie eine One-Man-Show war, entwickelte sich eben auch zu einem großen Laientheater, einem Spielplatz der Launigkeit, wo alles möglich war – freilich auch, weil das Budget begrenzt war und die Zuschauer um die Uhrzeit auch mit Pappwänden vorliebnahmen.

Harald Schmidt schien stets zu wissen, was er tat

Natürlich ist die „Harald Schmidt Show“ Schmidts Lebenswerk, der hin und wieder auf Gebührenkosten mit dem „Traumschiff“ um die Welt reist und fast als Polizeichef im Schwarzwald-„Tatort“ aufgeschlagen wäre. Aber da Schmidt selbst schon die größte Rolle seines Lebens ist, braucht der Junge aus dem Schwabenländle auch keine anderen. Alles andere – die verspulten Interviews zu festen Anlässen, Kolumnen im „Focus“, ein Video-Blog beim „Spiegel“, Bücher über Thomas Bernhard und die Frittenbuden in seinen Romanen – ist nur schelmisches Beiwerk.

Man muss es auch mal so sagen: Falsch hat Harald Schmidt nicht viel gemacht, nachdem der Stern der „Harald Schmidt Show“ nach der Glanzzeit zwischen den Jahren 2000 und 2003 zu sinken begann. Aber die Relevanz, die sich der selbsterklärte Konservative zeitweise erkämpft hatte, ging ihm sichtbar flöten. Vielleicht überholte ihn auch der Zeitgeist. Das kommt in seinem Metier vor. Irgendwann schauten nur noch die Feuilletonisten zu – und begriffen, dass der Beckett-Darsteller (Schmidt spielte in einer Inszenierung von „Warten auf Godot“ am Schauspielhaus Bochum den Lucky) sich in einem absurden Theater  des selbstgewählten medialen Niedergangs sehr wohl fühlte. Ein unruhiger Geist, der verstanden hatte, dass man in der deutschen Medienbranche, wenn man es denn richtig anstellt, gar keinen Schiffbruch erleiden kann.

Am Donnerstag (18. August) wird Harald Schmidt, der unersetzliche und einzige König der Late Night, 65 Jahre alt. Sicher genießt er gerade die Elogen auf seine immer weiter in die Vergangenheit abrutschenden Großtaten in den Zeitungen dieses Landes und genehmigt sich dazu einen Cappuccino. Wohl eher nicht mit Hafermilch.

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