Deutschsprachiger Pop ist Glanz und Elend zugleich

Wolfgang Zechner wirft mit „Völlig schwwerelos“ einen persönlichen Blick auf deutsche Popmusik-Geschichte in 99 Songs.

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Es bräuchte eine Menge Seiten Papier, um zu klären, was Popmusik eigentlich ist. Das macht Musikjournalist Wolfgang Zechner schon in seiner Einleitung zu „Völlig schwerelos: Glanz und Elend der deutschsprachigen Popmusik in 99 Songs“ klar. Warum Pop aber gerade in Deutschland eine nicht ganz unkomplizierte Geschichte ist, kann der Autor mit wenigen Worten erklären: „Pop ist multikulturell, Pop ist revolutionär, Pop ist Aneignung, Pop ist Vermischung, Pop ist Unübersichtlichkeit. Pop ist vieles. Pop ist vor allem eines: nicht deutsch.“

Doch bevor Zechner sich auf eine überwiegend persönliche und daher auch angenehm unakademisierte Suche nach 99 Songs begibt, die in Deutschland Populärmusikgeschichte schrieben – von Freddy Quinns „Heimweh“ bis „Du trägst keine Liebe in dir“ von Echt sowie einigen Bonussongs – macht er einen Abstecher nach Amerika. Der erste Auftritt von Elvis Presley in der Ed Sullivan Show wird als so etwas wie der Urknall der Popmusik gedeutet. Er setzte gewaltige Energien frei. Wie ein Erdbeben, dessen Erschütterungen noch heute zu spüren sind. Dieser Sänger hat nicht nur „Hound Dog“ im Gepäck, so der Autor . Nein, es ist mehr: „Elvis ist die erste öffentliche Person, die einen Unterleib besitzt.“

Klar, ohne Sex und die Anmutung von Revolution war Pop nicht zu haben, und das ist bis heute so geblieben. Doch Popmusik kann natürlich noch viel mehr. Sie verkauft sich auch über ihre gleichsam erschreckend nahbaren und dann doch wieder rätselhaften Künstler. Die Frage nach ihrer Authentizität wird zu einem erotischen Spiel. Nicht immer mit libidiösem Mehrwert, denn manchmal sind sie nur Trugbild oder ein Gimmick.

Pop will Spaß machen

Viel Aufmerksamkeit widmet Zechner den Schlagergassenhauern der 50er und 60er. Er erklärt die Phänomene dahinter (Nostalgie, Exotik, Sehnsucht nach Heimat und Verbindlichkeit), geriert sich aber nie als Kulturwissenschaftler mit endgültig wirkenden Hypothesen.

Wenn man so will, ist dies zugleich Stärke und Schwäche des Buchs. Für einmal regiert einfach ein ungetrübter, von ideologischem Bombast befreiter Blick auf eine Musik, deren kleinster gemeinsamer Nenner ist, dass sie Spaß machen soll. Und das gilt, man ahnt es, genauso für „Verstärker“ von Blumfeld wie Hape Kerkelings „Das ganze Leben ist ein Quiz“.

Dann vermisst man über die dem Gegenstand durchaus angemessene Ironie aber doch den intellektuellen Lupenblick. Zechners analytisches Seziermesser, das leider kaum in die Ballons der DDR-Musik hineinschneidet, hat in etwa den folgenden Sound: „Die Kunstfigur Blümchen war die perfekte Inkarnation der allgegenwärtigen Feierstimmung (der 1990er Jahre). Inhaltlich und musikalisch ging es bei ihr um gar nichts. Hauptsache, der elektronische Beat knallte.“

Dass die Sammlung der Lieder nur bis zum Jahr 1999 reicht, könnte einen zweiten Band vermuten lassen. Es ist aber auch eine Rückversicherung, sich nur mit jenen Pop-Epiphanien, Verwirrungen, Bombastereien und schalen Witzliedern zu beschäftigen, die eigentlich schon ausgedeutet sind. So hat der Autor mehr Platz für seinen Privatblick. Er lässt einen nimmermüden Hörer vermuten, der sich auch nicht zu schade ist, das häufige Scheitern deutscher Musiker an Leichtigkeit und Eleganz deutlich zu benennen.

Für Goldgräber gibt es aber auch allerhand Vergessenes (wieder-) zu entdecken, etwa das „gesungene Hypnotikum“ von Bambis aus Österreich mit dem popfernen Titel „Melancholie“.