Howie! Zum 75. Geburtstag Howard Carpendales

Der adoptierte Entertainer der Deutschen. Eine Gratulation von Arne Willander

Vielleicht hat Jürgen Drews es in einem Satz gesagt: „Er spricht mit diesem Akzent, er singt lustig, und er hat ein tolles Gespür für die richtigen Titel.“ Mit „Titel“ sind Songs gemeint. Howard Carpendale sagt in dem Dokumentarfilm „Ein Leben für die Bühne“: „Es ist ein unglaubliches Nichts, in das man fällt. Es ist unvorstellbar.“

Diese Fallhöhe bestimmt die Karriere des späten Carpendale. Nachdem er sich im Jahr 2003 mit einem kolossalen Konzert in Köln von seinem Publikum verabschiedete, wollte er in seinem Haus in Florida ein bisschen an der Börse spekulieren, nachmittags Golf spielen und dann mit Kumpels an der Bar sitzen. Er hatte alles erreicht, und er wollte auf dem Gipfel abtreten. Köln war der Gipfel. Florida war das Nichts. Die Geschäftssitzungen langweilten ihn. Er wurde depressiv. Sein Sohn Wayne holte ihn nach Deutschland zurück und brachte ihn in ein Sanatorium auf dem Land.

All das erzählt Carpendale freimütig. Seine erste Frau Caudia sagt, er habe diese „sportlerische Direktheit“. Als sie ihn 1969 nach seinen ersten Erfolgen in Deutschland kennenlernte, hielt sie ihn freillich für einen „Großkotz“. Bald heirateten sie. Carpendale, am 14. Januar 1946 in Durban geboren, spricht von sich selbst als einem Sportler: Auf die Bühne gehe er wie auf den Sportplatz, hole noch einmal tief Atem – und los. Dagegen zittere er vor dem Abschlag auf dem Golfplatz.

Howard Carpendale in den 1960er-Jahren

Als Junge liebte er Rugby und Kugelstoßen: „Ich konnte durch eine ganze Mannschaft hindurchgehen. Mein Vater war ein Sportfanatiker, er wollte einen kleinen Sportler haben.“ Mit 13 Jahren war der semmelblonde Knabe 1,80 Meter groß. Die Eltern kümmerten sich ums Geschäft, Howard war oft allein. Dann begeisterte er sich für Elvis Presley. Mit 16 nahm er eine Single auf.

1963, als er 18 war, ging er nach England, wohnte in einem Souterrain, nahm Gelegenheitsjobs an, spielte Cricket und bewarb sich bei Bands. Der Vater überwies ihm monatlich 100 Pfund.

Im Jahr 1966 las er eine Annonce im „Melody Maker“, in der ein Sänger für eine Band gesucht wurde. Oft erzählt Carpendale, dass sein Leben anders verlaufen wäre, wenn er nicht die 30 Cent für den „Maker“ ausgegeben hätte. Die Band war eine Bassistin, sie suchten weitere Musiker und nahmen dann das Angebot an, in Düsseldorf aufzutreten. Carpendale verließ die Gruppe unter nicht näher erläuterten Umständen. Er schlief auf einer Parkbank und rieb Erdnüsse auf eine Brotscheibe. Dann ging er zum Firmensitz von EMI Electrola, wurde beim Chef Dieter Weidenfeld vorgelassen und legte die südafrikanische Single auf den Tisch. Der schlaksige junge Mann gefiel Weidenfeld. „Und er hatte sich durchgesetzt.“

Nach mäßigen Hits gewann Carpendale mit „Das schöne Mädchen von Seite 1“ einen Schlagerwettbewerb im Fernsehen, kaufte sich einen Sportwagen und wurde leichtsinnig. Aber die Autoren schrieben Lieder, die nicht zu ihm passten. In London ließ sich Carpendale 1974 bei einem Verlag einige Songs vorstellen. Das letzte Stück war „Deine Spuren im Sand“. Es wurde ein Hit.

Howard Carpendale (2. v. l.) mit Marion, Nina Lizell und Andy Star, Deutschland 1970er-Jahre.

Howard Carpendale war ein treuherziger Charmeur des Schlagers. Aber er wollte etwas anderes werden: ein Entertainer. Er hatte Elvis-Songs gesungen und „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. Nach einem Auftritt fragte er Dieter Weidenfeld nach seinem Eindruck. Weidenfeld war nicht beeindruckt: Carpendale, sagt er, hätte auch ein Techniker sein können, als er zu Beginn am Mikrofon nestelte. „Du kannst alles machen – aber mach es, und halte es! Wenn du es hältst, dann denken die Leute, dass du es mit Absicht machst.“

Und er hielt es. Er machte nur wenige Gesten. Er malte mit der einen Hand, mit der anderen hielt er das Mikrofon. Er hörte einen Song von Smokie und machte „Tür an Tür mit Alice“ daraus. Er hörte den italienischen Song „Ti Amo“ und machte ein deutsches Lied daraus: „Ti amo, das heißt ‚Ich lieb dich so‘.“ Dieter Weidenfeld, der beste Interpret seines Schützlings, sagt: „Er ist kein großer Musiker, aber er hat eine unglaubliche künstlerische Intelligenz. Und er hat sich immer entwickelt .“ Die meisten Texte schrieb Carpendale fortan seinem Ko-Autor Joachim Horn: „Dann geh‘ doch“, „Nachts, wenn alles schläft“, „Wie frei willst du sein?“, „Es geht um mehr“, „Samstag Nacht“. 1984 spielte er seiner Frau ein Stück vor, das er „Gone Again“ nennen wollte. Er hatte zwei Jahre keine Platte aufgenommen. Sie sagte: „Nenn‘ es doch ,Hello Again‘!“ Größer konnte es nicht mehr werden. Er war jetzt: Howie!

Er lebte in Florida und Deutschland und heiratete die Amerikanerin Donnice, sie sahen sich nie, während er auf Tournee war. Sie waren zusammen, dann getrennt, dann wieder zusammen. Donnice wurde trunksüchtig. Sie sind noch immer zusammen. Als Carpendale 2007 aus dem verfrühten Retiro (übrigens wie Frank Sinatra) zurückkehrte, engagierte er junge Musiker und Komponisten. Unbescheiden, aber zutreffend sagt er: „Unsere Konzerte sind verdammt gut. Dass ich so lange überlebt habe, verdanke ich vor allem den Konzerten.“ Auf dem Golfplatz, für sich allein, habe er Demut gelernt. „Manchmal ist man so gut, und manchmal ist man so schlecht.“

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Auf der Bühne aber ist Howie immer sehr gut. Er hat eine fabelhafte Band und Background-Sänger im Rücken – und er weiß es. Er hat all diese berühmten Lieder. Es gibt keine Theatralik, er geht durchs Publikum, lässt Selfies zu, begrüßt die mitgereisten Fans, erzählt von seinem Enkel. Er spricht mit diesem patentierten Akzent, in seltsamen Satzstellungen und manchmal mit dem falschen Artikel.

Niemand möchte es anders haben.

United Archives / Schweigmann Schweigmann/United Archives via Getty Images
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