„Ich habe mir alles selbst eingebrockt“

STEVE EARLES NEUES ALBUM HEISST „THE LOW HIGHway“, doch der 58-jährige Songwriter reist lieber auf hohem Niveau. In Hotels unter fünf Sternen und ohne großen Fitnessraum steigt er nicht mehr ab – er nennt sich selbst einen „Luxus-Zigeuner“. Seine rumpelnden Americana-Songs erzählen immer noch von den dunklen Seiten des Landes, während er privat mal wieder das Glück gefunden hat: Nach Drogen- und Alkoholsucht und einem längeren Gefängnisaufenthalt ist er seit fast 20 Jahren trocken und in siebter Ehe mit Kollegin Allison Moorer verheiratet, die auch auf dem neuen Werk mitsingt.

Nach zuletzt eher persönlichen Alben haben Sie jetzt wieder etliche Protestlieder geschrieben – über Armut, Obdachlosigkeit, Depression.

Das ergab sich fast zwangsläufig. Einige der Lieder habe ich in New Orleans geschrieben – auch für die Fernsehserie „Treme“, in der ich zwei Staffeln lang mitgespielt habe, bevor sie mir ins Gesicht geschossen haben. Der Rest entstand auf Tournee. Ich habe jeden Tag aus dem Fenster des Tourbusses geguckt und gesehen, was da draußen passiert. Zum ersten Mal schrieb ich aus eigener Erfahrung, statt wie bisher eher forensisch. Ich komme ja aus einer Generation von Songschreibern, die von Woody Guthrie inspiriert wurden und von harten Zeiten schrieben, aber tatsächlich hatten wir selbst nie harte Zeiten erlebt! Bis jetzt. Mir persönlich geht es ja gut (klopft auf den Holztisch), ich habe eine Arbeit und beobachte die Lage aus dem Fenster eines 750.000-Dollar-Busses. Aber ich sehe, wie schwer andere es haben.

Sie hatten doch auch schon schwere Zeiten.

Ja, aber an denen war ich immer selbst schuld. Sogar als ich in meinen Zwanzigern eher arm war, lag das auch an mir: Ich wollte nicht aufs College gehen, sondern rumhängen. Und später, die Drogen, das Gefängnis: komplett selbst eingebrockt. Ich habe unter Brücken geschlafen, ich war obdachlos. Aber das war meine Entscheidung -beim ersten Mal, weil ich herumreisen wollte und die Welt entdecken, beim zweiten Mal, weil mein Drogenkonsum außer Kontrolle geraten war. Aber sehr viele Menschen verlieren heutzutage völlig unverschuldet ihre Existenzgrundlage. Von denen wollte ich berichten. Nach dem letzten Album („I’ll Never Get Out Of This World Alive“, 2011) hatte ich keine Lust mehr, mich über mich selbst singen zu hören. Das nervt irgendwann.

Stört es Sie, dass sich die Leute immer noch fragen, ob Sie gerade trocken sind?

Ich frage mich das ja selbst jeden Tag. Mein Leben ist gut, aber es ist nicht perfekt. Ich mache einfach weiter und beweise mir täglich, dass das Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker funktioniert. Ich gehe immer noch regelmäßig zu Meetings und spreche mit anderen Betroffenen, aber man kann sich nie sicher sein. Es gab vor nicht allzu langer Zeit einen Tag, an dem ich überlegt habe, ob es nicht doch mal wieder schön wäre, was zu nehmen. Vielleicht könnte ich damit durchkommen? Vielleicht wäre es egal? Aber dann hat mein Verstand eingesetzt: Wenn ich rückfällig werde, schreibt jemand darüber und irgendein Süchtiger liest das und sagt: „Schau, lohnt sich gar nicht, clean zu werden!“ Diese Vorstellung hält mich fern von dem Zeug.

In „Remember Me“ singen Sie für Ihren dreijährigen Sohn aufbauende Worte für die Zeit, wenn Sie selbst nicht mehr leben. Fällt es Ihnen leicht, so persönlich zu werden?

Wenn ich so gut wie Bob Dylan wäre, bräuchte ich das vielleicht nicht! Aber ich kann nicht anders – ich muss alles auf den Tisch legen, was ich habe. Es geht allerdings nicht darum, Musik als Therapie zu missbrauchen. Ich habe schon einen guten Therapeuten. Es geht darum, etwas zu schaffen, womit andere auch etwas anfangen können.

Gehen Sie immer noch so gern auf Tournee wie früher?

Seit ich in New York lebe, habe ich Heimweh. Wenn man ein halbes Jahr aus Nashville weg ist, vermisst man absolut gar nichts. Aber New York – ich vermisse die Kinos, die Restaurants und vor allem den Baseball. Ich bin ein riesiger Yankees-Fan. Gebe ein Vermögen aus, um die Spiele auf dem Computer anzuschauen. Aber es gibt keine Alternative zu Tourneen, mit Platten macht man ja keinen Gewinn mehr. Wenn ich einen Job fände, bei dem ich zu Hause bleiben könnte, würde ich ihn annehmen, für meine Familie. Aber ich will mich gar nicht beschweren, ich habe dank „Treme“ zuletzt gut verdient. Fernsehen zahlt sich wirklich aus – vor allem die Songs für den Soundtrack, weniger das Spielen. Aber wahrscheinlich bin ich als Schauspieler einfach weniger wert.

Sie haben doch auch schon in der preisgekrönten Serie „The Wire“ mitgespielt.

Beide Serien stammen von David Simon, der schätzt mich offensichtlich. Er hatte extra eine kleine Rolle für mich geschrieben. Vorher habe ich diverse Rollen abgelehnt, obwohl ich damals jünger war und besser aussah. Es hat mich nicht interessiert. Inzwischen macht mir das Spielen Spaß – und leider auch das Anschauen. Ich schaue viel mehr fern, als es gesund ist. Vor allem Fernsehserien und Sport. Ich liebe „Girls“, Lena Dunham ist so verdammt brillant. Ich lebe ja in Manhattan und würde niemals nach Williamsburg ziehen. Ich bin zu alt für den Scheiß. Aber ich glaube, sie beschreibt den typischen Hipster dort perfekt. Ich mag auch „The Newsroom“ und „Californication“.“Homeland“ kann ich leider nicht gucken, obwohl ich Claire Danes verehre. Aber meine Begeisterung für Spannung ist nicht so groß, dass ich eine Serie akzeptieren kann, bei der die CIA-Typen die Guten sind. Ich versuche auch gerade, mit „True Blood“ abzuschließen, weil es so peinlich geworden ist. Gelingt mir aber noch nicht ganz.

Was haben Sie in nächster Zeit vor?

Ich schreibe gerade an zwei Büchern. Eigentlich wollte ich zuerst einen Roman veröffentlichen, aber mein Sohn leidet an Autismus, deshalb habe ich beschlossen, die Memoiren vorzuziehen. Wir brauchen das Geld für seine Vorschule, die ist so verdammt teuer. Zum allerersten Mal habe ich eine künstlerische Entscheidung aus Geldgründen getroffen – aber ich schäme mich nicht dafür. Ich schätze, dafür komme ich nicht in die Hölle. Und ich habe noch ein paar Filmprojekte vor mir. Außerdem würde ich gern mal ein Musical schreiben. Von Andrew Lloyd Webber kommt ja nur noch Murks.

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